Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report spricht Michael Steibl, Geschäftsführer der Geschäftsstelle Bau der Bundesinnung Bau und des Fachverbandes der Bauindustrie, über konjunkturelle Herausforderungen, das aktuelle Klima in der Sozialpartnerschaft und die aktuelle Preis- und Kostensituation. Außerdem erklärt er, warum der teils dramatische Rückgang der Lehrlingszahlen in den letzten zehn Jahren nicht nur der wirtschaftlichen Lage geschuldet war.
Report: In den letzten Jahren hat sich in der Baubranche viel getan. Wir reden von neuen Vertragsmodellen, geänderten rechtlichen Rahmenbedingungen und natürlich von Digitalisierung. Wenn Sie eine aktuelle Bestandsaufnahme machen müssten: In welche Phase befindet sich die österreichische Bauwirtschaft? Stecken wir wirklich mitten in einem Paradigmenwechsel?
Michael Steibl: Es gibt zwei Komponenten, die es zu beachten gilt. Zum einen befinden wir uns in einer sehr positiven Konjunkturlage, die jedoch bislang die Ertragssituation kaum verbessert hat. Zum anderen stecken wir hinsichtlich der Rahmenbedingungen in einem permanenten Umbruch mit einem ständigen Erneuerungsbedarf, der die Unternehmen in Atem hält. Das Rad dreht sich in den letzten Jahren immer schneller. Die Entwicklungen sind zwar vielfach absehbar, aber die Geschwindigkeit und die Häufung der gleichzeitig stattfindenden Änderungen sind enorm herausfordernd.
Report: Was sind die größten Herausforderungen?
Steibl: In Zusammenhang mit der guten Konjunktur geht es natürlich darum, ausreichend qualifiziertes Personal zu finden, um die eingehenden Aufträge in der nötigen Qualität abzuarbeiten. Und natürlich geht es um die technologische Entwicklung. Digitalisierung ist ja nichts Neues, da hat sich in den Büros und bei Arbeitsprozessen schon in den letzten Jahren viel getan. Jetzt verdichtet sich das Thema aber weiter. Das ist für viele Unternehmen schwer greifbar und steuerbar, weil man oft fremdbestimmt ist. Die beste Vorbereitung auf BIM und Ähnliches nutzt mir nichts, wenn mein Auftraggeber nichts davon wissen will.
Report: Es gibt aber auch oft den umgekehrten Fall ...
Steibl: Das ist richtig. Aber das ist das freie Spiel der Kräfte. Es gibt Betriebe, die interessierter sind und sich als »Versuchskaninchen« zur Verfügung stellen und andere, die abwarten. Die haben zwar einen geringeren Aufwand, sind aber eben auch nicht ganz vorne mit dabei.
Report: Sie haben auch den Facharbeitermangel angesprochen. Die Mitarbeiterzahlen in den Unternehmen sind in den letzten Jahren stark gestiegen, die Lehrlingszahlen können da nicht mithalten, obwohl es seit 2017 wieder einen leichten Anstieg gibt. Ist das Problem auch hausgemacht?
Steibl: Der Rückgang bei den Baulehrlingen in den letzten zehn Jahren ist sicher nicht nur konjunkturell erklärbar. Das war ein Trend, der unabhängig von der Konjunktur stattgefunden hat. Ich gehe davon aus, dass es zu einem Umdenken bei den Unternehmen gekommen ist und der aktuelle Aufschwung bei den Lehrlingszahlen anhalten wird. Das liegt natürlich auch an der aktuellen Verknappung. Solange man genügend Fachkräfte hat, denkt man auch weniger an die Ausbildung als unter Druck – auch wenn es dann zu spät ist. Auch hier können wir aber als Branchenvertretung niemanden zwingen, wir können aber sensibilisieren, fördern und unterstützen. Das tun wir sowohl finanziell als auch inhaltlich.
Report: Schon im Jahr 2015 haben Sie, damals noch als VIBÖ-Geschäftsführer vor einem drohenden Facharbeitermangel gewarnt. Und waren damit ziemlich alleine. Glück oder ein gutes Gespür?
Steibl: Wenn, dann Glück im Unglück (lacht). Wir haben aber einen sehr guten Überblick über den jährlichen Abfluss an Facharbeitern. Da geht es nicht nur um Pensionierungen, sondern auch um Branchenwechsel und Ähnliches. Und wir wissen, was von unten nachkommt. Und dass dieses Delta größer wird, wenn die Konjunktur anspringt, liegt auf der Hand.
Report: Die Bauunternehmen sind nach wie vor gut ausgelastet. Von vielen Auftraggebern wird aktuell über hohe Preise und/oder knappe Angebote geklagt. Wie bewerten Sie aktuell die Preis- und Kostenentwicklung?
Steibl: Man muss die Preise immer zusammen mit den Kosten betrachten. Stärker als in anderen Branchen ist es der Bau gewöhnt, Preise anhand von Kosten zu ermitteln. Demnach sollten auch Kostenänderungen an den Kunden weitergegeben werden. Aktuell sind diese Vorleistungskosten für die Unternehmen massiv gestiegen, und zwar deutlicher als die Preise. Bei Rohstoffen etwa reagieren die Märkte unmittelbar, der Bauunternehmer muss seine angebotenen Preise aber halten. Man kann die Kostensteigerungen also oft erst zeitlich verzögert in den Preisen unterbringen. Und das geht auch nur, wenn es der Markt zulässt. Gerade im Einfamilienhausbereich ist da sehr schnell die Decke erreicht.
Alle unsere Untersuchungen zeigen, dass das Bauhauptgewerbe auch in der Boomphase kein Preistreiber war, vielmehr konnten nicht einmal alle Kostensteigerungen untergebracht werden. Dennoch sind aber unbestritten die Preise gestiegen.
Report: Wie häufig bieten Unternehmen heute aus Ihrer Sicht mit nicht auskömmlichen Preisen an, in der Hoffnung, den Auftrag zu erhalten und sich das Geld dann über Claim Management zu holen?
Steibl: Wenn nicht auskömmliche Preise angeboten werden, dann sehr oft deswegen, weil man erst im Nachhinein erkennt, was man hätte kalkulieren müssen, weil man ja Kostenentwicklungen vorwegnehmen muss. Das ist nicht immer möglich. Außerdem gehen natürlich auch viele Unternehmen nicht vom worst case der Kostenentwicklung aus, um den Auftrag nicht zu gefährden. Das ist ja auch die große Kunst der Preisgestaltung.
Report: Man hatte in der Vergangenheit den Eindruck, dass die traditionell gute Bau-Sozialpartnerschaft seit der neuen Regierungsbildung etwas gelitten hat. Wie würden Sie aktuell das Klima bewerten?
Steibl: Natürlich hatte die Regierungsumbildung und die beschlossenen Maßnahmen speziell im Bereich der Arbeitszeit Auswirkungen auf die Bau-Sozialpartner und entsprechende Diskussionen ausgelöst. Das hat sich auch in Forderungen widergespiegelt, die uns im Rahmen der Kollektivvertragsverhandlungen gestellt wurden. Dennoch gibt es weiterhin ein großes Bemühen von beiden Seiten, in einer ähnlich konstruktiven Weise und freundschaftlichen Atmosphäre wie bisher zusammenzuarbeiten. Da hat sich wenig verändert.
Report: Die gemeinsamen Auftritte und Initiativen sind aber deutlich weniger geworden?
Steibl: Gerade in den letzten Monaten hat das Arbeitszeit-Thema alles überschattet. Wir wussten auch nicht, wie sich das auf die KV-Verhandlungen auswirken wird. Das Thema ist übrigens auch noch nicht erledigt. Wir arbeiten gemeinsam in Richtung Jahresarbeitszeit. Da starten demnächst die Verhandlungen. Nach dem KV ist vor dem KV (lacht).
Bezüglich der angesprochenen Initiativen muss man sich natürlich immer die Frage nach dem gemeinsamen Nenner stellen. Bei Initiativen wie »Faire Vergaben« und »Bau auf A« gab es natürlich diese gemeinsame Interesse. Es gibt auch jetzt wieder Überlegungen für gemeinsame Aktivitäten etwa in Hinblick auf das Vergaberecht. Das ist also keine Frage der Atmosphäre, sondern eine Frage des Inhalts.
Report: Noch sind die Auftragsbücher voll. Es gibt auch erste kritische Stimmen, die vor einem Konjunkturrückgang warnen. Mit welcher mittel- und langfristigen Entwicklung rechnen Sie?
Steibl: Wenn man den Prognosen der Wirtschaftsforscher glaubt, dann wird es eine weiche Landung geben und sich das Wachstum sukzessive verlangsamen. Aus Bausicht rechnen wir mit einer stabilen Entwicklung bis inklusive 2021 und zwar in allen Sparten. Das Problem ist aus unserer Sicht nicht die Konjunktur, sondern die Personalsituation. Ich möchte auch gar nicht von einem Facharbeitermangel, sondern generell von einem Arbeitskäftemangel sprechen.
Report: Welche inhaltlichen Schwerpunkte setzt die Innung 2019 und 2020?
Steibl: Sozialpolitisch geht es vor allem um das Thema Jahresarbeitszeit, das sowohl für die Unternehmen als auch die Mitarbeiter große Vorteile bringen könnte. Dann bemühen wir uns intensiv um die Einführung der Baucard, um für mehr Transparenz auf der Baustelle zu sorgen und unlauteren Wettbewerb auszuschalten. Auch das Thema »Gemeinnützige« steht bei uns weit oben auf der Agenda. Hier bemühen wir uns intensiv um eine klare Abgrenzung zwischen dem Geschäftskreis der gemeinnützigen Bauvereinigungen einerseits und gewerblichen Planern und Consultern anderseits. Denn hier wird von einzelnen Bauvereinigungen durch eine Verbreiterung des Geschäftsmodells ganz eindeutig versucht, den planenden Baumeistern das Geschäft abzugraben. Das hat mit der Idee der Gemeinnützigkeit aber nichts mehr zu tun.
Ein weiterer Schwerpunkt ist natürlich die Umsetzung der im Vorjahr beschlossenen »Baulehre 2020«.