Sonntag, Juni 30, 2024
Talent Sourcing aus Nigeria
Lily Akpuaka-Bosse ist Gründerin von hireFAIR. (Foto: Stefan Wörgetter)

Lily Akpuaka-Bosse, Gründerin von hireFAIR, ist in diesem schriftlich geführten Interview Rede und Antwort gestanden: zum Fachkräftemangel in Österreich und welche Strategien dagegen helfen können.


Wie gehen österreichische Firmen mit dem herrschenden IT-Fachkräftemangel um?

Lily Akpuaka-Bosse: Ich habe im letzten Jahr mit diversen Unternehmen gesprochen, um ihren Bedarf an IT-Fachkräften und ihre Herangehensweise daran näher zu verstehen. Einige haben kleine IT-Hubs in Osteuropa, andere wiederum größere, ausgelagerte Abteilungen in Ländern wie in Südafrika oder Ägypten. Manche versuchen den IT-Fachkräftemangel auch durch ausgelagerte, internationale Partnerschaften zu lösen, stoßen dabei aber auf Störfaktoren wie die Zeitverschiebung oder eine unterschiedliche Arbeitsmoral. Manche Unternehmen ermutigen wiederum PensionistInnen, wieder ins Berufsleben zurückzukehren oder binden WerkstudentInnen oder AbsolventInnen schnell ein. Österreichische Unternehmen wenden also verschiedene Strategien an, um den Bedarf an IT-Personal zu decken – aber nicht alle funktionieren, sind für jedes Unternehmen erschwinglich oder langfristig tragbar. 

Bei welchen IT-Dienstleistungen ist das Fehlen von qualifiziertem Personal aus Ihrer Sicht am gravierendsten?

Akpuaka-Bosse: Einerseits gibt es einen Personalmangel bei IT-Dienstleistungen im Bereich KI, Cybersicherheit, Softwareentwicklung und DevOps. Das sind aber alles Bereiche, über die auch medial viel gesprochen wird und die einen guten Ruf genießen. Noch schwieriger wird es in Bereichen wie Systemmanagementdienste für anbieterspezifische Systeme wie SAP oder Altsysteme. Diese werden von jungen, aufstrebenden IT-SpezialistInnen oft als uninteressant wahrgenommen. Bei hireFAIR arbeiten wir mit kleinen und mittleren Unternehmen zusammen und verfolgen dabei einen flexibleren Ansatz zur Deckung des IT-Bedarfs eines Betriebs: Anstatt die benötigte IT-Unterstützung in eine enge Jobposition zu pressen, konzentrieren wir uns auf die individuellen Fähigkeiten und das Erreichen der Ziele.  

Personal in anderen Ländern für IT-Dienstleistungen heranzuziehen, zum Beispiel aus Osteuropa, ist per se nichts Neues. Was spricht insbesondere für Nigeria, das von Österreich geografisch und kulturell ja doch ein Stück weiter entfernt ist als Länder in Europa?

Lily Akpuaka-Bosse: Nigeria verfügt einen großen und immer noch wachsenden Pool an Tech-Talenten, die auf der internationalen Bühne gerade erst auftauchen. Aus einem Bericht von Google und Accenture geht hervor, dass es 2021 über 700.000 IT-SpezialistInnen in Afrika gab, wobei 50 Prozent davon auf nur fünf afrikanische Länder entfällt – darunter Nigeria. Unternehmen aus der EU haben hier also Zugang zu einem wachsenden und qualifizierten Talentpool. Ein weiterer Vorteil ist definitiv, dass in Nigeria und dem DACH-Raum – im Vergleich zu Ländern in Osteuropa und Asien – gemeinsame Zeitzonen herrschen und die nigerianische Bevölkerung oft Englisch als erste Sprache spricht, wodurch es keine Sprachbarrieren in der Zusammenarbeit gibt. Hinzukommt: Für Unternehmen aus der EU sind die Kosten geringer. Das bedeutet aber keineswegs, dass unsere IT-SpezialistInnen schlecht bezahlt werden, die Entlohnung liegt über dem nigerianischen Durchschnitt. Unsere Vision ist es, für beide Seiten eine vorteilhafte, risikofreie und bestenfalls langfristige Partnerschaft zu etablieren.

Nehmen Sie aktuell in österreichischen Betrieben noch Vorbehalte gegenüber IT-Teams aus Nigeria wahr und wenn ja, welche sind das und wie wollen Sie diese entkräften?

Lily Akpuaka-Bosse: Einige potenzielle Kunden äußern Bedenken in Bezug auf Vertrauen, Kontrollverlust, Zuverlässigkeit, die Arbeitsethik oder die Qualifikationen der IT-SpezialistInnen. Manche sorgen sich sogar um ihr Image, wenn ihre Kunden herausfinden, dass das Unternehmen mit nigerianischen Fachkräften zusammenarbeitet. Das ist eine Schwachstelle der EU-Wirtschaft: Denn um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen wir über geografische und kulturelle Unterschiede hinausblicken und den Wert des anderen als Einzelperson, Team und Unternehmen anerkennen. Hier ist es wichtig zu betonen, dass hireFAIR unter der österreichischen Regulierung arbeitet. Zudem haben wir ein engmaschiges Onboarding, um all diese Bedenken aus dem Weg zu räumen. Dieser Prozess umfasst Workshops, um die Arbeitsnormen, Bedingungen für die Zusammenarbeit, Tools sowie Schulungen zum Umgang mit interkulturellen Teams festzulegen.

Was macht bei der Herausforderung, dezentrale IT-Teams zu managen, den Erfolg aus?

Lily Akpuaka-Bosse: Es braucht eine klare Kommunikation, die eine Vereinbarung über die Bedingungen der Zusammenarbeit, einschließlich der Tools, der Kommunikationskanäle und der Arbeitsnormen beinhaltet.

Wie sieht Ihr Unternehmenskonzept bei hireFAIR aus, was ist das Besondere daran?

Lily Akpuaka-Bosse: An sich ist Talent Sourcing nichts Außergewöhnliches mehr – was bei hireFAIR aber besonders ist, ist die Art und Weise, wie die Dienstleistungen umgesetzt werden. Bei anderen Anbietern läuft es wie folgt ab: Sie erhalten von ihrem Kunden eine Stellenausschreibung und suchen in ihrem Pool nach einem Profil, das passen könnte. Hier gibt es nur wenig Engagement für eine vertrauensvolle und langfristige Zusammenarbeit von Kunden und Kandidaten. Wir stellen hingegen unsere Talente ein, bilden sie aus und entwickeln sie weiter – unabhängig davon, ob sie einem Projekt schlussendlich zugewiesen werden oder nicht. Wir arbeiten zum Beispiel mit der Universität von Lagos und dem nationalen IT-Ausbildungszentrum NitHub zusammen, um IT-AbsolventInnen durch eine einjährige praktische Ausbildung in Softwaredesign und -programmierung, Datenwissenschaft und Datenbanktechnik zu fördern. Dadurch erhalten wir ein tieferes Engagement und ein besseres Verständnis für die Fähigkeiten und Personen, die uns in unserem Talentpool zur Verfügung stehen. Darüber hinaus sind wir davon überzeugt, zwei sozioökonomische Probleme mildern zu können: Erstens den Arbeitskräftemangel in Europa und zweitens die Arbeitslosigkeit in Ländern wie Nigeria.

Was waren Ihre Beweggründe dafür, das Start-up hireFAIR zu gründen?

Lily Akpuaka-Bosse:  hireFAIR wurde als Lösung für Österreichs wachsende Herausforderungen im IT-Bereich gegründet. Wir zielen darauf ab, nigerianische Tech-Talente für IT-Projekte und -Aufgaben im DACH-Raum zu finden und remote zu beschäftigen. Gleichzeitig will die neue Generation in Afrika eine Beziehung auf Augenhöhe, die ihnen die Möglichkeit bietet, auch ihren wirtschaftlichen Mehrwert unter Beweis stellen zu können – was vielleicht dem veralteten Narrativ widersprechen mag. Wir ermöglichen arbeitshungrigen IT-Talenten Zugang zum europäischen Arbeitsmarkt und tragen damit auch zur Schaffung von Arbeitsplätzen bei.

Was macht Sie für die nächsten Jahre zuversichtlich, dass Sie mit ihrem Geschäftsmodell Erfolg haben werden?

Lily Akpuaka-Bosse: Die Trends in der europäischen Altersdemografie lassen sich nicht umkehren. Die Regierung bemüht sich zwar, das Problem des Fachkräftemangels durch eine selektive Einwanderungspolitik zu lösen, das braucht aber Zeit und erzeugt zusätzlichen Druck auf die Gesellschaft in Bezug auf Integration. Größere europäische Unternehmen versuchen dieses Problem zu lösen, indem sie bereits IT-Zentren in anderen Ländern einrichten. Hier tragen sie aber das alleinige Risiko. In Österreich gibt es jedoch deutlich mehr KMU, die solch ein Risiko nicht tragen können und es sich nicht leisten können, ein IT-Team im Ausland aufzustellen. Genau deswegen richtet sich hireFAIR an kleine und mittelständische Unternehmen, um diesen eine Alternative bieten zu können.

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