Allianzvertrag: Teil 1 der Serie.
Mehrkostenforderungen und langjährige Streitigkeiten zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern gelten als Part of the Game. Allianzverträge könnten dieser Tradition ein jähes Ende bereiten. Mit einem Risk-Sharing-Ansatz und einem mehrstufigen Vergütungsmodell, von dem beide profitieren oder keiner, werden Auftraggeber und Auftragnehmer zu echten Partnern mit dem gemeinsamen Ziel der bestmöglichen Projektabwicklung. Das erste Allianzprojekt im deutschsprachigen Raum wird aktuell in Tirol umgesetzt.
Ende 2014 fiel in der Tiroler Gemeinde Prutz der Startschuss für das Gemeinschaftskraftwerk Inn. Es handelt sich dabei um das seit vielen Jahren größte Flusskraftwerksprojekt Österreichs, das nach der Fertigstellung jährlich über 400 Millionen kWh Strom aus Wasserkraft erzeugen soll. Ein wesentlicher Teil des Projekts ist ein knapp 22 km langer Triebwasserstollen, für den rund eine Million Kubikmeter Gestein aus dem Berg gebrochen werden. Allerdings stand die Errichtung des Triebwasserstollens von Anfang an unter keinem guten Stern. Die Geologie war schwieriger als erwartet und stellte den Auftragnehmer vor enorme Schwierigkeiten. Als Zeit- und Kostenrahmen des Projekts zu explodieren drohten, zog die Gemeinschaftskraftwerk Inn GmbH die Reißleine und löste Ende 2016 den Vertrag mit dem Auftragnehmer auf. Statt einen neuen Auftragnehmer über einen klassischen Einheitspreisvertrag zu suchen, beschloss der Bauherr auf Betreiben des Mehrheitseigentümers Tiwag diesen vorgezeichneten Weg zu verlassen.
Bild oben: »Wenn das Projekt beendet ist, ist auch die Abrechnung beendet. Es gibt keine jahrelangen Gerichtsstreitigkeiten und keine offenen Forderungen«, erklärt Tiwag-Vorstand Johann Herdina.
»Wir haben uns schon seit längerer Zeit intensiv mit Alternativen zu den üblichen Abwicklungsmodellen beschäftigt«, erklärt Johann Herdina, Vorstandsdirektor für Bautechnik bei der Tiwag. Mehrere Varianten wurden durchgespielt, bevor die Wahl schließlich auf den sogenannten Allianzvertrag fiel. Dabei handelt es sich um eine Vertragsform, die sich speziell in Australien und Neuseeland großer Beliebtheit erfreut. Vereinfacht gesagt, versuchen Allianzverträge »die Interessen der verschiedenen Projektbeteiligten auf ein gemeinsames Ziel, die bestmögliche Realisierung eines Bauprojekts, auszurichten«, erklärt Daniel Deutschmann, Experte für alternative Vertragsmodelle bei Heid und Partner Rechtsanwälte.
Während in Australien rund ein Drittel aller Tief- und Infrastrukturbauprojekte als Allianzvertrag ausgeschrieben wird, betrat die GKI Gmbh Anfang 2017 im deutschsprachigen Raum absolutes Neuland. Da man als Elektrizitätserzeuger nicht dem Bundesvergaberecht unterliegt, waren mit Strabag, Jägerbau und Hinteregger relativ rasch Unternehmen gefunden, die das gemeinsame Wagnis, ein rund 180 Millionen schweres Projekt mit völlig neuen Rahmenbedingungen zu realisieren, in Angriff nehmen wollten. »Ich wusste, dass es in diesen Unternehmen Personen gibt, die ähnlich ticken wie ich und die mit den aktuellen Vertragssituationen und Abwicklungsmodellen unzufrieden waren. Deshalb konnten wir uns schnell darauf, einigen, etwas Neues zu versuchen«, erzählt Herdina.
Gemeinsam zum Erfolg
Allianzverträge setzen auf die partnerschaftliche Zusammenarbeit aller Beteiligten, um Projekte mit hohen Risiken zum Erfolg zu führen. Im Gegensatz zum hierzulande üblichen Claim Management wird bei Allianzverträgen die Zufriedenheit einer Partei nicht auf Kosten der anderen erreicht. Damit es nicht beim Lippenbekenntnis bleibt, ist vertraglich klar festgelegt, dass beide Seiten auch monetär profitieren, wenn sie zusammenarbeiten und das Projekt bestmöglich abwickeln. »Allianzverträge basieren auf einem dreistufigen Vergütungsmodell«, erklärt Deutschmann. In Stufe 1 werden dem Auftragnehmer alle direkten Kosten vergütet, die mit der Bauausführung zusammenhängen. Stufe 2 umfasst sämtliche Overheadkosten und einen Teil des Gewinns.
»Um keinen Anreiz für Kostensteigerung zu liefern oder Kostensenkungen zu bestrafen, wird hier eine Pauschale vereinbart«, erklärt Deutschmann. Und schließlich folgt in Stufe 3 ein Bonus/Malus-System. Dafür werden im Vorfeld unter Berücksichtigung allfälliger Risiken Zielkosten vereinbart. Aus der Differenz zu den tatsächlichen Kosten ergibt sich bei Kostenunterschreitung ein Bonus, von dem auch der Auftraggeber prozentuell profitiert, und bei Kostenüberschreitung ein Malus, wobei der Malus mit dem Gewinn aus Stufe 2 begrenzt ist und der Auftragnehmer somit immer seine tatsächlichen Kosten erstattet bekommt.
Weitere Unterschiede zu herkömmlichen Verträgen betreffen die Organisationsstruktur, das Auswahlverfahren und die Problemlösung. So ist etwa vertraglich festgelegt, dass Streitigkeiten innerhalb der Allianz geklärt werden müssen. Bei der Auswahl der Projektpartner werden in einem ersten Schritt auf Basis von Referenzen Unternehmen identifiziert, die technisch in der Lage sind, ein Projekt zu realisieren. Danach werden Schlüsselpersonen zu Interviews geladen und Workshops veranstaltet, wo etwa Konfliktsituationen simuliert werden. »Es geht darum, das beste Team zu finden, nicht den günstigsten Anbieter. Der Preis spielt hier eine untergeordnete Rolle, weil ohnehin nach tatsächlichen Kosten vergütet wird«, erklärt Deutschmann.
Allerdings steigert ein funktionierendes, harmonisches Team die Chancen auf ein erfolgreiches Projekt. »Davon profitieren dann wieder beide Seiten.«
Größte Hürde bei Allianzverträgen ist die Organisationsstruktur. Auftraggeber und Auftragnehmer besetzen gemeinsam eine hierarchische Projektgesellschaft, die ähnlich aufgebaut ist wie ein Unternehmen. Dafür braucht es entsprechende personelle Ressourcen und vor allem Know-how speziell auf Auftraggeberseite. »Deshalb eignen sich Allianzverträge nur für Auftraggeber, deren Kernkompetenz das Bauen ist«, erklärt Deutschmann.
Bild oben: »Mit Allianzverträgen laufen Auftragnehmer nicht mehr Gefahr, eine Baustelle nicht kostendeckend abwickeln zu müssen. Denn die tatsächlichen Kosten bekommen sie immer vergütet«, erklärt Daniel Deutschmann, Heid und Partner Rechtsanwälte.
Erste Erfahrungen
»Unser Allianzvertrag hat 38 Seiten, wurde in den letzten zwei Jahren aber nie geöffnet, weil alle Projektbeteiligten nur damit beschäftigt sind, die Baustelle optimal abzuwickeln«, sagt Herdina, der von den Vorteilen des Modells überzeugt ist. Interne Berechnungen haben ergeben, dass durch den Allianzvertrag Einsparungen von sechs bis neun Prozent lukriert werden können. Dazu kommt die Planungssicherheit. »Wenn das Projekt beendet ist, ist auch die Abrechnung beendet. Es gibt keine jahrelangen Gerichtsstreitigkeiten und keine offene Forderungen, die ich in der Bilanz zurückstellen muss«, so Herdina. Etwas weniger rosig gestaltet sich das konkrete Projekt aus Auftragnehmersicht. Zwar wurden geologische Risiken in den Zielkosten berücksichtigt, die tatsächlich angetroffenen Schwierigkeiten waren aber deutlich größer als angenommen. Damit erhalten die Auftragnehmer ihren tatsächlichen Aufwand sowie die Overheadkosten ersetzt, aus einem zusätzlichen Bonus wird aber nichts.
Die Tiwag hingegen plant aufgrund ihrer positiven Erfahrung, im Herbst ein weiteres Kraftwerksprojekt als Allianzvertrag auszuschreiben. »Aktuell wird viel über Lean Management gesprochen. Allianzverträge sind das ideale Instrument, um Lean Management in der Praxis umzusetzen«, so Herdina.n
Lesen Sie in der nächsten Ausgabe: des Bau & Immobilien Report, wie Auftragnehmer über Allianzverträge denken.
Die größten Vorteile von Allianzverträgen
+ Hohe Flexibilität
+ Hohe Kosten- und Terminsicherheit
+ Risikoteilung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer
+ Gemeinsamer wirtschaftlicher Erfolg oder Misserfolg
+ Garantierte Kostendeckung für Auftragnehmer
+ Hohes Potenzial zur Kostenreduktion
+ Starker gemeinsamer Fokus auf das Projekt
Was Allianzverträge anders machen ...
Die wesentlichen Punkte, in denen sich Allianzverträge von herkömmlichen Vertragsmodellen unterscheiden:
Risk-Sharing-Ansatz: Bei Allianzverträgen wird zusätzlich zu den Risikobereichen von Auftragnehmern und Auftraggebern eine gemeinsame Risikoebene eingeführt. Durch die gemeinsame Risikoübernahme steigt das Bestreben, auch gemeinsame Lösungen zu finden.
Vergütungsmodell: Allianzverträge bauen auf einem dreistufigen Vergütungsmodell auf. Stufe 1 enthält die tatsächlichen Kosten, Stufe 2 die Overheadkosten und Stufe 3 eine Bonus/Malus-Systematik. Aus der Differenz zu den tatsächlichen Kosten ergibt sich bei Kostenunterschreitung ein Bonus und bei Kostenüberschreitung ein Malus, wobei der Malus mit dem Gewinn aus Stufe 2 begrenzt ist.
Organisationsstruktur: Auftraggeber und Auftragnehmer besetzen gemeinsam eine hierarchische Projektgesellschaft, die ähnlich aufgebaut ist wie ein Unternehmen.
Problemlösung: Probleme werden innerhalb der Projektallianz gelöst. Es geht nicht um eine Fehlerzuweisung, sondern darum, so schnell wie möglich alle Ressourcen für die Projektlösung zu aktivieren.
Auswahlverfahren: Bei der Auswahl des passenden Auftragnehmers geht es darum, das beste Team für ein Projekt zu finden. Weil ohnehin die tatsächlichen Kosten vergütet werden, kann der Preis in den Hintergrund treten. Ein funktionierendes, harmonisches Team erhöht aber die Chancen auf ein erfolgreiches Projekt, wovon beide Seiten monetär profitieren.