Montag, Dezember 23, 2024

Start der Serie: Frauen in der Bauwirtschaft. Teil 1: Gender am Bau

»Wenn ich auf dem Bau auftrete, wird oft gefragt, wann der Chef nun kommt«, so eine Zivilingenieurin für technische Physik. Ist sie mit dieser Situation allein? Wie steht es um Frauenkompetenz am Bau? Welche Hürden sind noch zu meistern? Wie muss man sich präsentieren? Der Bau+Immobilien Report hat sich umgehört.

Die Baubranche bietet heute viele Karrierechancen und Entwicklungsmöglichkeiten für engagierte Frauen, von bautechnischer Zeichnerin über Maurerin bis zur Bautechnikerin«, berichtet Anja Forster, Abteilungsleiterin Großprojekte Tiefbau bei Porr. Frauen in Technikberufen sind in Österreich allerdings die Ausnahme. Nur 15 Prozent der Fachkräfte sind weiblich. »Die Baustelle ist noch immer eine Männerdomäne«, betont Univ.-Prof. Andreas Kolbitsch, Studiendekan der Fakultät für Bauingenieurwesen an der TU Wien. Die direkte Arbeit sei schwierig, spreche Absolventinnen nicht so an, weiß Kolbitsch, der selbst ein Zivilingenieurbüro betreibt. Er berichtet jedoch von einer Mitarbeiterin, die zuständig für Abnahmen auf der Baustelle war und von den Arbeitern voll anerkannt wurde. Viele junge Frauen äußern laut Anja Forster von Anfang an den klaren Wunsch, im Zuge ihrer beruflichen Laufbahn auch auf die Baustelle zu wollen. Baumeisterin Renate Scheidenberger, Geschäftsführerin von Baukultur, merkt an: »Es gibt viele Bereiche im Bauwesen, in denen Frauen ihre Fähigkeiten und Stärken ausspielen können, allerdings sind für die körperlich oft extrem anstrengenden handwerklichen Tätigkeiten die wenigsten Frauen von Natur aus geschaffen.«

Renate Scheidenberger (Baukultur)

»Ausschlaggebend für meinen Bau-Weg war meine Begeisterung, aus etwas Altem oder Bestehendem Neues zu entwickeln«, erinnert sich Baumeisterin Renate Scheidenberger, Geschäftsführerin von Baukultur. Architektur hat sie ebenso interessiert wie alte Bausubstanz. Nach der Matura hat sie sich für das Kolleg Bautechnik, Restaurierung und Ortsbildpflege in Krems entschieden. Das war ihr Eintritt in die Welt der Altbausubstanz. Zu Beginn sei v.a. die Neugierde da gewesen. »Ich hatte immer schon im Hinterkopf den Gedanken, mich selbstständig zu machen, daher habe ich zusätzlich die Baumeisterprüfung absolviert. In Folge habe ich in namhaften Büros bei zahlreichen Projekten mitgearbeitet. Über das Ludwig Boltzmann Institut für archäologische Bauforschung und Denkmalpflege bot sich mir die Gelegenheit, bei den Restaurierungsarbeiten und der Bestandssicherung bei den Ausgrabungsarbeiten in Troja mitzuwirken. 2002 gründete ich dann mein Unternehmen Baukultur.« Heute bestimmt großteils die Sanierung von Gründerzeithäusern das Arbeitsleben der überzeugten Baufrau Renate Scheidenberger. Ihr privates Interesse gilt der bildenden Kunst, in ihrer Freizeit hält sie ihr Hund Mimi auf Trab.

Frau am Bau

Für Michaela Gindl, Co-Leiterin der Stabsstelle für Gleichstellung und Gender Studies an der Donau-Universität Krems, ist es erstaunlich, dass viele Mädchen eine doch eher veraltete und eingeengte Vorstellung von Technikberufen haben. Vielfach herrscht die Meinung, eine Bauausbildung sei physisch schwer – so als müsste man das Technikstudium auf der Baustelle verbringen und ständig Hauswände hochziehen. »Viele junge Frauen werden vom hohen Anteil an naturwissenschaftlichen Fächern abgeschreckt, die am Anfang eines Studiums viel Zeit in Anspruch nehmen. Sie haben oft mit dem späteren Beruf wenig zu tun«, weiß Univ. Prof. Andreas Kolbitsch.

Auch hier ist ein Wandel zu sehen. Vor acht Jahren lag der Anteil der Studentinnen deutlich unter 20 Prozent, heute erreicht er etwa ein Viertel. Jacqueline Raab, die an der Fakultät für Bauingenieurwesen der TU Wien im April 2016 ihre Diplomarbeit eingereicht hat, nennt weitere Zahlen: Waren es im Jahr 1994 nur 81 weibliche Studienanfängerinnen, entschieden sich 2014 bereits 193 für dieses Studium. 1994 schlossen lediglich fünf Frauen das Studium ab, 20 Jahre später waren es immerhin 38. Der Frauenanteil ist v.a. in der Bau-Verwaltung überdurchschnittlich hoch, etwa bei Baubehörden, in Prüfanstalten und Planungsbüros. Auch der Bereich Marketing und Kommunikation liegt vorwiegend in Frauenhand. Langsam erfolgt aber ein Wandel. Frauen bringen viel soziale Kompetenz mit. Besprechungen und Diskussionen werden laut Univ.-Prof. Kolbitsch günstig beeinflusst. Dass in den höheren betrieblichen Ebenen die technischen Aspekte alleine nicht entscheidend sind, weiß Baumeisterin Renate Scheidenberger, gefragt ist hier auch hohe soziale Kompetenz. »Die Technik haben wir im Griff, etwa wie man eine schwierige Unterfangung macht oder einen Dachboden ausbaut.«

Lydia Lehner (Strabag)

Die 27-jährige Lydia Lehner wird heuer mit dem Studium Bauingenieurwesen an der TU-Wien fertig und arbeitet als Technikerin auf einer Strabag-Wohnbau-Baustelle in Wien. »Ich bin die rechte Hand des Bauleiters, berechne Mengen und Massen und bin verantwortlich für die Personalkontrolle für Subunternehmer.« Ihre Diplomarbeit hat Fertigbetonelemente im Hochbau zum Thema. Das Architekturstudium hat sie abgebrochen als sie gemerkt hat, dass ihr Interesse nicht in der kreativen Zeichnerei liegt, sondern in der angewandten Technik. »Ich bin eine technisch interessierte Person. Mathematik war schon immer eines meiner Lieblingsfächer an der Schule, auch darstellende Geometrie. Ich habe eine Handelsakademie besucht. Da hat keine meiner Klassenkameradinnen verstanden, wieso mir Mathematik gefällt und wieso ich auf die technische Universität gehe und schon gar nicht, wieso ich mich für Bauingenieurwesen entschieden habe. Ich möchte auf jeden Fall im Baubereich bleiben und ich bin froh, dass ich diesen Schritt gewagt habe.«

Bonus Frau

Jacqueline Raab zitiert eine Bausachverständige: »Baukompetenz wird leider immer noch den Männern zugeschrieben. Frauen müssen sich das Vertrauen erst durch kompetentes Auftreten, Wissen und Handeln erarbeiten.« Als Frau etwas Technisches zu studieren, ist noch nicht Standard. Der Hebel zum Wandel sollte bereits in der Schule gesetzt werden. Gindl: »Mädchen muss bewusst werden, dass technische Berufe nicht nur den Burschen vorbehalten sind und Frisörin oder Kindergärtnerin keine typischen Mädchenberufe darstellen.« Frauen, die in der Technik erfolgreich sind, haben meist eine harte Schule hinter sich. Eine dieser starken Persönlichkeiten ist Baumeisterin Renate Scheidenberger.

Sie ist seit mehr als 25 Jahren im Geschäft, und hat mit ihrem Unternehmen viele Projekte erfolgreich umgesetzt. »Das ist die Visitenkarte für Durchsetzungskraft, für Verlässlichkeit und Ausdauer«, betont sie. Fehlenden Respekt auf der Baustelle kennt die 46-Jährige nicht. Anja Forster von Porr ergänzt: »Meine persönlichen Erfahrungen zeigen: Gemischte Baustellen sind definitiv von Vorteil. Der Ton der männlichen Kollegen ist weniger rau, wenn eine Frau dabei ist. Dadurch gewinnt das Betriebsklima.« Unbedingt notwendig am Bau sei eine große Portion Humor. Ingrid Janker, Geschäftsführerin von Knauf: »Außerdem bin ich der Meinung, dass man nicht immer das Gender-Thema hervorkehren sollte. Wenn man selbst neutral damit umgeht, dann reagiert meiner Erfahrung nach das Umfeld genauso.«

Ingrid Janker (Knauf)

Ingrid Janker ist seit 2001 für Knauf aktiv. »Ausschlaggebend für meine Entscheidung für Knauf war, in der Exportabteilung eines Unternehmens arbeiten zu können, das sich sehr stark in Osteuropa engagiert und jungen Menschen die Chance und Freiheit bietet, sich zu entwickeln und zu etablieren.« 2003 hat Janker die Vertriebsleitung in Rumänien übernommen, 2007 die Geschäftsführung in Bulgarien und 2013 schließlich für beide Länder. Seit November 2015 zeichnet sie als Geschäftsführerin von Knauf Österreich und Slowenien verantwortlich. »Ich bin sehr herzlich von meinen KollegInnen empfangen und sofort als Teammitglied akzeptiert worden«, erinnert sich Janker an ihre ersten Tage. Hilfreich waren ihr Durchhaltevermögen und die Zielstrebigkeit, die dazu führen, dass sie auch bei schwierigen Rahmenbedingungen nicht so leicht aufgibt. »Die Tatsache, dass das Bauwesen überwiegend von Männern dominiert war und ist, spielt keine Rolle. Wenn man wirklich will, kann man überall reüssieren.« Ihren Karriereweg würde Janker heute wieder so einschlagen. »Speziell meine Jahre in Osteuropa waren sehr prägend. Die einzige Frage, die ich mir manchmal stelle, ist, ob es nicht interessanter gewesen wäre, ein technisches Studium zu absolvieren statt eines wirtschaftlichen.«

Ethik am Bau

Für Lydia Lehner ist das Geschlechtsspezifische nicht ausschlaggebend. »Als junger Mensch muss man sich immer den Respekt erkämpfen.« Es brauche Persönlichkeit. So sieht es auch Anja Forster von Porr: »Bei uns zählen starke Persönlichkeiten mit hoher Motivation und bes­ter Qualifikation – unabhängig davon ob Mann oder Frau.« Porr hat ähnlich wie Strabag und Rhomberg Bau Ethik-Richtlinien aufgesetzt. Ein Auszug: Porr toleriert keine Form der Diskriminierung und fördert Chancengleichheit sowie Gleichbehandlung, ungeachtet Hautfarbe, Nationalität, Geschlecht oder Alter. Eine herabwürdigende Behandlung von Arbeitskräften wie etwa durch psychische Härte, sexuelle Belästigung und dergleichen wird nicht geduldet. Ähnlich Strabag, Code of Conduct: »Wir fördern Chancengleichheit und ein Umfeld, das von fairem Verhalten und frei von Belästigungen jeder Art geprägt ist.« Frauenkarrieren haben bei der Strabag einen hohen Stellenwert.

Derzeit liegt der Frauenanteil im Gesamtkonzern bei 14 Prozent, er soll jährlich weiter gesteigert werden. 2013 wurden dazu die »UN Women‘s Empowerment Principles« unterschrieben. Rhomberg Bau erklärt in seinen Compliance Richtlinien: Es wird größter Wert auf die gleichberechtigte und faire Behandlung von Mitarbeitern, Kunden und Netzwerkpartnern gelegt. Vor dem Gesetz ist die Gleichstellung längst vorhanden, u.a. durch das Gleichbehandlungsgesetz für die Privatwirtschaft und Antidiskriminierungsgesetze der Bundesländer. In der Praxis und v.a. gesellschaftlich gesehen mangelt es aber noch. »Die Baubranche bietet historisch betrachtet kaum qualifizierte Frauenjobs«, so Anja Forster. »Oft besteht im Familien- oder Freundeskreis Erklärungsbedarf, weil man eine Karriere im Baubereich anstrebt oder ausführt.«

Förderprogramm FiT - Frauen in der Technik

Viele Frauen und Mädchen haben Talent und Potenzial für handwerkliche und technische Ausbildungen und Berufe. Sie nehmen diese allerdings zu wenig wahr bzw. sind ungenügend über die Möglichkeiten informiert. Initiativen sollen für eine Trendumkehr sorgen. FiT ist ein seit 2006 bestehendes Förderprogramm des AMS speziell für Frauen, das u.a. Ausbildungskosten für Lehrausbildung übernimmt und zwischen Absolventinnen und (Bau-)Unternehmen vermittelt. FEMtech unterstützt Forschungsorganisationen bei der Förderung von Chancengleichheit. w-fFORTE trägt zu Chancengleichheit in wissenschaftlichen und technischen Arbeitswelten bei. TechWomen ist eine Plattform, die Frauen für technische Berufe sucht. Beim Girl‘s Day sollen junge Frauen für die Karriere als Technikerin begeistert werden (27. April 2017) – ebenso beim Wiener Töchtertag.

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