Dämmen im Neubau wie in der thermischen Sanierung zählt zu den wenigen Maßnahmen, die schnelle und deutliche Gewinne in der Klimabilanz versprechen. Dafür braucht es aber auch einen Kreislauf der Materialien.
Stahl kann beliebig oft recycelt werden, Altpapier wird durchschnittlich fünf- bis siebenmal wiederverwendet. Bei Dämmstoffen dominiert vielfach noch One-Way. »Aktuell existiert keine wirkliche Kreislaufwirtschaft für Dämmstoffe«, kritisieren Philipp Boogman, Materialökologe am IBO und Martin Car, Geschäftsführer des Österreichischen Baustoff-Recycling Verbandes. »Das ist weniger der technischen Machbarkeit als unserem Wirtschaftssystem geschuldet. Rohstoff- und Beseitigungskosten sind zu niedrig, sodass es sich heute wirtschaftlich nicht lohnt, ein Recyclingsystem aufzubauen«, stellt Boogman fest.
Vermischt und verklebt
Nicht umgesetzt kann der Kreislauf vor allem aufgrund fehlender sortenreiner Trennung der Baurestmassen werden. Hier gibt es laut Martin Car aber Bestrebungen für eine Optimierung. Die Recycling-Baustoff Verordnung fordert bei jeder Baustelle die Trennung in zumindest sieben Stoffgruppen, darunter Metalle, Kunststoffe oder Asphalt, leider noch nicht Steinwolle. Das Problem der vermischten Baurestmassen ergibt sich laut Clemens Hecht, Sprecher der ARGE Qualitätsgruppe Wärmedämmsysteme, durch das Bauen an sich.
Es sei kein spezifisches Thema für den Bereich Dämmung. Schüttungen, Einblasdämmungen sowie z. B. in Hohlräume eingelegte Dämmmatten können laut IBO leicht abgesaugt bzw. ausgebaut werden. Ist das Dämmmaterial mit dem Untergrund verklebt oder im Materialverbund, erschwert dies den zerstörungsfreien und sortenreinen Rückbau erheblich – schließt ihn aber nicht aus. Bisher hat vor allem die thermische Verwertung dominiert, die zwar in organischen Dämmstoffen eine hochwertige Energiequelle findet, aber mit dem Anspruch an Nachhaltigkeit im Einsatz von Ressourcen nicht vereinbar ist.
Bild oben: Isover forciert die Kreislaufwirtschaft. (Im Bild: industrieller Verschnitt von Isover Steinwolle)
»Kreislaufwirtschaftliche Lösungen sind jedoch auf dem Weg. Niemand will die Entwicklung verschlafen. Das betrifft den Rohstofflieferanten ebenso wie den Dämmstoffhersteller«, betont Clemens Demacsek, Geschäftsführer der GPH, Güteschutzgemeinschaft Polystyrol-Hartschaum. Es laufe viel mehr im Hintergrund als man vermuten würde.
Sortenrein
Fallen Styropor-Abfälle sortenrein an, sind sie ein gefragter Altstoff. Laut Clemens Demacsek werden mehr als 100.000 m³ jährlich nach Österreich importiert. Beim mechanischen Recycling werden die Styropor-Abfälle zu Granulat vermahlen und z. B. Wärmedämmplatten zugesetzt, oder sie dienen als Zuschlagstoff für Leichtbeton, gebundene EPS-Schüttungen und Dämmputze sowie als Porenbildner in der Ziegelindustrie. Dämmmatten und –platten aus biogenen Rohstoffen wie Hanf und Flachs können in den meisten Anwendungsfällen gut ausgebaut werden, ebenso Holzfaserdämmplatten im Holzbau.
In der Praxis wird das aber meistens unterlassen. »Natur-Dämmstoffe werden – wie nach wie vor ein wesentlicher EPS-Teil – zumeist verbrannt, aus Gründen der Volumenreduktion und des Heizwertes«, kritisiert Boogman. Für den verstärkten Re-Use fordert er Strukturen wie digitale Baustoffbörsen. »Es braucht industrielle Rücknahmesysteme verbunden mit einer Prüfung der Produktqualität und entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen«, fordert er im Namen des IBO. Es gebe bereits Überlegungen, Dämmstoffe vor Ort aufzubereiten, zu komprimieren und dann einem Recycling zuzuführen.
Cradle to Cradle
Größtes Potential für einen geschlossenen Stoffkreislauf haben für Christian Röthenmund, Director Business Development bei swisspor Schweiz, polystyrolbasierte Dämmstoffe. Bei Stein- und Glaswolle ist es dagegen deutlich komplexer, da die Rückflüsse unglaublich schwierig zu integrieren sind. Selbst geringe Abweichungen des Rohstoffzustroms ergeben gravierende Produktionsprobleme.
Polystyrol wird bei swisspor im Kreislauf geführt. Die Abschnitte, geliefert in Recyclingsäcken, werden gemahlen, zerkleinert und dem Standardprozess wieder zugeführt. Aufgrund der geringen verfügbaren Menge können zur Zeit nur maximal 15 - 20 % Rezyklat aus Baustellenabschnitten beigegeben werden. Das große Potenzial an EPS-Rezyklat liegt aber klar im Rückbau von Gebäuden aus den 1980/1990er Jahren. Röthenmund verweist auf das Problem der Verschmutzung durch u. a. Kleber, Putz, Zement, Bitumen oder Erde. Hier setzt swisspor u. a. Windsichter ein, wodurch schwere Verunreinigungen zu Boden fallen.
»Wir sind bereits mit Unternehmen in Kontakt, wie man den Rückbau optimieren kann.« Durch die fehlende Verschmutzung ist swisspor sehr interessiert an in Wertstoffhöfen anfallendem Verpackungspolystyrol. »Das Volumen-Potential ist viel größer als jenes aus dem Baubereich«, informiert der Dämmstoff-Experte. Der Bau+Immobilien Report hat auch Monika Döll, Market Development Manager bei Saint-Gobain, nach der Kreislauffähigkeit im Dämmstoffbereich gefragt.
Bild oben: »Keiner will die Kreislaufwirtschaft verschlafen. Sie ist absolut Thema der Dämmstoff-Branche«, weiß Clemens Demacsek.
»Bereits seit vielen Jahren wird der anfallende Materialverschnitt in der Produktion bei Glas- und Steinwolle wieder dem Prozess zugeführt«, informiert sie und verweist auf das System weber.therm circle, das erste sortenrein rückbaubare und recyclebare Wärmedämm-Verbundsystem. Die Herausforderung liege bei den rund 90 % Dämmmaterial aus dem Gebäuderückbau, das verunreinigt und unsortiert ist.
HBCD
Zwischen 1960 und 2015 wurde bei EPS und XPS das Flammschutzmittel Hexabromcyclododecan eingesetzt, das mittlerweile als persistenter organischer Schadstoff (POP) eingestuft ist. Bislang konnte HBCD-haltiges Material nicht im Kreislauf geführt werden. Mit PolyStyreneLoop wird ab Juli ein Recyclingverfahren in den Niederlanden geboten, das den ersten durchgängigen Kreislauf für Polystyrol verwirklicht und aus POP-haltigem Abfall hochwertiges, wiederverwendbares Polystyrol-Rezyklat schafft. Auch swisspor arbeitet daran.
»Man kann den Prozess mit dem Schweizer Käsefondue vergleichen«, meint Christian Röthenmund mit Blick auf die Gastronomie seines Landes. Beim Fondue trennen sich nach sechs bis sieben Minuten gewisse Eiweiße, schwimmen an der Oberfläche. Der Flammschutz HBCD ist nicht Teil der Molekularkette, er bildet eine Dispersion, die sich löst und ebenfalls einfach entfernt werden kann. Die Rückgewinnung des enthaltenen Werkstoffs Brom ist ein weiterer Schritt. »Dieser Prozess ist neu entwickelt, wir sind noch nicht industrialisiert«, sieht Röthenmund einer künftigen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit Kollegen durchaus positiv entgegen.
Green Deal
Rückenwind hat die Kreislaufwirtschaft durch den Europäischen Green Deal sowie den Aktionsplan »Kreislaufwirtschaft für ein saubereres und wettbewerbsfähigeres Europa« erhalten. Lorenz Strimitzer, Leiter des Centers Nachwachsende Rohstoffe und Ressourcen bei der Österreichischen Energieagentur: »Das verschwenderische System soll transferiert werden in ein nachhaltiges. Das betrifft nicht nur Produkte, sondern auch Dienstleistungen und Geschäftsmodelle.« Bis Ende 2021 soll eine Kreislaufwirtschaftsstrategie des österreichischen Klimaschutzministeriums vorliegen.