Die Diskussion um die Illegalisierung der Abtreibung in den USA bringt einen unbemerkten und allgegenwärtigen Überwachungsapparat ins grelle Rampenlicht.
Titelbild: Gezielte Löschung. Google entfernt nun in den USA automatisiert Bewegungsdaten von Nutzer*innen in der geografischen Nähe von Abtreibungsanbietern. (Bild: iStock)
Apps sind praktisch und allgegenwärtig, und es gibt sie für jeden Zweck. Eine zum Checken der täglichen Jogging-Runde, eine für die GPS-Navigation, eine App zur Terminplanung, ein Kalender sowieso und dann noch den Yoga-Timer, den Blutdruck-Tracker und die interaktive Kalorientabelle. Und: Frauen, die schwanger werden möchten, stehen zum Tracking ihre Periode gleich mehrere praktische Helferlein zur Verfügung, die die Regelmäßigkeit der Monatsblutung sowie die fruchtbaren und unfruchtbaren Tage des Zyklus berechnen und statistisch erfassen.
Diese und andere Daten werden gesammelt, aber meist nicht direkt verwertet; das Geld, das die Anbieter dieser Apps verdienen, kommt durch Abomodelle oder Werbeeinschaltungen während der Nutzung herein. Dass die Ansammlung derart genauer Statistiken aber unter Umständen dramatische Konsequenzen haben kann, hat die umstrittene Entscheidung des US-Höchstgerichts zur Abtreibung nun ins grelle Licht gerückt.
Beweise sammeln gegen sich selbst
Weil die US-Bundesstaaten nach dem Fall der diesbezüglichen Regelung selbst über Legalität von Schwangerschaftsabbrüchen entscheiden dürfen und einige der republikanisch regierten davon sofort drakonische und bedingungslose Strafen für Abtreibungen beschlossen haben, sind die detaillierten, von den Frauen selbst gesammelten Daten über ihren Monatszyklus zu potenziell brisanten Beweisstücken in möglichen Verfahren geworden. Weil die Herausgabe dieser und anderer Daten auf richterliche Anordnung jederzeit möglich ist, füttern Frauen de facto den Überwachungsstaat mit Daten, die zu ihrer eigenen Verurteilung führen können.
Die punktuelle Aufregung lenkt aber den Blick weg von einem weitaus grundlegenderen Problem, das bei weitem nicht nur Frauen in jenen Staaten betrifft, die rigorose Abtreibungsgesetze beschließen – übrigens nicht nur in den USA, sondern zum Beispiel auch im EU-Land Polen. Denn dass die sehr spezifischen Perioden-Tracking-Daten gegen der Abtreibung verdächtigte Frauen verwendet werden, ist weniger wahrscheinlich als die Sammlung viel banalerer Hinweise, die per Smartphonesicherstellung leicht auffindbar sind: Google-Suchverläufe etwa, oder schlicht GPS-Daten, die bei den meisten Nutzer*innen ohne ihr ausdrückliches Wissen automatisiert von Apples und Googles Betriebssystemen aufgezeichnet werden.
Der Besuch einer Abtreibungsklinik ist problemlos per Bewegungsdatenverlauf nachvollziehbar – was Google vor kurzem sogar zum bemerkenswerten Schritt gebracht hat, in den USA Bewegungsdaten in der geografischen Nähe von ausgewiesenen Abtreibungsanbietern automatisiert zu löschen. Ein erster Schritt Richtung Bewusstseinsbildung – aber nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein, solange per Smartphone und Apps wahllos und in großem Stil Daten über ihre Nutzer*innen gesammelt und gespeichert werden dürfen.
Die aktuelle Debatte wirft ein Schlaglicht auf dieses Problem, das alle betrifft: dass der Blockwart in der Hosentasche jederzeit bereit ist, über uns detailliert Auskunft zu geben. Ein guter Anlass, sich anzusehen, welche Daten auch bei uns selbst ständig mitprotokolliert werden.