Wie die nächste Bauproduktenverordnung aussehen wird, lässt sich heute noch nicht sagen. Fünf Optionen stehen zur Wahl – von der Weiterführung der aktuellen Version mit geringen, aber rechtlich nicht bindenden Ergänzungen bis zur völligen Aufhebung. Die EU-Kommission wird im Herbst darüber beraten.
Bis Ende August läuft die Stakeholder-Befragung, an der die gesamte Öffentlichkeit teilnehmen kann, d.h. nicht nur die Baubranche, sondern alle Unternehmen, Organisationen und Privatpersonen. »Im Herbst wird die EU-Kommission dann aller Voraussicht nach einen Beschluss fassen, wie es mit der Bauproduktenverordnung (BPV) weitergeht – ob sie überarbeitet wird, ob sie in der aktuellen Fassung weiter gilt oder ob sie aufgehoben wird«, berichtet Elisabeth Sperlich, Head of Governance, Policy and Legal bei Austrian Standards International (A.S.I.).
Ziel der Verordnung ist es, technische Handelshemmnisse für Bauprodukte zu eliminieren und somit sicherzustellen, dass Bauprodukte am Binnenmarkt frei vermarktet werden können. Das Problem ist laut Sperlich, dass die BPV regelt, Bauprodukte in Verkehr zu bringen, die Anwendung wird allerdings von jedem Staat individuell gemanagt, teils mit zusätzlichen Anforderungen an Bauprodukte, obwohl sie für den Markt grundsätzlich zugelassen sind.
Damit versagt für die A.S.I.-Expertin teilweise der Binnenmarkt für Bauprodukte. Problem ist außerdem, dass für KMU manche Regelungen sehr kompliziert und aufwendig formuliert sind. Es gibt für KMU zwar Ausnahmen, die das Vermarkten von Bauprodukten erleichtern sollen, aber die funktionieren in der Praxis nicht richtig.
»In der Verordnung sind sie so formuliert, dass niemand so recht weiß, wann diese Ausnahmen zur Anwendung kommen können und wann nicht«, kritisiert Sperlich. Dadurch werde diese Ausnahme in der Praxis nicht gelebt und KMU können die Erleichterungen nicht nutzen. Eine zentrale Erleichterung soll Artikel 5 bieten, der in der Praxis allerdings nicht vollzogen wird.
Bild oben: Austrian Standards befindet die Beibehaltung der bestehenden Verordnung grundsätzlich für nicht schlecht. »Besser wäre es aber, Änderungen auch im rechtlichen Bereich durchzuführen - für die Wirtschaft und den Binnenmarkt«, betont Elisabeth Sperlich. Ausnahmebestimmungen für KMU sollten besser geregelt werden, administrative Aufwendungen müssen reduziert werden.
Mauer gegen Lobbyisten
Einhelliger Tenor ist der Wunsch, die Bauproduktenverordnung zu verbessern und wirtschaftsfreundlich zu gestalten, damit der Binnenmarkt funktioniert. Keinesfalls darf von dem jetzt bestehenden System der harmonisierten Normen abgegangen werden. Hier nennt Elisabeth Sperlich erstmals die Option B als mögliche neue Variante der Bauproduktenverordnung und warnt eindringlich davor.
»Eine Überlegung der Kommission ist, alle technischen Details, die derzeit in Normen festgelegt sind, in Zukunft selbst zu regeln und nicht mehr über die europäische Normungsorganisation und die dort vertretenen Experten.« Da sei die Gefahr groß, dass große Lobbyisten aufspringen und die Interessen von einigen wenigen Industrieunternehmen durchbringen. Die Kommission selbst hat nicht die technischen Experten, um einzelne Bauprodukte regeln zu können.
Sie ist auf Expertise von außen angewiesen. Für KMU, die in Österreich und in Europa die Mehrzahl der Bauunternehmen stellen, besteht kaum mehr eine Chance der Beteiligung an den Prozessen. Bei den harmonisierten Normen müssen KMU durch die Normungsverordnung auf EU-Ebene dagegen gesetzlich eingebunden sein.
BPV - Fünf Optionen
Bauproduktenverordnung der nächsten Generation, fünf Optionen stehen zur Wahl:
- Option A: Umfasst die Beibehaltung der bestehenden Bauproduktenverordnung, ergänzt mit einigen Klarstellungen, die aber nicht gesetzlicher Natur sind, sondern nur als Erklärung dienen.
- Option B: Die technischen Anforderungen sollen nicht mehr hauptsächlich über harmonisierte Normen erfolgen, sondern primär über delegierte Rechtsakte der Kommission. Die Kommission würde die technischen Details in Konsultation mit technischen Experten, großen Industrieunternehmen oder mit Konsortien festlegen, evtl. auch mit CEN.
- Option C: Sieht eine Einschränkung der Bauproduktenverordnung vor. Sie soll auf einzelne Produktgruppen oder auf einzelne Bereiche reduziert werden.
- Option D: Der Anwendungsbereich der Bauproduktenverordnung wird ausgedehnt, zusätzliche Produkt-Eigenschaften könnten normiert werden. Diese Variante beruht allerdings auf Option B – die Kommission legt die technischen Details selbst fest.
- Option E: Steht für die ersatzlose Streichung. An der Abschaffung des Binnenmarktes für Bauprodukte ist niemand interessiert. Die Kommission sieht darin auch keine Lösung, aber sie möchte einfach alle theoretischen Möglichkeiten abfragen.
Angepasste Normen
Aufgrund eines Konflikts zwischen der Europäischen Kommission und der Europäischen Normungsinstitution CEN sind in den letzten beiden Jahren nur neun hENs (harmonisierte europäische Normen) im Amtsblatt der EU veröffentlicht worden. Über 200 aktualisierten hENs wurde die Veröffentlichung verweigert.
»Wenn sich der europäische Markt stabilisieren und stärken will, braucht es eine Überarbeitung der Bauproduktenverordnung«, fordert Andreas Pfeiler, Geschäftsführer des Fachverbandes der Stein- und keramischen Industrie. Für hENs ist eines entscheidend: Sie in regelmäßigen Abständen an den aktuellen Stand der Technik und Wissenschaft anzupassen, um der Innovation im Bauproduktebereich Rechnung zu tragen. Diese Rahmenbedingungen müssen von der neuen, zu überarbeitenden Bauproduktenverordnung zur Verfügung gestellt werden.
Viele Baustellen
»Eine Überarbeitung der BPV ist wünschenswert, um mehr Klarheit zu schaffen«, betont Georg Matzner, Geschäftsführer Österreichischer Stahlbauverband und nennt einige zentrale Punkte:
- »Viele Begriffe sind bis heute nicht eindeutig definiert. So bedarf es etwa der Klarstellung, dass ein Bauprodukt nicht der BPV unterliegt, wenn es nicht in Verkehr gebracht wird. Zu klären ist auch, was Serienfertigung vs. Einzelauftrag bedeutet und wann konkret und unzweifelhaft die Bereitstellung auf dem Markt erfolgt.«
- »Ein völliger Systemwechsel, d.h. die Rückkehr zu nationalen oder alternativen Lösungen, weg von Leistungserklärung und CE-Kennzeichnung, ist unerwünscht.«
- »Die Schaffung von technischen Spezifikationen soll ausschließlich beim CEN verbleiben.«
- »Es braucht klare Vorgaben, was europäisch konforme Produkte sind und nur dann darf ein Bauprodukt auf den Markt! Derzeit dürfen Bauprodukte mit Angabe eines einzigen (nutzlosen) Leistungswertes und damit dem CE-Kennzeichen legal verkauft werden und erwecken den Anschein ›legal‹ zu sein.«
- »Die Marktüberwachung muss gestärkt werden, um Transparenz auf dem Markt und die Sicherheit von Bauwerken zu erhöhen.«