Fujitsu schlägt auf der VISIT 2010 in München einen Weg in Richtung flexibler, standardisierter IT-Services ein und betont die gemeinsame Historie mit Siemens in Europa.
Von Martin Szelgrad aus München.
Würde die IT-Branche wie der chinesische Kalender das kommende Jahr nach einem Tier oder eben einem anderen Thema abfeiern – auf uns käme das Jahr der Wolke zu. Auch die Europamesse von Fujitsu, dem japanischen Hersteller mit deutschen Wurzeln, die Ende November in München zelebriert wurde, stand im Zeichen der Cloud. Sie soll ab 2011 mit nie dagewesener Einfachheit IT-Ressourcen an die kostenbewussten Unternehmen in aller Welt liefern. «Mit Cloud-Services entstehen neue Möglichkeiten, die zuvor für die IT-Branche nicht machbar waren», verspricht Richard Christou, Senior Vice President Fujitsu Global Business. Für den Hardwarehersteller und IT-Dienstleister geht es nun um den Bau eines Ökosystems rund um die neuen flexiblen Services. Gebaut wird gemeinsam mit allen Applikationsprovidern, wie Christou betont: Microsoft, SAP und vielen kleineren Softwarefirmen.Mit einem Seitenhieb auf manch großen IT-Konzern aus den USA, der sich unaufhörlich Know-how und Produktpaletten über Akquisitionen aggressiv aneignet, ist sich die versammelte Fujitsu-Führung in einer Sache einig: Alles aus einer Hand zu bieten, das ist für die Kunden nicht ideal. «Kein Konzern dieser Welt kann in jedem einzelnen Bereich all das nötige Spezialwissen auf Dauer bieten», schätzt der Manager den offenen Ansatz Fujitsus in der Zusammenarbeit mit Storage- und Softwarepartnern. Man werde auch in Zukunft lieber mit den Kunden und Partnern auf Augenhöhe kommunizieren, als in den Labors blind vor sich hin zu entwickeln.
7.000 Gäste haben sich heuer für Fujitsus «VISIT» registriert. Dies ist ein Indikator, wie gut der IT-Anbieter mit dem Markt vernetzt ist, meint Rolf Schwirz. Der Deutsche hat nach dem Abgang von Kai Flore als CEO das Ruder bei Fujitsu Technology Solutions übernommen. Als ehemaliger Manager bei SAP und Oracle kennt Schwirz den Markt auch aus Applikationssicht gut. Für den Deutschen ist der Spitzenposten eine Heimkehr. Seine Keynote beginnt er mit einem Rückblick auf seine Anfangsjahre bei Siemens und seine Arbeit im Umfeld des Mainframebetriebsystems BS2000. Es läuft immer noch bestens im Markt – vor allem im deutschsprachigen Raum, den Siemens-Kernländern. Heute bietet Fujitsu mit dem «Business Serber SQ 200» ein System, das neben den Mainframekomponenten auch Gastsysteme auf einer einzigen Plattform hostet. Neben geschäftskritischen BS2000/OSD-Anwendungen können auch Linux- und Windowsanwendungen nach Bedarf kombiniert werden.
Paradigmenwechsel
Eines hat sich allerdings in den letzten Jahren wesentlich geändert. Die Kunden sind nicht mehr bereit, sich mit Zehn-Jahres-Verträgen an einen IT-Dienstleister zu binden. Das Einsperren der Anfangsjahren der EDV ist passé. Zunehmend sind IT-Services auf Knopfdruck gefragt, die augenblicklich auch wieder weggeklickt werden können. Nötig dazu sind bereichsübergreifende Standards und die Kenntnis unterschiedlicher Regularien. Fujitsu arbeitet dazu mit seinen Partnern an einer «Standard Global Plattform» der Branche mit, die natürlich auf lokale Anforderungen in den verschiedenen Ländern eingehen kann.
Zum Menschen hin
Was bedeutet der Hype rund um die Wolke nun für den einzelnen Büroarbeiter? Schwirz führt es auf der VISIT selbst vor. Eine Mitarbeiterin werkt auf der Bühne auf einem Rechner, sie schreibt an einem Dokument. Schwirz ruft sie zu sich, die Kollegin zieht einen USB-Token aus ihrem Rechner, schreitet zu ihrem neuen Boss und logt sich mit den USB-Stecker an seinem Gerät wieder ein – aber mit ihrer eigenen Desktopoberfläche.
Das nahtlose Weiterarbeiten mit den gleichen Dokumenten, der gleichen Umgebung und den gleichen Programmen ist nun an jedem Punkt mit Internetzugang möglich. Die Abstrahierung der Applikationsebene vom Hardwareuntergrund ist vollzogen. Im Hintergrund läuft der Desktoprechner lediglich als virtuelle Maschine in einem Rechenzentrum. Wird der USB-Token gezogen, wird der aktuelle Stand des Desktops zentral gesichert. Bei einer neuerlichen Aufnahme der Verbindung wird die Session fortgesetzt. Ein Hochfahren des Betriebssystems ist nicht mehr nötig. Diese Unterbrechung kann ein Wechsel des Rechners im Büro, am Flughafen oder zum Home Office nach Hause sein. Fujitsu-Vice-Chairman Satoru Hayashi sieht darin den Beginn der neuen Ära des «Human Centric Computing»: Nach dem Fokus auf den einzelnen Rechner und später das Netzwerk stehe in naher Zukunft der User völlig im Mittelpunkt. Alles und jeder wird vernetzbar sein, IT-Ressourcen und Applikationen werden dort sein, wo sich der Mensch befindet. Und nicht umgekehrt, wie man es bisher gekannt hat.
Mit dem komfortablen Umgarnen des Anwenders fallen auch sämtliche physischen Grenzen im der IT-Dienstleistung. Grenzen werden von Systemen und Daten überschritten, ohne es zu merken. Der persönliche Arbeitsplatz steht an jedem Ort der Welt parat. Nötig sind lediglich ein Bildschirm, eine Tastatur und eine halbwegs taugliche Datenleitung. Mit dem steten Wachstum der Breitbandnetze ist dieses zentralisierte Servicieren möglich geworden. Gesprochen wird darüber schon seit einigen Jahren. Dank Breitbandmodem, drahtlos wie im Festnetz, beginnt sich diese Vision nun konkret zu manifestieren. Hayashi sieht kaum einen Wirtschafts- und Lebensbereich, der nicht von der IT unterstützt und im Sinne von «Knowledge Processing» verbessert werden kann. Dies betreffe auch Ebenen, die bislang wenig von Technologie durchdrungen waren. «In Japan können Bauern mithilfe von Sensoren im Boden Feuchtigkeit messen und ihre Erträge steigern.»