Die IT muss dem Nischen-Dasein entkommen, das ihr von der Gesellschaft auferlegt wurde, betont Maria Kirschner, CEO des IT-Dienstleisters Kyndryl Österreich. Sie diskutiert in dem schriftlich geführten Interview Weiterbildungsmaßnahmen in Unternehmen und die Herausforderung, Frauen dauerhaft für technische Berufe zu gewinnen.
Welchen Ansatz verfolgt Kyndryl am Arbeitsmarkt um IT-Fachkräfte zu gewinnen?
Maria Kirschner: International verfolgen wir den Ansatz, unsere bestehenden Mitarbeiter*innen nachhaltig zu fördern – auch über Ländergrenzen hinweg, darum werden viele unserer internen Fortbildungen online abgehalten. So können die Teams mit- und voneinander lernen. Denn: Es gibt den Job nicht mehr, in dem Fachmitarbeiter*innen beispielsweise den ganzen Tag nur Server patchen. Diese Personen arbeiten gleichzeitig an einer Schnittstelle zu anderen Professionals – daher muss das Team auch als Team gefördert werden.
Für die nötigen fachlichen Skills absolvieren unsere Mitarbeiter*innen regelmäßig Zertifizierungen, das ist die Basis. Besonderes Augenmerk legen wir aber darüber hinaus auf die Entwicklung von Soft Skills, da geht es viel um Kultur: Was bedeutet Innovation? Wie geht man mit Inklusion um? Wie kann man Kreativität ankurbeln? Wie kommuniziert man effektiv im Team? Wie stellt man Verantwortungsübernahme sicher?
Wir begleiten unsere Kunden – oftmals selbst international tätige Unternehmen – bei ihrer IT-Transformation und zählen weltweit insgesamt fast 90.000 Mitarbeiter*innen. Mit der Abspaltung von IBM im November 2021 haben wir das nächste Kapitel aufgeschlagen: Die Gründung eines neuen, unabhängigen Unternehmens mit dem Spirit eines Start-ups. Diesen Gedanken nehmen wir auch in die Bereiche HR und Recruiting mit.
Welche aktuellen Herausforderungen sehen Sie für Technologie-Unternehmen allgemein im HR-Bereich?
Umbrüche und Herausforderungen jeglicher Art sind gerade vorherrschend. Damit einher geht ein gesellschaftlicher Wandel, der weit über die Grenzen IT-Branche reicht: es gibt die Tendenz, weniger lange in Unternehmen zu bleiben. Außerdem wird der Ausgleich zwischen Privat- und Arbeitsleben immer wichtiger, persönliche Entwicklungsziele rücken in den Vordergrund und Mitarbeiter*innen wollen ihre beruflichen Ideen stärker einbringen können. Aus unternehmerischer Sicht wird eine gute Employer-Branding Strategie dadurch wieder wichtiger – Mitarbeiter*innen wollen, und sollen gefördert werden.
Herausfordernd ist auch der Gender Gap in der IT-Branche: Wir befinden uns in einem War for Talents, aber die Jobs sind noch stark auf Männer zugeschnitten. Da braucht es ein gesellschaftliches Umdenken und die sozialen Strukturen, um die IT-Karriere für alle zu öffnen. Bei Kyndryl unterstützen wir mit unserem „Leadership Development Program“ Frauen in Führungspositionen – was in technischen Unternehmen in Österreich weiterhin rar ist.
Wie fördern Sie Talente in Ihrem Unternehmen?
Man ist nicht erfolgreich, wenn man nur weiß, was man selbst braucht. Man ist erfolgreich, wenn man außerdem weiß, was sein Gegenüber braucht. Intern liegt uns die Förderung durch verschiedenste Workshops, Fortbildungen und Zertifizierungen am Herzen. Wir stehen für eine lernende Kultur, Feedback ist davon ein grundlegender Bestandteil. Maßgeblich für Innovation und Entwicklung ist auch Diversität im Team, dadurch kommen verschiedene Perspektiven zusammen. Wir fördern sowohl das technische Knowhow unserer Mitarbeiter*innen durch interne Weiterbildungen, als auch das soziale Miteinander, die vielfach genannten Soft Skills.
Wir sind überzeugt, dass Qualifizierung, Weiterbildung und Umschulung ein kontinuierliches Bemühen erfordern. Das unterstützen wir, um auch für künftige Skills und Jobs gerüstet zu sein – die Titel wie Algorithm Bias Auditor, Data Detective, Cyber-Katastrophenprognose oder Mensch-Maschine-Teaming-Manager umfassen können.
In nur einem Jahr als unabhängiges Unternehmen haben wir beachtliche Ergebnisse erzielt: Seit Jahresende setzen wir auf mehr als 9.000 neue Cloud-Zertifizierungen. Wir haben auch mehr als 26.000 Hyperscaler-Zertifizierungen erreicht und 28 % unserer Mitarbeiter*innen sind Cloud-zertifiziert. Darüber hinaus arbeiten wir mit wichtigen lokalen Hochschulen zusammen und führen lokale Praktikumsprogramme durch.
In welcher Weise macht sich der Fachkräftemangel bemerkbar? Und wie kann er langfristig gelöst werden?
Nach aktuellen Schätzungen der EU-Kommission und der WKO werden europaweit in den nächsten Jahren etwa elf Millionen IT-Fachkräfte fehlen. Das wurzelt bereits im IT-Ausbildungssystem, und ist daher tief im System verankert. Die Drop-out-Quote von Masterstudiengängen im Bereich Informatik liegt bei 51,4 %. Bei Bachelor-Studien an Fachhochschulen und Universitäten liegt sie gleichermaßen bei 43 %.
Das Problem kann nur an der Quelle gelöst werden: Schon zu Beginn der schulischen Ausbildung – an beispielsweise Volks- und Mittelschulen sowie weiterführend in höheren Schulformen – sollte breites Verständnis für die Alltäglichkeit und branchenübergreifende Wichtigkeit von IT aufgebaut werden. Die IT muss weg vom Nischen-Dasein, in das sie in der Gesellschaft immer noch oft gedrängt wird, und auch für die breite Öffentlichkeit angreifbarer gemacht werden.
Wie kann man den Gender Gap in der IT vermindern?
Der Gender Gap ist eine große Herausforderungen für die IT-Branche. Für mich als Frau an der Spitze eines Technologieunternehmens ist es ein besonders großes Anliegen, laufend Awareness dafür zu schaffen.
In Österreich gibt es bereits zahlreiche Förderungsansätze für Frauen in der Technik. Gemeinsam haben fast alle, dass sie das Bild von Frauen in technischen Berufen normalisieren möchten. Einerseits sind also Programme zur Frauen-Förderung immer noch notwendig, andererseits zeigt das nur, dass Frauen in der Branche nur durch „special treatment” Fuß fassen können. Auch hier braucht es Awareness. Denn wir sind als Gesellschaft weit davon entfernt, dass der Gender Gap geschlossen wird. Die Zukunft sollte aber von allen mitgestaltet werden – Frauen und Männern.
Welche Ansätze gibt es zur Förderung von Frauen bereits in der Ausbildung?
Um die nächste Generation schon frühzeitig zu bestärken, neue Wege zu gehen, dürfen Mädchen und Burschen schon in der Volksschule nicht in die klassischen Gender-Rollen geleitet werden. Zu MINT-Fächern sollte ein spielerischer Zugang geschaffen werden, ohne dass ein Zwang entsteht. Denn wenn Gleichberechtigung von Beginn an gelebt wird, bedarf es später auch keiner speziellen Bemühungen, Frauen überhaupt in die IT-Branche zu bekommen.
Je mehr Mädchen in Fächer wie Physik, Mathematik oder technisches Werken interessiert sind, desto mehr Frauen werden später im IT-Sektor arbeiten wollen. Es gilt, einen förderlichen Rahmen für alle zu schaffen, statt Individuen zu fördern. Innerhalb großer Unternehmen müssen Frauen in allen Ebenen vor den Vorhang geholt werden. So können auch intern Role-Models geschaffen werden. Denn häufig verlassen Frauen die IT, bevor sie zu ranghöheren Positionen gelangen, oder stiegen schon viel früher an der Universität oder Fachhochschule wieder aus.
Über das Unternehmen
Kyndryl entwirft, baut, verwaltet und modernisiert Informationssysteme. Knapp 90.000 Mitarbeiter*innen betreuen weltweit über 4000 Kunden in mehr als 60 Ländern, darunter 75 Prozent der Fortune-100-Unternehmen. www.kyndryl.com/at