Die alte Bauernweisheit scheint heute aktueller denn je. Starkregen als auch Hochwasserereignisse nehmen durch den Klimawandel zu. Aus Österreich aber kommt eine Software, die beim Hochwasserschutz künftig eine bedeutsame Rolle einnehmen könnte.
Text: Sarah Bloos
Österreich ist ein wasserreiches Land mit etlichen Seen und Flüssen. Historisch hat man immer gerne am Wasser gesiedelt – das versprach eine sichere Trinkwasserversorgung, die Anbindung an Handelsrouten und nicht zuletzt Energie durch Wasserkraft. Der Hochwasserschutz wurde dabei immer mitgedacht. Auch heute spielt er bei Städteplanung und Neubau eine wichtige Rolle. Die letzten Jahre – 2003, 2016, 2018 und 2022 – haben uns jedoch deutlich vor Augen geführt, dass wir nicht so sicher waren, wie wir dachten.
Schuld sind unter anderem die Veränderungen durch den Klimawandel: Zwar regnet es statistisch gesehen nicht mehr als in den Jahren zuvor, dafür allerdings seltener und wenn, dann intensiver. Ausgetrocknete Böden nehmen das Wasser schlechter auf, darum kommt es nach starken Regenfällen vermehrt zu Sturzfluten. Solche Hochwasserkatastrophen können Existenzen vernichten. Und trotz aller Schutzmaßnahmen weist das zuständige Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft (BML) darauf hin, dass im Hochwasserschutz immer ein Restrisiko bleibt.
Gute Planung kann Leben retten
Zu guter Vorbereitung auf den Ernstfall gehört nicht nur der Bau von Dämmen, sondern auch, ein Bewusstsein für das Risiko zu schaffen. Dieses Ziel verfolgt das Team rund um die Software »Visdom«: Eine Visualisierungssoftware speziell für Hochwasser- und Starkregenereignisse – die nicht nur realitätsgetreu Landschaft und Wasserfluss darstellt, sondern auch anzeigt, wie sich Grundstücke schützen lassen, oder welche Straßen zu welchem Zeitpunkt noch befahrbar sind. Entwickelt von den Visual Computing-Spezialisten des VRVis Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung und den Hydrologen rund um Prof. Günter Blöschl von der TU Wien, ist die Software in verschiedenen Projekten in Österreich und Deutschland, aber auch in Schweden, Dänemark oder sogar Shenzen in China im Einsatz.
Jürgen Waser vom VRVis leitet das Projekt rund um die Entwicklung von Visdom seit 2010. Er erklärt, wie die Software funktioniert: »Zunächst sucht man sich einen Bereich aus, für den man eine Simulation erstellen will. Die Software lädt daraufhin ein detailliertes Geländemodell, simuliert und analysiert das jeweils ausgewählte Szenario – zum Beispiel ein Starkregenereignis – und zwar in Echtzeit.” In dem Modell lässt sich beobachten, wie das Wasser innerhalb von Sekunden steigt. Langsam windet es sich durch die Landschaft, kommt den Häusern näher und näher, überströmt Straßen, und umfließt schließlich die Gebäude. Mit jeder verstreichenden Minute im Modell färben sich mehr und mehr gefährdete Häuser rot.
Oder auch nicht – im Modell lassen sich nämlich verschiedene Gegenmaßnahmen modellieren, zum Beispiel das Aufstellen von Sandsäcken oder Dämmen. Wo hat ein Damm den größten Effekt, und wie hoch muss er dafür sein? Auch solche Fragen lassen sich mithilfe von Visdom beantworten. Der große Wert liegt in der visuellen Darstellung, dem digitalen Zwilling in 3D: »Auf Grundlage dieser intuitiv verständlichen Bilder ist die Kommunikation mit Gemeinden, aber auch dem Fachpersonal, zum Beispiel Planern und Planerinnen viel leichter«, führt Daniela Drobna, Pressesprecherin des VRVis, aus. In einem aktuellen Projekt in Rheinland-Pfalz (DE) werden in Zukunft auch Einsatzkräfte mithilfe der Software trainiert – um im Falle der Katastrophe zielgerichtet zu reagieren und wichtige Infrastruktur besser schützen zu können.
Für Österreich hat das VRVis gemeinsam mit dem BML und dem österreichischen Versicherungsverband VVO das bisher größte Modell erstellt: In HORA 3D lässt sich für jeden Ort und sogar jedes Haus im Bundesgebiet simulieren, was im Falle eines Hochwassers passieren würde – auf den Meter genau. Die Cloud-Anwendung lässt sich einfach auf der Projektwebseite hora.gv.at abrufen. »Die 3D-Darstellung mit der personalisierten Information – in dieser Auflösung - das gibt es in dieser Form sonst nirgends«, ist Projektleiter Waser stolz. Dafür berechnet das Modell in Sekundenschnelle Terabyte von Daten. Ein weltweit einzigartiges Projekt – und ein Meilenstein in der Risikokommunikation.
Wie ist es um das eigene Haus bestellt? Auf der Webseite des VRVis oder auf Youtube finden Sie ein Videotutorial für Hora 3D.
Was ist mit dem Klimawandel?
Je mehr Daten Visdom zur Verfügung stehen, desto akkurater ist auch das Modell. Dazu gehören neben GIS-Daten auch Daten zum Kanalnetz, zur Landnutzung oder zur Vegetation und zur Oberflächenbeschaffenheit. Die Daten sind dabei möglichst aktuell – stammen in der Regel aber aus Statistiken. »Das Problem ist, dass Modelle, wenn sie gemacht sind, oft statisch bleiben«, gibt Jürgen Waser zu bedenken. Die sich stetig verändernde Welt – auch durch den Klimawandel – könne dadurch nicht mehr so gut abgebildet werden: »Die Modelle müssten im Detailgrad stetig wachsen, indem sie mit der Welt verbunden werden und sich permanent updaten.« Möglich wäre das beispielweise durch den Input von Sensoren oder aktuellen Satellitendaten.
Letztere werden in einigen Projekten bereits genutzt, nur leider mit einem Manko, erklärt Waser: »Die Auflösung ist, besonders bei öffentlich verfügbaren Satellitenbildern, oft nicht hoch genug.« Hier hilft künstliche Intelligenz, »die Simulationsparameter höher zu skalieren und das Modell besser zu kalibrieren.« So kann eine trainierte KI beispielsweise erkennen, was momentan auf einem Feld angebaut wird, ob geerntet wurde – und es ließe sich auch berechnen, ob eine andere Vegetation die Versickerung des Wassers oder dessen Fließgeschwindigkeit beeinflussen würde. Äußerst nützliche Erkenntnisse – nicht nur für den Hochwasserschutz, sondern auch für die Planung sogenannter Schwamm- oder blau-grüner Städte.
Nachhaltige Nutzung
Auch Visdom wird kontinuierlich mit neuen Daten angereichert. In den jeweiligen Projektumsetzungen ist das nicht immer der Fall – auch eine Frage der Finanzierung. Dabei braucht es mitwachsende Technologie, die nicht irgendwo verstaubt, sondern sich stets weiterentwickelt. Das Bewusstsein dafür ist in Deutschland, womöglich bedingt durch die letzte Flutkatastrophe, noch etwas stärker ausgeprägt als in Österreich, berichtet Waser: So fließen in das aktuelle Projekt in Rheinland-Pfalz viele neue Szenarien mit ein, außerdem sind verschiedene Anwendungsmöglichkeiten für unterschiedliche Zielgruppen vorgesehen. »Mit Visdom kann man keine Brücken neu aufbauen«, betont der Projektleiter. »Es ist eine Entscheidungsunterstützung.«
Eine gute Datengrundlage bildet dabei die Basis für gute Entscheidungen - das gilt nicht nur für die Vorbereitung auf künftige Wetterereignisse, sondern besonders für Maßnahmen, um den Herausforderungen des Klimawandels zu begegnen.