Digitalisierung ist kein Projekt, das man abschließt, sondern muss ein integraler Bestandteil der täglichen Arbeit sein. Der Bau & Immobilien Report zeigt, wo die größten Potenziale schlummern, wo Aufholbedarf besteht und wie die digitalen Strategien einiger prominenter Branchenplayer aussehen.
Nicht nur die aktuellen Korruptionsvorwürfe haben dafür gesorgt, dass die Bauwirtschaft mal wieder in schiefes Licht gerückt ist. Auch davor sah sich die Branche vielfach mit gesellschaftlichen Vorurteilen und einem schlechten Image konfrontiert. Massive Kostenüberschreitungen bei Bauprojekten, Milliardenpleiten oder TV-Sendungen wie „Pfusch am Bau“ zeichnen kein allzu freundliches Bild der Baubranche. In der Digitalisierung sehen viele Experten nicht nur die Chance auf eine enorme Produktivitätssteigerung, sondern auch den Grundstein für einen radikalen Imagewandel. Transparenz, durchgehende Prozesse und digitale Aufklärung können dem Baubetrieb einen enormen Modernisierungsschub verleihen. Mit Building Information Modeling werden Bauprojekte zukünftig von der Planung über den Bau bis zur Instandhaltung digital vernetzt sein. Auch andere digitale Technologien wie Automatisierung, 3D-Druck, VR-Brillen und Drohnen werden die Baustelle verändern. Dazu kommt die Digitalisierung von internen Prozessen und Abläufen.
Fakt ist, dass Digitalisierung ein relativ schwammiger Begriff ist und jeder darunter etwas anderes versteht. Für den einen bedeutet es das papierlose Büro, andere denken an Roboter auf der Baustelle oder den digitalen Gebäudezwilling – und alle haben recht. Nicht zuletzt deshalb läuft seit Herbst letzten Jahres an der TU Wien eine Studie, die sich mit den Potenzialen der Digitalisierung in der Bauwirtschaft befasst. Die ersten Ergebnisse werden im Herbst dieses Jahres erwartet. Der Bau & Immobilien Report zeigt schon jetzt, wohin die Reise gehen kann, und analysiert Potenziale und Nachholbedarf und wo einzelne Branchenvertreter bei ihrer digitalen Reise aktuell stehen.
Mehr Transparenz
Den größten Nachholbedarf sieht Oliver Krizek, Eigentümer und Geschäftsführer des unter anderem auf Bauwirtschaft spezialisierten IT-Systemhauses Navax, in der gesamtheitlichen Abbildung sämtlicher Bauprozesse – von der Planung über die Umsetzung bis zur Instandhaltung von Projekten. »Die Integration sämtlicher Informationswege ist eines der großen Themen der Bauwirtschaft«, sagt Krizek. Wichtig ist dabei, alle Teilsysteme in ein Gesamtsystem zusammenzuführen. »Damit können alle Zahlen und Daten ausgewertet werden, um jederzeit den Erfolg jedes einzelnen Projektes bzw. jeder einzelnen Baustelle darzustellen und die Übersicht zu bewahren.«
Bild oben: Den Hauptnutzen, den Bauunternehmen aus der Digitalisierung ihrer Prozesse ziehen können, sieht Navax-CEO Oliver Krizek in der Transparenz des Ertrags- und Kostenflusses.
Den Hauptnutzen, den Bauunternehmen aus der Digitalisierung ihrer Prozesse ziehen können, sieht Krizek in der Transparenz des Ertrags- und Kostenflusses. »Damit können Prozesse hinterfragt, evaluiert und eingespart werden.« Für die Unternehmen wird nachvollziehbar, wo Gewinne und wo Verluste gemacht werden – wenn es etwa überdurchschnittlich viele Planungsfehler gibt oder sich Ausführungsfehler häufen, was an vielen Gewährleistungsfällen erkennbar ist, die im Hintergrund laufen. »Aus den Erkenntnissen dieser faktischen Information können Unternehmen entsprechende organisatorische und inhaltliche Änderungen vornehmen.«
In der Unternehmensverwaltung schlummert enormes Potenzial, ebenso in der Integration von Subunternehmen. Gefragt sind geringere Standzeiten, optimale Nutzung der Baugeräte wie auch Optimierung der Logistik der Baugeräte. Damit einher geht die mittelfristige Auslastungsplanung. »Mit einem integrierten System ist es für die Unternehmen möglich, zu erkennen, wo Engpässe oder Leerläufe zu erwarten sind. Somit kann man dem rechtzeitig gegensteuern. Dadurch werden Lieferverzüge bzw. kostenintensive Stillstände vermieden«, erklärt Krizek, der mit Navax als Komplettanbieter alles aus einer Hand anbieten kann: von der Projektabwicklung über die Lohnabrechnung bis hin zu speziellen, für die Baubranche entwickelten Business Intelligence (BI) Dashboards, um jederzeit von überall auf die aktuellen Daten zugreifen zu können. Die Kosten für die Digitalisierung beziffert Krizek – je nach Ausführung und Umfang – mit 5.000 bis 10.000 Euro.
Vereinzelte Frontrunner
Die heimische Bauwirtschaft ist in Sachen Digitalisierung sehr heterogen aufgestellt. Während manche noch ganz am Anfang stehen und nur widerwillig auf den Zug aufspringen, sind andere mittendrin im Prozess. Und der kann mitunter schmerzhaft sein, wie Stefan Graf, CEO Leyrer + Graf, im großen Report-Interview offen anspricht (siehe S. 26). In der Regel gilt, dass die Großen deutlich weiter sind als die Kleinen.
Bei der Porr ist etwa mit der Roadmap 2020 aktuell ein umfassendes Projekt zur Prozessoptimierung im Laufen. Dabei liegen die Schwerpunkte im Wesentlichen auf allen Teilprozessen der vier typischen »End to end»-Prozesse Beschaffung, Personal, Anlageninvestitionen sowie des gesamten Prozesses von der Auftragsakquisition bis zum Zahlungseingang. «In all diesen Bereichen wollen wir die derzeit noch papiergetriebenen Prozesse zuerst optimieren, dann vereinheitlichen und im Anschluss digitalisieren«, erklärt Porr-CEO Karl-Heinz Strauss.
Das größte Potenzial sieht er in einem ersten Schritt im kaufmännischen Bereich, bei der Beschaffung und den Anlageninvestitionen. Als Nächstes sollen dann die technischen Aufgabengebiete folgen. »Da denke ich primär an das Arbeiten mit BIM, das eine bereichsübergreifende Vereinheitlichung der Prozesse mit sich bringt – beispielsweise in der Kalkulation, in den Bauabläufen oder in der Logistik. Relevante und aktuelle Informationen sind dann zu jeder Zeit am richtigen Ort sofort verfügbar«, so Strauss.
Bild oben: »Die Digitalisierung wird einen tiefgreifenden Effizienzschub bringen. Bereits heute verzeichnen wir erste solide Erfolge«, erklärt Porr-CEO Karl-Heinz Strauss.
Aktuell schafft die Porr die Basis für durchgängige digitale Lösungen. Denn so wie in vielen anderen Unternehmen auch, gab es auch bei der Porr bislang zahlreiche Insellösungen. 2018 soll dann die Digitalisierung des Workflows folgen, dazu zählen Rechnungs- und Bestellfreigaben, aber auch Wareneingangsmeldungen oder Workflows im HR-Bereich, wie beispielsweise Reisekosten- oder Urlaubsfreigaben. Auch der technische Workflow im Bauablauf selbst ist betroffen. »Beispielsweise, wenn es um die digitalisierte Massenerfassung bei größeren Bauvorhaben im Tiefbau geht oder im Anschluss um die automatisierte Vermessung aus den Plänen direkt auf der Baustelle. Auch Bautagesberichte sollen zukünftig über Apps erstellt werden«, erklärt Strauss. Inhalte wie Wetterdaten oder Infos zur Geräteauslastung könnten dann automatisch aus anderen Systemen eingespielt werden.
Aber auch kleinere Bauunternehmen sind mitunter gut im Rennen. Bei Riederbau etwa läuft aktuell die zweite Welle der Digitalisierung, die großen Einfluss auf die Organisation und die Prozesse des Unternehmens hat. »Um BIM einführen zu können, haben wir eigens ein Planungsteam aus allen Fachdisziplinen aufgebaut und die digitale Baustelle für alle Poliere und Vorarbeiter eingeführt«, erklärt Anton Rieder. Wie viele andere bestätigt auch Rieder, dass es nicht in erster Linie um Hard- und Software geht, sondern um die Unternehmenskultur, ein gesamtheitliches Verständnis von Digitalisierung und vor allem »die Knochenarbeit bei der Implementierung«. Optimierungen entstehen auch bei Rieder durch integrierte Systeme wie BIM oder ERP, die aus Insellösungen integrierte und standardisierte Gesamtlösungen machen. »Das verbessert die Prozesse und schafft einen Informationsgewinn für die produktive Arbeit«, so Rieder.
Digitalisierung ist Chefsache
Einigkeit herrscht darüber, dass die Digitalisierung Chefsache sein muss. »Digitalisierung hat immer direkte Auswirkungen auf die Organisation. Und das kann man nicht delegieren«, ist Stefan Graf überzeugt. Ähnlich sieht man das auch bei Wienerberger Ziegelindustrie, wo sämtliche Digitalisierungsprojekte zentral an die Geschäftsführung berichtet werden. Die aktuell größten Potenziale sieht Geschäftsführer Franz Kolnerberger in den Bereichen Logistik und Marketing. „Dafür haben wir zusätzliche Experten ins Unternehmen geholt. Außerdem tauschen sich unsere Mitarbeiter laufend mit den digitalen Teams aus der Wienerberger AG aus, um immer am Puls der Zeit zu sein«, erklärt Kolnerberger, der für die nächsten Monate mehrere digitale Services und Apps für Endkunden und Verarbeiter ankündigt. Das reicht von einem Dachvisualisierungstool bis zum digitalen Bautagebuch und einem U-Wert-Berechner. »Intern stellen wir kontinuierlich Prozesse um und nutzen digitale Möglichkeiten, um den Mitarbeitern den Berufsalltag zu erleichtern«, so Kolnerberger.
Bild oben: »Digitalisierung und digitale Transformation liegen als Schlagwörter aktuell sehr im Trend. Inhaltlich handelt sich aber um die logische und auch notwendige Konsequenz, sich als Unternehmen stets weiterzuentwickeln«, ist Peri-Geschäftsführer Christian Sorko überzeugt.
Beim Schalungsspezialisten Peri hat man auf den Megatrend der Digitalisierung mit der Gründung des Digital Transformation Office reagiert, um die notwendigen Strukturen innerhalb des Unternehmens zu schaffen. Dennoch ist es laut Peri-Österreich-Geschäftsführer Christian Sorko »weiterhin unerlässlich, dass sich die verschiedensten Bereiche und alle Abteilungen mit dem Thema Digitalisierung auseinandersetzen«. Einerseits innerhalb des jeweiligen, eigenen Fachbereichs, andererseits auch über den Tellerrand hinaus. Das Digital Transformation Office übernimmt hier eine unterstützende und koordinierende Funktion.
Das größte Potenzial sieht Sorko in der Optimierung der bestehenden Prozesslandschaft. »Durch die Nutzung verfügbarer Technologien lassen sich sämtliche Prozessschritte effizienter und wesentlich weniger fehleranfällig gestalten.« Zum anderen biete die Digitalisierung enorme Möglichkeiten einer verbesserten Kundenorientierung. »Es reicht nicht mehr aus zu wissen, was der Kunde will. Wir müssen vielmehr verstehen, was der Kunde benötigt!« Digitale Geschäftsmodelle und zusätzliche Serviceleistungen würden diesen Paradigmenwechsel ermöglichen. Der Kunde soll dann nicht nur das physische Produkt bekommen, sondern Lösungen.
Langfristig will man bei Peri nicht nur die eigenen Prozesse digitalisieren, sondern sich auch in die Prozesse der Kunden integrieren. »Hierfür haben wir bereits Projekte gestartet und werden in Zukunft auch weiterhin entsprechende Projekte lancieren«, will Sorko noch nicht zu viel verraten.
Schon weiter in Sachen Digitalisierung ist man beim Kranspezialisten Palfinger. Industrie 4.0 wurde schon vor Jahren realisiert und die Produktion bzw. die internen Prozesse sind laut Konzernsprecher Hannes Roither zumindest teilweise digitalisiert. Jetzt kümmert man sich um die Produktebene. »Digitalisierung ist ein Schlagwort, eigentlich geht es um Kundennutzen. Deshalb wollen wir smartere Produkte haben«, erklärt Roither. Schon heute werden zahlreiche Sensoren verbaut, jetzt gilt es diese Informationen auch sinnvoll zu nutzen. Eine Möglichkeit wäre etwa ein völlig neues Abrechnungsmodell, bei dem der Mieter eines Krans nicht mehr nach Zeit, sondern nach gehobenen Lasten zahlt. »Das ist für den Vermieter natürlich ein enormer Wettbewerbsvorteil und wird auch seitens der Endkunden bereits nachgefragt«, so Roither.
Bereits jetzt hat Palfinger etwa das Diagnosetool Smart Box und die Augmented-Reality-Brille Smart Eye vorgestellt, die Servicetechnikern die Fehlersuche erleichtern und die Reparatur beschleunigen soll. Bisher musste der Techniker die Überprüfung einer mit bis zu 80 Sensoren ausgestatteten Hubarbeitsbühne zeitintensiv mit neuen Sensoren durchführen. Mit der Box lässt sich die Ursache auf Knopfdruck feststellen. Mit Smart Eye kann ein Produktspezialist zum Reparaturvorgang hinzugezogen werden. Unabhängig davon, wie weit entfernt er tatsächlich ist, sieht er auf seinem Display das gleiche Bild wie der Servicetechniker. So kann er in Echtzeit bei der Arbeit an der Hubarbeitsbühne unterstützen und Hilfestellung geben.
Studie: 35 % warten mit Investitionen noch ab
Laut einer aktuellen Umfrage des KSV1870 unter 1.000 Mitgliedern und Kunden sind 73 % der Unternehmen der Meinung, dass die fortschreitende Digitalisierung direkte Auswirkungen auf sie haben wird. Der überwiegende Teil (56 %) rechnet damit, dass diesen mit moderaten Anpassungen begegnet werden kann. Den höchsten Bedarf für Digitalisierungsmaßnahmen orten 73 % der befragten Unternehmen in der Administration bzw. im Vertrieb (54 %). Für diese Bereiche werden daher auch die meisten Maßnahmen geplant. Generell werden 65 % der Unternehmen in den kommenden Monaten in Digitalisierung investieren. Der Rest sieht noch keinen Bedarf.
Gefragt nach den größten Gefahren, die mit der Digitalisierung einhergehen, werden Hackerangriffe bzw. die Cyberkriminalität per se als Nummer eins genannt, doch auch der Verlust an Arbeitsplätzen sowie die Datensicherheit bereiten in diesem Zusammenhang Sorgen.
Online-Umfrage
Studie „Potenziale der Digitalisierung im Bauwesen
Das Institut für Interdisziplinäres Bauprozessmanagement an der TU Wien erstellt derzeit im Auftrag von BMVIT und WKO die Roadmap ,,Potenziale der Digitalisierung im Bauwesen“. Ziel des Forschungsprojektes ist die Ausarbeitung eines strategischen Plans für die schrittweise Umsetzung von Digitalisierungs- und Vernetzungsprozessen in allen Projektphasen.
Ihre Meinung ist für die Roadmap wesentlich und bietet Ihnen die Gelegenheit, Ihre Zukunft durch gezielte Forschungsarbeit aktiv mitzugestalten.
Zugang zu dieser Umfrage erhalten Sie über den folgenden Link: http://bit.ly/digibau