Kraken und Schätze
Wer sich im öffentlichen Raum bewegt, entgeht Facebook nicht. Jedes zweite Telefonat in der Öffentlichkeit kreist mehr oder weniger um die größte Social-Web-Seite der Welt, die inzwischen über schwindelerregende 400 Millionen Mitglieder zählt. Die Attraktivität und Nutzbarkeit der Seite zieht auch Menschen an, die traditionell die EDV für Teufelszeug halten und nie und nimmer per Kreditkarte im Internet zahlen würden. Umso ahnungsloser begeben sich just die Skeptiker aber allzu oft in die Hände des amerikanischen Mega-Netzwerks – weil es bequem, hip und praktisch ist. Facebook erfüllt ein soziales Grundbedürfnis des Menschen, und in all der Freude über das Wiederfinden längst vergessener Freunde aus Kindheitstagen wird eines oft übersehen: Facebook ist vor allem ein Unternehmen, das gewinnorientiert arbeiten will. Und die Riege um Gründer Mark Zuckerberg arbeitet verbissen daran, diesen unglaublichen Schatz von Millionen Nutzerdaten zu bergen.
Wie verdienen?
Wir erinnern uns: Vor nicht ganz fünf Jahren legte Medientycoon Rupert Murdoch aberwitzige 580 Millionen Dollar für den damaligen Social-Networks-Platzhirsch MySpace auf den Tisch. Ob daraus mehr als ein Abschreibeposten geworden ist, ist fraglich, die Daten von – im Vergleich zu Facebook bescheidenen – 150 Millionen Nutzern ließen sich mangels zündender Geschäftsideen nicht so problemlos zu Geld machen, wie Murdoch wohl gehofft hatte. Und die Web-2.0-Karawane zog weiter – hauptsächlich zu Facebook, das die Vernetzungsmöglichkeiten des Vorläufers perfektionierte und durch die schiere Schwerkraft seiner Nutzerbasis mehr und mehr neue User anzog. Es ist der Zug in die Massenkultur: Von umständlichen Interneturgesteinen wie Angelfire und Geocities über Blogger und MySpace führte der Weg zu weniger und weniger technischen Hürden und zur vollkommenen Vernetzung als Hauptattraktion. Und jetzt, da buchstäblich jedermann und seine Großmutter an einem virtuellen Ort versammelt sind, scheint die Zeit gekommen, das Modell zu monetisieren.
Die Neuerungen, die Zuckerberg im April vorstellte, reichen über die „Anpassung“ der zuvor schon nicht gerade konsumentenfreundlichen Nutzungsbedingungen weit hinaus. Durch die Zurverfügungstellung des API (Application Programming Interface) soll der „Gefällt mir“-Button nicht nur auf Facebook selbst, sondern überall für einen Hauch Social Network sorgen und so quasi das gesamte Web zu Facebooks Hinterhof werden lassen. Eine problematischere Neuerung: Facebook will es künftig „Partnerunternehmen“ ermöglichen, auf Facebook gespeicherte Nutzerdaten auszulesen und zu verwenden – ein Vorhaben, das zu weltweiter Kritik, unter anderem vom Chaos Computer Club und vom einflussreichen US-Tech-Magazin Wired führte. Die neuen Datenschutzrichtlinien räumten den Nutzern zu wenig Entscheidungsfreiheit über ihre Daten ein, und auch die zur Anwendung kommende Opt-out-Mechanik sei, gerade in Anbetracht der oft nicht besonders technikaffinen Nutzerschaft, ein programmierter Streitpunkt, so die Kritiker: Facebook mutiere zum „Datenkraken“.
Facebook ade?
Und scheinbar steigt auch das Problembewusstsein der Nutzerbasis. Nicht zuletzt die kritischen Medienberichte führen dazu, dass rekordverdächtig viele Benutzer ihre Facebook-Accounts löschen – „how to delete my Facebook account“ gehörte laut Branchenseite cnet im Mai zu den absoluten Top-Themen der Google-Suchbegriffe. Im Unterschied zum MySpace-Exodus wandert die Neo-Verweigererkarawane allerdings diesmal nicht unbedingt zum nächsten großen Ding weiter. Es könnte vielleicht, vor allem bei erst jüngst Bekehrten, auch ein im Fieber des digitalen Netzwerkens fast vergessenes Bedürfnis nach Rückzugsraum und Privatheit sein, das viele gerade noch enthusiastische Facebook-Jünger zum Totalverzicht drängt. Denn intensives Netzwerken, Kontaktpflege und –betreuung ist nicht nur möglicherweise der eigenen Privatsphäre abträglich, sondern vor allem ganz sicher eines: anstrengend.