Samstag, Juli 20, 2024

Paukenschlag. Der US-Internet-Konzern Google muss ein bemerkenswertes Urteil hinnehmen. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes bringt globale Internetriesen wie Google und Facebook ins Schwitzen.

Oft sind es banale Anlässe, die Giganten ins Wanken bringen können. Seit 2010 verfolgte ein spanischer Kläger ein eigentlich simples Ansinnen: Weil ein online archivierter Zeitungsartikel in den Google-Suchergebnissen ihn scheinbar auf ewig mit einem längst beigelegten Rechtsstreit in Zusammenhang brachte, klagte der Spanier im Instanzenweg bis zum Europäischen Gerichtshof auf das Recht, auch von den Suchmaschinengiganten des weltweiten Netzes vergessen zu werden. Dass ihm nun von oberster europäischer Instanz Recht gegeben wurde, stellt ganz nebenbei das Geschäft sämtlicher Internetkonzerne in ein neues Licht.

Aus für Oasen?
Der Paukenschlag ist dabei nicht nur jener, dass Suchmaschinenanbieter auch für Angebote von Drittanbietern Verantwortung tragen können, sondern eine fast beiläufige Grundsatzentscheidung. Google hatte in seiner Verteidigung damit argumentiert, dass die Suche nicht in Spanien stattfinde und somit spanische Gerichte nicht zuständig seien. Das Gegenargument der Höchstrichter ist nun höchst brisant: Weil Google in Spanien eine Verkaufsniederlassung betreibe, die die Aufgabe hat, Werbeflächen für den lokalen Markt an den Mann zu bringen, gelte die nationalstaatliche Hoheit durchaus. Falls das Urteil als Präzedenzfall für andere Entscheidungen herangezogen wird, betrifft dies auf kurz oder lang das Geschäftsmodell aller Internetriesen in Europa.

Es ist kein Zufall, dass so gut wie alle großen Internetkonzerne – Facebook, Google, Amazon – ihre europäischen Firmenzentralen in Steueroasen wie Luxemburg oder Irland angesiedelt haben. Von den jeweiligen Gesetzgebern umsorgt und von trickreichen Steuerprofis geschützt, erfreuen sich die Riesen an kaum von Steuer- und Abgabenlast getrübten Gewinnen in Milliardenhöhe. Bilanztechnische Tricks mit fantasievollen Namen wie »Double Irish With­ a Dutch Sandwich« lassen die US-Konzerne in ganz Europa wirtschaften und nur die jeweiligen vorteilhaften Steuerlücken in den jeweiligen Finanzoasen ausnutzen. Dieser Praxis könnte das EUGH-Urteil nun eine empfindliche Schramme zufügen – denn wenn analog zum Urteil der Höchstrichter das nationale Recht zuständig ist, sobald die jeweiligen Konzerne dezidiert die einzelnen nationalen Märkte beackern, sollte dies auch für das Steuerrecht Tür und Tor öffnen.

Enttarnter Taschenspielertrick
Tatsächlich haben die Höchstrichter hier einen bemerkenswerten Taschenspielertrick enttarnt, der bislang das Geschäftsfeld der jungen Internetkonzerne schützte: Während Google argumentierte, dass sein Geschäftsmodell der Betrieb der Suchmaschinendienste sei, die physisch und lokal an einem steuerlich und rechtlich geschickt gewählten Standort verortet sind, zeigt das Urteil lakonisch eine ebenso banale wie überraschend offensichtliche Wahrheit auf: Der Betrieb dieser Suchmaschinen – oder, im Fall von Facebook, der Betrieb eines sozialen Netzwerkes – ist letztendlich nicht das Geschäft der Konzerne, sondern vielmehr nur das Mittel, um Werbeeinnahmen zu lukrieren. Und dieses Geschäft ist, wie auch die Praxis beweist, geradezu grundsätzlich sehr wohl lokal und auf alle europäischen Staaten verteilt. Die scheinbar körperlosen Konzerne werden so juristisch fassbar – und zwar nicht nur, wie bislang, an den Orten ihrer sorgfältig ausgewählten europäischen Hauptquartiere, sondern in jedem Land, in dem sie durch ihr Werbegeschäft Einnahmen erwirtschaften.

Es bleibt abzuwarten, ob diese Grundsatzentscheidung des EUGH in ihrer fundamentalen Bedeutsamkeit auch in anderen Belangen, nicht nur dem Steuerrecht, sondern, ebenso brisant, auch im Datenschutz zur Anwendung kommen wird. Die volatilen, ihr Geschäftsfeld scheinbar nur im Virtuellen betreibenden Internet­riesen ­dadurch endgültig jeweils an die Orte ihrer tatsächlichen Kunden zu ketten, würde diesen wohl auf einen Schlag Verluste in Milliardenhöhe bescheren – der Bürgergesellschaft allerdings ­eine längst fällige Anpassung an die ­ansonsten überall geltende Rechts­staat­lichkeit. Dass nebenbei auch noch Steuereinnahmen in beachtlichen Höhen zu erwarten sind, lässt die Angelegenheit für Europa noch interessanter werden.n

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