Die Erbringung von Rechenleistungen am Computer verändert sich. Hilfe kommt nun aus der Wolke. Wie »Cloud Computing« unser Verständnis vom dummen Blechkastl revolutioniert und ein neues Arbeiten ermöglicht.
Von Martin Szelgrad.
Die Menge an digitalen Informationen ist im Vorjahr trotz Rezession und Wirtschaftskrise um satte 62 Prozent auf 800 Mrd. Gigabyte angewachsen. Für 2010 prognostizieren Marktforscher von IDC weitere Wachstumsraten gigantischen Ausmaßes. Der Zukunftsforscher Harry Gatterer sieht unsere Gesellschaft vor einer nächsten Technologierevolution. Nach der Erfindung der Dampfmaschine Anfang des 19. Jahrhunderts, der Eroberung weiter Strecken durch die Eisenbahn ab 1870 und dem Siegeszuges des Automobils ab den 60er- und 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts stünde nun eine Umwälzung durch die Informationstechnologien (IT) an. Der wachsende Informationsfluss hat bereits ein mächtiges, weltumspannendes Netzwerk hervorgebracht: das Internet. »Jeder dieser revolutionären Schritte war stets auch mit Verhaltensänderungen der Menschen begleitet. Die Mobilität und ständige Erreichbarkeit dank Handy und E-Mail sind bereits typische Erscheinungen, welche den aktuellen radikalen Wechsel begleiten«, beobachtet Gatterer. Fühlen Sie sich durch die raschen Veränderungen in der Technik mitunter überfordert? Das ist ganz normal, beruhigt der Zukunftsforscher. »Für jene, die den Aufschwung des Autos miterlebt hatten, war das ein Riesenthema. Für die Folgegeneration war das Auto das Normalste auf der Welt – es war einfach da.«
Es wird einfacher …
Mehr als 70 Prozent des digitalen Universums werden Studien zufolge durch die Aktionen einzelner Menschen geschaffen. Trotzdem tragen Unternehmen die Verantwortung für gut 80 Prozent der Datenmenge. Sie müssen dafür sorgen, dass die Informationen gespeichert, verwaltet und geschützt werden. Die Anzahl an Dateien, Bildern und anderer digitaler Datensätze steigt unaufhörlich. Gleichzeitig aber stagniert die Zahl der IT-Verantwortlichen, die sich um diese Daten kümmern können. Um diese Diskrepanz auszugleichen, sind neue Methoden und Werkzeuge gefordert. Effiziente Lösungen für das Informationsmanagement sind nun gefragt. Ein derzeit vielversprechender Weg wird durch flexible Services »aus der Wolke« beschritten. Das Zauberwort heißt »Cloud Computing«.
»Der Ansatz von Cloud Computing wurde schon vor Jahren entwickelt. Die Technologie ist aber erst jetzt dafür ausgereift«, meint Thomas Peruzzi, Geschäftsführer des IT-Spezialisten Aicooma. Cloud Computing ist die ad hoc zur Verfügung gestellte, bedarfsgerecht abgerechnete Ressource im Internet, erklärt er. Ein Beispiel: Sie wollen einen Brief schreiben. Heute kaufen Sie sich eine Lizenz des Programms und zahlen einen fixen Betrag – egal, wie oft Sie die Software brauchen. In Zukunft werden Sie nur nach Bedarf zahlen: Sie schreiben einen Brief, Sie zahlen auch nur einen. In der Cloud können dann Programme, Speicherplatz oder Onlineservices für den gezielten Bedarf gemietet werden. Angekauft und installiert muss nichts mehr werden. Mit der Wolke können Kosten reduziert, neue Kunden gewonnen, Ressourcen besser genutzt werden.
Der Computer von heute ist bereits eine virtuelle Maschine: ein logischer Konstruktionsplan, der in einer Datei abgelegt ist und im Bedarfsfall auf einer geeigneten Infrastruktur zum Leben erweckt wird. Einfach, zehnfach oder tausendfach von der gleichen Vorlage, je nach Bedarf. Ein neuer Server muss her? Cloud Computing macht es möglich: Einige Mausklicks, und schon ist er betriebsbereit. Datensicherung auf Bändern, umständliche Lagerung außer Haus? Das gehört dank »Cloud Storage« der Vergangenheit an. Anbieter wie EMC bieten bereits spezielle Speicherprodukte für die Wolke an. Das EMC-Tochterunternehmen Mozy stellt die schnelle Sicherung privater Dateien um einstellige Euro-Beträge pro Monat auch für Einzelanwender zu Verfügung. »Vergleiche mit dem griechischen Philosophen Plato drängen sich auf – alles Stoffliche sei eine Verkörperung virtueller Ideen – oder eben mit Aladins Wunderlampe: einmal reiben, und der neue Computer materialisiert sich innerhalb weniger Augenblicke«, umschreibt EMC-Experte Franz Kasparec dies poetisch.
… und automatisiert
Für die Anbieter dieser Services ergeben sich durch die flexiblen, standardisierten Services große Einsparungsmöglichkeiten. Durch den Betrieb von vielen virtuellen Maschinen in einem Cloud-Knoten werden Lasten automatisch verteilt. Lief früher im hauseigenen Rechenzentrum von 100 Rechnern oftmals nur einer unter Volllast, können nun die Kostenvorteile aus der effizienteren Nutzung der Ressourcen an die Kunden weitergeben werden. Der geringere Energieverbrauch nützt letztendlich auch der Umwelt. Ein Anbieter kann, sofern er entsprechende Reserven in seiner Cloud-Infrastruktur hat, blitzschnell auf den Bedarf seiner Kunden reagieren und von einigen hundert betriebsfähigen virtuellen PCs bis zu einer Anzahl vorkonfigurierter Server alle Varianten für den kurzfristigen Bedarf bereitstellen. Die Technologie wird bereits als »Infrastruktur der Zukunft«, »tiefgreifender Paradigmenwechsel« oder schlichtweg als »Wolke Sieben« tituliert. Der Hype rund um eine neue Art von EDV-Diensten nimmt nun Form an. »Wir beginnen, nicht nur in einer Wolke aus Daten zu leben, sondern mit der Wolke zu arbeiten«, so Zukunftsforscher Gatterer. »Cloud Computing wird sich dann durchsetzen, wenn nicht nur über Technologie gesprochen wird, sondern über den Umgang damit.«
»Mobilität, Flexibilität, Outsourcing sind die Schlagworte, nach denen heute auch Kleinunternehmen verlangen. Schlanke Programme die wenig Wartung und Ressourcen benötigen, und Inhalte, die sich genau auf das Anforderungsprofil abstimmen lassen, verhelfen online verfügbaren Diensten zu einem Vormarsch«, bescheinigt Rainer Haude, Geschäftsführer dvo Software, dem Hype um Cloud Computing auch großes Interesse bei Kleinunternehmen. »Der Anwender pickt sich genau jene Funktionalitäten heraus, die er für sein Unternehmen braucht. Vor allem Selbstständige und kleine Unternehmen fahren mit den günstigen Onlinelösungen oft besser.« Die Berührungsängste gegenüber dem Internet werden geringer, Onlinedienste wachsen.
Gefahren und Risiken
Experten weisen dennoch auf ein heute vieldiskutiertes Problem der verteilten Ressourcen in den weltweiten Netzen hin. Mit der flexiblen Ressourcenwolke fallen auch die Grenzen. Doch darf nicht jedes Unternehmen firmeneigene Daten im Ausland lagern. Ein allzu leichtfertiger Umgang mit Kundendaten, Powerpoint-Files zu Firmenstrategien oder Konstruktionsplänen würde die Türen für Industriespionage öffnen, so die Befürchtung. Auch hat jedes Land unterschiedliche Datenschutzbestimmungen, die letztlich auch für ausländische Kunden gelten. Hat eine österreichische Firma beispielsweise Daten in Deutschland gelagert, gelten deutsche Datengesetze. Die Gesetzeslage in Deutschland mag kaum Unterschiede zur heimischen Praxis aufweisen – was aber wäre bei einer Speicherung von Daten in Afghanistan oder gar den USA? BMC-Mann Kasparec wiegelt ab: »Die Branche beschäftigt sich schon lange mit der Frage, an welchen Orten Daten gespeichert werden dürfen. Die Sicherheit ist bereits so groß, dass wir im Prinzip jederzeit der Cloud die Flügel abschneiden können.«
In Prinzip ein alter Hut
Die Technologie mag neu erscheinen, »im privaten Bereich ist die Cloud längst angekommen«, erklärt Max Schaffer, Mitglied der Geschäftsleitung bei T-Systems in Österreich. So findet Cloud Computing bei der Nutzung von Onlinebanking, Webmail oder Suchmaschinen im Internet statt. Weitere klassische Anwendungsgebiete für Cloud Computing sind Anwendungen die viel Rechenleistung erfordern aber nur kleine Datenmengen übertragen, beispielsweise SAP-Services. »Diese realisieren wir heute mittels Cloud Computing, da geschäftliche Transaktionen, Analyse- und Suchfunktionen zwar rechenintensiv sind, aber vergleichsweise geringe Übertragungsbandbreiten benötigen«, meint der Experte. Schaffer sieht in manchen Unternehmen die Wolken freilich noch verhangen: Viele Entscheider haben immer noch Bedenken im Hinblick auf die Sicherheit und Vertraulichkeit der Daten, vor allem bei ihrer Ablage und bei ihrem Transport. Auch die Frage nach der jederzeitigen Verfügbarkeit von Anwendungen bleibt bei manchen Anbietern erst einmal im Raum stehen. »Dabei ist es auch über den Wolken nicht nötig, jedes Rad neu zu erfinden«, weiß Schaffer. Die IT-Dienstleister betreiben schon seit Jahren Cloud Computing – wenn auch unter anderen Namen: Outsourcing, Dynamic Services, IT aus der Steckdose. Damals wie heute können Unternehmen IT-Ressourcen für ihre Systeme an unterschiedlichsten Standorten nach Bedarf kurzfristig hinzubuchen oder abbestellen. Sie nutzen und bezahlen damit nur das, was sie tatsächlich benötigen. Die Services lassen sich nahtlos in jede bestehende IT-Landschaft integrieren. Das bedeutet ein hohes Maß an Investitionssicherheit.
Immer mehr Unternehmen nutzen diese IT aus der Steckdose – oder vielmehr: aus der Wolke –, um die eigene IT-Infrastruktur schlank und flexibel zu halten – bei geringeren Kosten.