Montag, Dezember 23, 2024

Das Institut für Technikfolgenabschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ITA) beschäftigt sich mit den Auswirkungen neuer Technologien auf die Gesellschaft. Angesichts der wachsenden Bedeutung der Software ist es nicht überraschend, dass auch deren Entstehungsbedingungen kritisch hinterfragt werden.

Doris Allhutter widmet sich seit etwa zehn Jahren der Frage, wie soziale Vorstellungen in Informationssysteme eingeschrieben werden: »Für Menschen in technischen Arbeitsfeldern ist es meist schwierig, soziale Fragen in Bezug zu ihrer Arbeit zu setzen. Daher versuche ich in meinen Projekten, Entwicklungsteams zur Reflexion ihrer Entscheidungen im Entwicklungsprozess anzuregen.« Wie alle gesellschaftspolitischen Themen werden auch Informationstechnologien in der Gesellschaft kontinuierlich ausgehandelt. Daher sprechen Technikphilosophen wie Bruno Latour davon, dass Technologien nicht nur gesellschaftspolitische Auswirkungen haben, sondern selbst eine Reihe von Normen, Werten, Ideen und sogar Ideologien in sich tragen. »Wir stehen also vor der Frage, wie wir etwa gesellschaftliche Werte und Normen in Konzepte und Methoden der Softwareentwicklung mit ihrer technikzentrierten Sicht besser einbeziehen können«, so Allhutter.

Reflexion über das eigene Tun
In Kooperation mit Entwicklungsteams wird der dafür konzipierte Designansatz des »deconstructive design« angewendet, weiterentwickelt und evaluiert. Er ermöglicht EntwicklerInnen, über die politische Relevanz der eigenen Arbeitspraktiken kritisch zu reflektieren. Die Wissenschaftlerin arbeitet dabei mit der Methode des »mind scripting«, die sich sowohl als Forschungsansatz als auch als Reflexionswerkzeug für die Praxis verwenden lässt. »Beim mind scripting geht es vor allem darum, die im Entwicklungsprozess getroffenen Entscheidungen so weit zu zerlegen, dass transparent wird, aufgrund welcher impliziten gesellschaftlichen Werte sie getroffen wurden.« Wird in einem Projekt die Verbesserung der Qualität der Software angestrebt, so meinen EntwicklerInnen oft, hier fänden nur gewisse technische Normen Anwendung. Dass ihren Entscheidungen allerdings auch gesellschaftliche Annahmen und subjektive Erfahrungen zugrundeliegen, wird oft übersehen. »So fließen oft unbemerkt und unhinterfragt kulturelle Normen und Werte, Ideologien, Geschlechterverhältnisse und andere Machtstrukturen ein, die dann über die entwickelte Software im Arbeits- und Alltagsleben von Menschen wirksam werden«, erläutert Allhutter.

Gesellschaft und Technik
Auch der heute weit verbreitete Ansatz, Software auf Basis der Erfahrungen von NutzerInnen zu gestalten, muss in diesem Sinne hinterfragt werden. Deren Einbeziehung ist zwar sicher positiv, allerdings kommen bei der Definition eines NutzerInnen-Typus oft stereotype Beschreibungen zum Tragen. »Natürlich müssen auch Typisierungen angeschaut werden, um nutzerInnen-orientierte Entwicklungskonzepte lebensnaher zu machen und die darin enthaltenen Zuschreibungen zu hinterfragen.«

Die im Bereich der Softwareentwicklung entwickelten Fragestellungen lassen sich auf viele Themen in der Informationstechnologie anwenden: In mathematischen Algorithmen spiegeln sich gesellschaftliche Praktiken und damit Sichtweisen auf die Welt wider. »So stellt sich etwa beim Umbau des Internets in ein semantic web die Frage, wie Informationen strukturiert und standardisiert werden und welche Wissenshierarchien damit entstehen«, erklärt Allhutter. Die Wissenschaftlerin setzt sich daher dafür ein, dass sich vielfältige AkteurInnen in einen gesellschaftlichen Diskurs einmischen: »Auch in diesem scheinbar so technischen Bereich drücken sich gesellschaftliche Veränderungen deutlich aus, daher sollte die Diskussion darüber, wie Informationstechnologien unser Leben mitgestalten, viel inklusiver sein.« Gerade nordeuropäische Länder seien hier Vorbild für die verstärkte Einbindung unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen in die Gestaltung der Informationstechnologien. »Die Wechselseitigkeit technischer und gesellschaftlicher Entwicklungen wird oft zu wenig beachtet. Informationstechnologien sind keine neutralen Werkzeuge. Daher braucht es auch in der Entwicklung eine kritische, wertesensible Herangehensweise«, appelliert Allhutter.


Das Projekt
Das aktuelle Forschungsprojekt "Materiell-diskursive Performativität im Software Design: ein gesellschaftspolitischer Ansatz“ von Doris Allhutter wird im Rahmen des Elise Richter-Programms des Wissenschaftsfonds (FWF) gefördert. Es verknüpft Forschung zur Ko-Emergenz von Gesellschaft und Technologie mit Ansätzen kritischer technischer Praxis und machtkritischen Konzepten aus der Politikwissenschaft. Theoretisch knüpft das Vorhaben an dem von Judith Butler und Karen Barad entworfenem Konzept der „materiell-diskursiven Performativität“ an. Dieses Konzept dient als Erklärungsansatz dafür, wie sich Machtverhältnisse alltäglich durch die verschränkte Wirkmächtigkeit von gesellschaftlichen Diskursen und materiellen (zum Beispiel technischen) Phänomenen reproduzieren. Es setzt diskurstheoretische und neuere materialistische Ansätze in der Entwicklung von Informationssystemen praktisch um.

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