Dienstag, November 26, 2024
ReUse der Hülle

Neue Fassadenmaterialien stehen aktuell nicht so sehr im Fokus – vielmehr der nachhaltige Materialkreislauf. Hochwärmegedämmte Gebäudehüllen und Kreislaufwirtschaft schließen sich nicht aus.

Sie trägt Bauteile, schützt, verhüllt, sie ist das Gesicht des Gebäudes: die Fassade. »Die Auswahl an Produkten, Systemen und Materialien ist groß. Es gibt keine allgemeine, für alle Häuser gleichermaßen optimale Lösung«, betont Eike Messow, Leiter Nachhaltigkeit bei der Sto Gruppe. Die Fassade dient mittlerweile auch als Energielieferant und -speicher. Früher angeprangerte Transmissionswärmeverluste spielen bei Gebäuden wie dem Passivhaus oder dem Plusenergiehaus kaum mehr eine Rolle. Wesentlich ist die Dämmung.

Materialien wie Styropor oder Mineralwolle befinden sich laut Fassadenbautagung der TU Wien seit Jahren auf einem hohen Level. Ein Leistungs-Plus kann durch Aerogele als Dämmstoffmatten erzielt werden. Eine deutliche Entwicklung ist dagegen bei Ziegel erkennbar. Ein geringerer Fugenanteil, optimierte Lochgeometrien, abgestimmte Materialmischungen mit Porosierung und bei bestimmten Produktreihen Verfüllung der Kammern mit mineralischer und hydrophobierter Steinwolle führen zu optimierten U-Werten. Die Herausforderung liegt weniger in der Materialoptimierung als vielmehr in der Etablierung einer Kreislaufwirtschaft im Fassadenbau.

Im Circle führen

Clemens Hecht, Geschäftsführer der ARGE Qualitätsgruppe WDVS, sieht die Kreislaufwirtschaft als brennendes Thema. Nach wie vor findet keine gesonderte Erfassung von EPS-/XPS-Materialien aus dem Baubereich statt. Nur sauberes Polystyrol (etwa aus Dachdämmungen oder Verschnitte von Baustellen), das nicht durch Kleber, Putz oder Mörtel verschmutzt ist, geht in die Verwertung als Zuschlagsstoff für mineralisch gebundene Ausgleichsschüttungen. Den Anteil an nicht verunreinigtem Polystyrol an der Fassade kann man laut Architekt René Schmid u.a. durch eine nachhaltige Montageart erreichen.

Bei der Fassadenbautagung der TU Wien wies er auf Einhängen, Schrauben und Klemmen hin. Der Rückbau wird einfacher, teure Klebemechanismen entfallen, der Verlegeraster ist nicht allzu starr. Erhöhen lässt sich der Anteil an sauberem Polystyrol auch durch Vorfertigung und Modulbau.

»Für modulare Fassaden wird weniger Baumaterial benötigt, da sie vorgefertigt zur Baustelle geliefert werden. Die Montagezeiten reduzieren sich und damit sinkt der Finanzaufwand für den Bauträger. Fassaden in Vorfertigung schaffen aufgrund der kurzen Montagezeiten auch kürzere Belastungen für die Bewohner«, betont Thomas Ramschak, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe Erneuerbare Energien bei AEE Intec. Als weiteres Plus der Modulbauweise nennt er den einfacheren und effizienteren Rückbau.

PolyStyreneLoop

Erfolgte eine Verklebung an der Fassade oder wurde WDVS eingesetzt, bietet PolyStyreneLoop einen Ausweg aus der Einbahnstraße der thermischen Verwertung. Die Recycling-Pilotanlage im niederländischen Terneuzen ermöglicht die Wiederverwertung von Polystyrol-Schaumstoff im geschlossenen Kreislauf. Verschmutzte und verklebte Baustellenabfälle können ebenso verarbeitet werden wie Alt-Dämmstoffe, die das seit 2016 verbotene Flammschutzmittel HBCD enthalten.

Mit einer Jahresleistung von 3.000 Tonnen soll die Anlage im Mai 2021 fertig gestellt sein und im Juli 2021 in Betrieb gehen. Bislang lief PolyStyreneLoop, kurz PS-Loop, im Labormaßstab mit einer Jahresleistung von 5 Tonnen.

»Mit der Fertigstellung des Rohbaus sind wir bei der Umsetzung der innovativen Verwertungsmethode einen entscheidenden Schritt weitergekommen«, freut sich Clemens Demacsek, Geschäftsführer der GPH, Güteschutzgemeinschaft Polystyrol-Hartschaum. Bedingt durch erhöhte Anforderungen an die Gebäudedämmung und die damit verbundenen Sanierungs- und Abbruchmaßnahmen steigen in den nächsten Jahrzehnten die Abfallmengen aus Wärmedämmverbundsystemen deutlich, wobei 2050 mit dem Höhepunkt gerechnet wird. PS-Loop soll den gesamten Rohstoffbedarf für den Neubau decken und damit ist der Einsatz fossiler Rohstoffe nicht mehr nötig.

Die gefertigten Recyclingprodukte haben die gleiche Qualität wie Neuware. Derzeit läuft die Sammlung und Lagerung HBDC-haltiger Abbruchabfälle aus Polystyrol-Schaum. Hauptlieferanten sind Recyclingbetriebe aus den Niederlanden und Deutschland, auch Gespräche mit österreichischen Betrieben gibt es bereits. „Ziel ist, nach erfolgreichem Testlauf Recyclinganlagen in ganz Europa zu errichten“, betont Demacsek.

Mit seiner Energiebilanz schneidet das Verfahren in Umweltverträglichkeitsstudien auch sehr gut ab. Bereits sichergestellt ist die Finanzierung: 61 Unternehmen und Organisationen haben sich bisher zur Kooperation bekannt, unter ihnen auch die heimischen Unternehmen Austrotherm, Hirsch Porozell und Sunpor.

ReUse läuft bereits

Einige Kreislaufprojekte laufen bereits. Rockwool führt etwa 96 Prozent der Steinwoll-Reste im Kreislauf. Mit Rockcycle Austria wird ein kostenpflichtiges Rücknahme- und Recyclingservice geboten. Die Steinwollabfälle werden mit Hilfe von Entsorgungspartnern zur Wiederverwertung in das Werk Neuburg a.d. Donau zurückgeliefert, wo sie aufbereitet und sukzessive dem Produktionsprozess zugeführt werden. Hohe Erfolgsraten erzielen vorgehängte hinterlüftete Fassadensysteme in der Kreislauffrage.

„Das Paneel, der Dämmstoff und die Unterkonstruktion können mechanisch rückgebaut und direkt einem stofflichen Recycling zugeführt werden“, informiert Eike Messow. Unter ReUse im Aluminiumbereich fällt das Projekt Hydro Circal. „Diese Aluminiumlegierung enthält mindestens 75 Prozent recyceltes End-of-Life Aluminium“, informierte Johannes Söllinger von Hydro Building Systems bei der Fassadenbautagung der TU Wien und verwies auf den geringen Energiebedarf. „Beim Einschmelzen und neu Formen werden nur 5 Prozent der Energie im Vergleich zur Neuproduktion benötigt. Dieses Potential muss genutzt werden,“ fordert er.


PS-Loop Recyclingprozess

1. Der Kunststoffabfall wird nach Polymertyp sortiert, zerkleinert und in einem Behälter mit einer spezifischen CreaSolv-Formulierung, entwickelt vom Fraunhofer Institut, aufgelöst. Feste Verunreinigungen wie Schmutz und Zement werden herausgefiltert und verbrannt.

2. Durch Zugabe einer weiteren Flüssigkeit verwandelt sich das Polystyrol in ein Gel, HBCD verbleibt in der Restflüssigkeit. Das Gel wird anschließend von den Prozessflüssigkeiten getrennt, gereinigt und zu Polymergranulat verarbeitet.

3. HBCD bleibt als Schlamm zurück und wird in einer Hochtemperatur-Verbrennungsanlage vernichtet. Das elementare Brom wird rückgewonnen und kann z.B. in modernen Flammschutzmitteln genutzt werden.

4. Die recycelte CreaSolv-Formulierung steht zum Lösen weiterer Kunststoffabfälle bereit. Der CreaSolv-Prozess ist kein chemisches Recycling, die chemische Struktur der Polymerketten bleibt unverändert. Das Auflösen der Kunststoffe ist ein physikalischer Prozess, da die Stoffe nur ihren Aggregatzustand von fest nach flüssig ändern, was wieder rückgängig gemacht werden kann. Der CreaSolv-Prozess ist als »Werkstoffliches Recycling« einzustufen.

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