Die Wiener Bauordnungsnovelle, die 2019 in Kraft trifft, erntet in der Immobilienbranche neben Lob auch Kritik. Während die strengeren Regeln für Abbrüche viele Marktteilnehmer verärgern, werden diverse Lockerungen sowie die neue Widmungskategorie für geförderten Wohnbau einstimmig begrüßt. Um mehr leistbaren Wohnraum zu schaffen, wären aber noch mehr Reformen notwendig – auch beim Mietrecht.
Von Andre Exner
Würde der Filmklassiker »Der dritte Mann« heute gedreht, gäbe es keinen Mangel von passenden Drehorten – vielerorts fühlt man sich in Wien wieder in die Nachkriegszeit versetzt. Ob am Gürtel, an der Wienzeile oder in Nobelbezirken, überall stehen halb abgerissene Häuser, die wie von einem Bombeneinschlag zerstört wirken. Eine Folge der Wiener Bauordnungsnovelle: Während die meisten Maßnahmen (siehe Kasten) mit Jahresbeginn 2019 in Kraft treten sollen, wurde der De-Facto-Abrissverbot für Altbauten vorgezogen und über Nacht eingeführt, mit dem erwähnten Resultat. »Es ist nicht ausgeschlossen, dass einige Hauseigentümer den Bescheid bekommen werden, dass sie das Haus wiederaufbauen müssen«, sagt Sandra Bauernfeind, geschäftsführende Gesellschafterin EHL Wohnen GmbH. Doch selbst wenn durch die neuen Spielregeln einfach weniger alte Substanz abgebrochen und neue errichtet wird, sind Auswirkungen am Markt zu erwarten: »Derzeit gibt es am Zinshausmarkt viel Verunsicherung. Manche Bauträger sind von einem potenziellen Kauf eines Althauses zurückgetreten, weil sie nicht wissen, ob der Abriss erlaubt wird oder nicht.«
Verunsicherung nach Abbruchverbot
»Es ist nicht ausgeschlossen, dass einige Häuser wieder aufgebaut werden müssen«, sagt EHL-Geschäftsführerin Sandra Bauernfeind. (Bild: EHL Wohnen)
»Teilweise stehen nun in Wien halb abgerissene Zinshäuser und keiner weiß, wie es damit weiter geht bzw. gehen soll«, ärgert sich auch Michael Schmidt, Geschäftsführer der 3Si Immogroup. »Hier geht den Bewohnern der Stadt Wien auf Jahre Wohnraum verloren. Und es wird auch in Zukunft schwieriger, in den bereits dicht besiedelten Gebieten neuen Wohnraum zu schaffen. Es bleibt lediglich der Dachausbau, der aber aufgrund der Kosten nicht immer wirtschaftlich sinnvoll ist.« Zur Erinnerung: Durch ein Gerichtsurteil ist der zweistöckige Ausbau von Dachgeschoßen in Wien bereits seit dem Frühjahr nur in Ausnahmefällen erlaubt – mit massiven Folgen für Immobilienentwickler.
Auch der Haus- und Grund besitzerbund ÖHGB oder der Immobilienverband ÖVI kritisieren die Einführung der strengen Abbruchregeln über Nacht und warnen vor negativen Folgen für den Markt. Hinter den Kulissen zeigen jedoch selbst direkt betroffene Player oft Verständnis: So sei es verständlich, dass die Stadtväter das Stadtbild möglichst bewahren wollen, denn ohne Gründerzeithäuser wäre Wien nicht die Stadt mit der höchsten Lebensqualität weltweit, meint der Geschäftsführer von einem der größten privaten Wohnimmobilienentwickler in Wien. Auch Bauernfeind erwartet eine Beruhigung, sobald Klarheit über die neuen Regeln für Abbrüche herrscht. Und die neuen Spielregeln betreffen ja nicht nur die Abbrüche, sagt sie: »Die Bauordnungsnovelle enthält auch sinnvolle Maßnahmen, vor allem zu bautechnischen Erleichterungen.«
Boom bei Smart-Wohnungen erwartet
ÖSW-Vorstand Michael Pech freut sich über die neue Widmungskategorie für den geförderten Wohnbau und erwartet sich dadurch eine deutliche Preisdämmung. (Bild: OESW Philipp Tomsich)
Eine deutliche Verbesserung dürfte eine Kombination von mehreren Punkten in der Novelle bringen: Die Senkung der erlaubten Mindestwohnungsgröße bei gleichzeitiger Streichung der verpflichtenden Kellerabteile und Lockerung der Stellplatzverordnung dürfte einen Boom bei Mini-Wohnungen bringen. »Das ist sehr positiv zu sehen«, meint Bauernfeind – zumal Neubauwohnungen mit Mieten unter 500 Euro pro Monat derzeit besonders gesucht sind, in den typischen Vorsorgewohnungsbauten jedoch meistens nur Einheiten um 40 bis 60 Quadratmeter und damit auf einem deutlich höheren Mietniveau errichtet wurden.
»Dass Bad und WC auch in einem Raum sein dürfen, gibt grundsätzlich mehr Entfaltungsfreiheit bei den Grundrissen. Auch die Verringerung der Mindestquadratmeter ist sicherlich die positive Seite der neuen Bauordnung«, findet auch der 3Si-Chef. Denn die kleinen Smart-Wohnungen entsprechen dem Trend zur »Lebensabschnittswohnung«: Moderne Kleinstwohnungen werden selbst von Studenten heute oft nicht gemietet, sondern mit Bankkredit oder finanzieller Unterstützung der Eltern gekauft. Nach dem Abschluss des Studiums wird die Startwohnung vermietet, um das für Hochschulabsolventen bekanntlich niedrige Einstiegsgehalt etwas »aufzumotzen«.
Natürlich braucht es nicht nur Garconnieren und »Zimmer-Kuchl-Kabinett«, sondern auch Wohnungen, die für Familien mit Kindern geeignet sind. Eine weitere Neuerung, die allen gefällt, ist daher die Einführung einer eigenen Widmungskategorie für den sozialen Wohnbau. »Das ist durchaus zu begrüßen, insbesondere die Limitierung der Grundkosten mit 188 Euro pro Quadratmeter oberirdischer Bruttogrundfläche«, sagt Michael Pech, Aufsichtsratsvorsitzender des Österreichischen Verbandes gemeinnütziger Bauvereinigungen und Vorstand der ÖSW: »Wir erwarten dadurch eine Preisdämmung bei den zuletzt enorm gestiegenen Liegenschaftspreisen in Wien.« Er meint jedoch, dass es noch weitere Maßnahmen brauche – und zwar in ganz Österreich –, um noch mehr leistbaren Wohnraum zu schaffen.
»Der Einstieg der Pensions- und Mitarbeitervorsorgekassen in die Finanzierung von sozialem Wohnbau wäre ein sinnvoller Schritt«, sagt Pech, die von der Bundesregierung beschlossene Liquidation der Wohnbauinvestitionsbank WBIB war jedoch »ein falscher Schritt zum falschen Zeitpunkt«.
Insgesamt dürfte die Bauordnungsnovelle also tatsächlich dazu beitragen, leistbares Wohnen zu fördern und die Neubautätigkeit anzukurbeln. Doch unabhängig davon, wie es mit den derzeit stillgelegten Baustellen in der Stadt weitergeht – die größte Baustelle bleibt: Das Mietrecht. Und diese anzugehen, wäre ratsam, meint IIBW-Chef Wolfgang Amann (siehe Nachgefragt). Auch ÖHGB-Präsident Martin Prunbauer ist überzeugt, dass sich bei Verbesserung der rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen für die Vermietung auch viele der angesprochenen Probleme von selbst erledigen: Sobald sich die Sanierung von Althäusern über die Miete finanzieren lässt, wird auch die letzte Abrissbirne in Wien abmontiert.
Wiener Bauordnungsnovelle: Die Maßnahmen im Überblick
♦ Strengere Regeln für Abbrüche von vor 1945 errichten Häusern
♦ Neue Widmungskategorie »geförderter Wohnbau«
♦ Wohnungsmindestgröße wird von 30 Quadratmeter auf 25 Quadratmeter reduziert
♦ WC und Bad müssen nicht getrennt sein
♦ Pflicht-Kellerabteile fallen weg
♦ Verbot von Kurzfrist-Vermietungen
♦ Lockerung der Stellplatzverpflichtung
♦ Einfachere Bauverfahren für Häuslbauer