Sonntag, Dezember 22, 2024
»Die Bauwirtschaft ist zu einer Branche voller Angsthasen geworden!«
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Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report gehen die beiden Vorstände des Verbands der österreichischen Estrichhersteller VÖEH, Christa Pachler und Robert Tucheslau, hart mit der heimischen Bauwirtschaft ins Gericht. Fehlendes Verantwortungsbewusstsein der Industrie wird ebenso kritisiert wie rechtliche Rahmenbedingungen, die aus dem aktuellen Facharbeitermangel bald einen Firmenmangel machen könnten.

Report: Sie haben mit Ihrer »Urnenkampagne« die damalige Regierung für ihre Untätigkeit, gesetzliche Rahmenbedingungen für einen fairen Wettbewerb zu schaffen, stark kritisiert. Damit haben Sie für viel Aufsehen gesorgt. Wo setzt Ihre Kritik an?

Tucheslau: Es handelt sich eigentlich um ein Problem der EU, das mit der Osterweiterung 2007 begonnen hat und auf das man nicht rechtzeitig reagiert hat. Nach dem Ende der siebenjährigen Übergangsfrist sind die Preise aufgrund der enormen Lohnunterschiede stark unter Druck gekommen und gesunken. Dazu kamen vermeintliche Teilzeitbeschäftigungen oder angebliche Kickback-Zahlungen. Damit hatten Firmen, die mit Eigenpersonal arbeiten und sich an die Regeln halten, plötzlich einen sehr schweren Stand.

Besonders ärgerlich ist, dass die Industrie vor dieser Entwicklung die Augen völlig verschlossen hat. Die wollte nur ihre Produkte verkaufen und konnte, ohne dies gut zu heißen, teilweise von diesen Machenschaften sogar profitieren. Langjährige Geschäftsbeziehungen spielten keine Rolle mehr, österreichische Normen wurden übergangen und die Qualität vernachlässigt, es zählte nur noch der Preis.  Man hat zwar mit dem Bundesvergabegesetz versucht, entgegenzuwirken, aber das Gesetz ist leider relativ zahnlos. Positiv anzumerken ist, dass man mit Beginn 2018 zumindest die Teilzeitarbeit erschwert hat.

Bild oben: »Der Facharbeitermangel ist erst der Beginn. Aktuell steuern wir auf einen Firmenmangel zu«, sagt Tucheslau.

Report: Hat sich zwischenzeitlich etwas geändert. Wie reagieren Auftraggeber und die Industrie auf Ihre Vorwürfe?

Tucheslau: Es war im letzten Jahr schon ein Umdenken spürbar. Es melden sich jetzt bei mir auch wieder Auftraggeber, die mich in den letzten Jahren nicht einmal angesehen haben. Auf die aktuellen Projekte hat dies noch keine großen Auswirkungen, weil ja mit diesen Niedrigpreisen noch kalkuliert wurde.

Report: Worauf führen Sie dieses Umdenken zurück?

Tucheslau: Die Unternehmen schauen heute wieder verstärkt auf Qualität und Eigenpersonal. Das liegt nicht zuletzt an einigen sehr effektiven und erfolgreichen Einsätzen der Finanzpolizei. So etwas spricht sich in der Branche schnell he­rum. Aber wenn die Konjunktur nachlässt, wird das Thema schnell wieder heiß werden.

Report: Wie gehe Sie mit der Situation um? Suchen Sie das Gespräch mit der Industrie?

Pachler: Natürlich, aber das ist gar nicht so einfach. Deshalb haben wir damals auch beschlossen, eine Politkampagne zu starten. Das brauchte viel Fingerspitzengefühl im Wording. Es darf nicht zu defensiv sein, soll aber auch nicht übers Ziel hinausschießen. Was allerdings anscheinend nicht überall gelungen ist. Aus dem Büro des damaligen Finanzministers Schelling kam etwa der Vorwurf der »abscheulichen Darstellung«. Wir haben dann auch tatsächlich eine Stellungnahme aus dem Ministerium erhalten, aber dann wurden leider die handelnden Personen ausgetauscht und wir stehen wieder ganz am Beginn.

Bild oben: »Wir brauchen wieder mehr Entscheidungsträger, die ihren Schreibtisch verlassen und selbst auf die Baustelle gehen, um sich ein Bild zu machen«, fordert Christa Pachler.

Tucheslau: Wir haben dann auch die Gespräche mit dem GBH-Vorsitzenden Beppo Muchitsch gesucht, um das Bundesvergabegesetz entsprechend anzupassen und inwieweit Förderungen an gewissen Rahmenbedingungen gekoppelt sind. Denn diese Förderungen sind ja nichts anderes als Steuergelder.

Dann sind wir noch einen Schritt weitergegangen und haben den Weg in die Wirtschaftskammer gesucht. Wir haben unser Leid geklagt, aber hier wurde ganz klar formuliert, dass nicht gegen die Interesse der Industrie agiert werden könnte. Das ist ja auch an der Spitze der Regierung nicht anders. Da die Industrie auch international Gewicht hat, fühlt sich die Regierung stärker verpflichtet als gegenüber den vielen KMUs, auch wenn die in Summe deutlich mehr Menschen repräsentieren.

Pachler: All diese Maßnahmen, die jetzt verzweifelt gegen den Facharbeitermangel gesetzt werden, kommen viel zu spät. Außerdem steht das nächste, viel größere Problem schon vor der Tür.

Report: Welches Problem meinen Sie?

Tucheslau: Wir steuern auf einen eklatanten Firmenmangel zu. Keiner will sich mehr selbstständig machen. Das Vertragswerk, das von den Auftraggebern vorgegeben wird, ist derartig komplex, dass ein kleiner Betrieb das finanziell gar nicht bewältigen kann.

Pachler: Viele dieser Knebelverträge dürfte man gar nicht unterschreiben, aber irgendwann braucht jeder einen Auftrag. Viele dieser Ausschreibungen sind reine Halsabschneiderei.

Tucheslau: Alleine die Vorbemerkungen für den Austria Campus waren eine Herausforderung. Man musste nach Auftragannahme hoffen, dass manches nicht zum Tragen kommt. Teile davon waren für einen Mittelbetrieb juristisch nicht verständlich. Ich habe dieses Bauvorhaben angenommen und aufgrund von einzelnen schlagenden Vorbemerkungen, hauptsächlich oftmaligen Unterbrechungen, Belastungen und Rechnungsabzüge, 55.000 Euro verloren.

Report: Wo müsste man Ihrer Meinung nach ansetzen?

Tucheslau: Hier ist die Wirtschaftskammer gefragt, die ihre vielen KMU auch schützen muss. Es kann nicht sein,dass die Bauindustrie mit ihren aufgeblasenen Rechtsabteilungen mit Vertragsklauseln operiert, die ein durchschnittliches KMU gar nicht verstehen kann.

Report: Gerade jetzt wird sehr viel über Themen wie kooperative Projektabwicklung gesprochen. Eine reine Augenauswischerei aus Ihrer Sicht?

Tucheslau: Ich sag Ihnen eines: Ich habe die letzten großen Projekte mit unserer Leistung durchgeführt, aber egal, welches Sie heranziehen, niemand war bereit, in kurzer Zeit Verantwortung zu übernehmen und eine Entscheidung zu treffen. Egal welches Thema, die heiße Kartoffel wurde immer weitergegeben. Die Branche ist eine Branche voller Angsthasen geworden, in der keiner mehr Verantwortung übernehmen will. Der allgemeine Wunsch nach Digitalisierung wird diese Entscheidungsverzögerung mit all ihrer Transparenz darlegen und oft negative Folgen nach sich ziehen. Whistleblower werden gezüchtet.

Report: Was fordern Sie konkret?

Tucheslau: Wir brauchen wieder Entscheidungsträger, die zu ihrer Verantwortung und ihren Entscheidungen stehen. Die Entscheidungsträger müssen besser in ihrem Unternehmen geschützt sein. Zu meiner Zeit als Bauleiter bei der Alpine war es der Abfertigungsanspruch, der beiden Seiten Sicherheit und Rückendeckung für Entscheidungen gegeben hat. Das hat auch die Zusammearbeit im Betrieb gestärkt.

Pachler: Und wir brauchen wieder mehr Entscheidungsträger, die den Schreibtisch verlassen und selbst auf die Baustelle gehen, um sich ein Bild zu machen.

Report: Macht Ihnen Ihre Arbeit noch Spaß?

Tucheslau: Mir ehrlich gesagt nicht mehr. Ich bin 64 Jahre alt und stolz, am Bau gearbeitet zu haben. Aber ich bin auch froh, das alles bald hinter mir zu haben. Man spricht nicht mehr miteinander, jeder denkt nur an sich.

Pachler: Wo es noch halbwegs funktioniert und auch Spaß macht, ist auf mittleren und kleineren Baustellen. Deshalb hab ich mich vor einigen Jahren auch komplett aus dem Objektgeschäft zurückgezogen.  

Report: Was müsste passieren, damit Sie den Spaß an der Bauwirtschaft wiederfinden?

Tucheslau: Es muss einfach wieder viel mehr in Richtung Eigenpersonal gehen. Die Unternehmen müssen wieder selbst ausbilden. Und die handelnden Personen müssen Verantwortung übernehmen und nicht zum Handlanger von digitalen Lösungen werden. Die Digitalisierung hört bei den Fertigteilen auf, auf der Baustelle ist Schluss, ich kann den Estrich nicht vorproduzieren. Das geht nur auf der Baustelle und ist abhängig von äußeren Rahmenbedingungen. Da muss dann jemand Entscheidungen treffen und dazu stehen.

Report: Aber auch einige Ihrer Branchenvertreter greifen mitunter auf billige Arbeitskräfte aus dem Osten zurück und profitieren so von dem System...

Tucheslau: Das ist richtig. Deshalb muss auch ganz oben angesetzt werden. Ich habe derzeit fünf Schulprojekte am Laufen. Da geht es um Steuergeld, was spricht dagegen, mindestens 75 Prozent Eigenleistung zu verlangen? Die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür gibt es. Beim Krankenhaus Nord hat man auch gesehen, dass ich bei der Kalkulation Rücksicht auf die vorhandenen Ressourcen genommen habe, um die anstehenden Leistungen mit Eigenpersonal umzusetzen. Wird dies nicht schon im Ansatz berücksichtigt, bleibt den Unternehmen ja gar nichts anderes übrig, als sich im Ausland umzusehen.

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