Vor 50 Jahren fand Österreichs Biomedizinische Technik ihren Anfang an der Technischen Universität in Graz und legte den Grundstein für eine erfolgreiche Forschungsgeschichte.
Als Wahlfach im Bereich Elektrotechnik startete 1970 eines der erfolgreichsten Lehr- und Forschungsgebiete der TU Graz: die Biomedizinische Technik. Die Arbeitsgruppe BCI-Forschung – eine Teildisziplin der biomedizinischen Technik – rund um Gernot Müller-Putz zählt heute zu den führenden europäischen Forschungsgruppen auf dem Gebiet der computergestützten Interpretation von Hirnströmen und ihrer Übersetzung in elektronische Impulse für Prothesen, Roboterarme und Kommunikationsprogramme. Neue Anwendungen der biomedizinischen Technik entwickelt auch der Fachbereich Biomedical Engineering Building.
BCI-Forschung
Der Mensch denkt, die Maschine lenkt. So lässt sich stark vereinfacht das Prinzip des »Brain Computer Interface (BCI)« beschreiben. Mittels einer Elektrodenhaube werden hirnelektrische Signale nicht-invasiv, dh ohne Operation, von der Schädeloberfläche aus gemessen und mittels EEG aufgezeichnet. Im jüngst abgeschlossenen ERC-Consolidator Grant-Projekt (Anm. des European Research Council) »Feel your Reach« ist es gelungen, einen Roboterarm rein durch Gedanken in Echtzeit zu steuern, wie gewohnt nicht-invasiv mittels EEG-Haube. Möglich wurde das durch das Dekodieren kontinuierlicher Bewegungsintention aus den Hirnsignalen. »Wesentlich hierbei ist der Beitrag der Augen«, informiert Gruppenleiter Gernot Müller-Putz. Die Sehinformationen tragen dazu bei, die Bewegungsintention zu erfassen. Ein weiteres BCI erkennt und korrigiert nicht erwünschte Bewegungen des Roboterarms. Durch Vibrationsgeber an der Haut werden die Bewegungen zudem fühlbar.
Krebszelle
Computermodelle zählen seit Jahren zu den Standardwerkzeugen in der biomedizinischen Grundlagenforschung. Unter Mitwirkung der Medizinischen Universität Graz und des Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York ist es Forscher*innen der TU Graz gelungen, das weltweit erste Krebszellmodell zu erarbeiten und damit ein essentielles Werkzeug für die moderne Krebsforschung und Medikamentenentwicklung auf den Weg zu bringen.
Bild: Erstmals ist es gelungen, einen robotischen Arm rein durch Gedanken in Echtzeit zu steuern.
Bislang fokussierten digitale Zellmodelle auf erregbare Zellen wie Nerven- oder Herzmuskelzellen. Das Team rund um Christian Baumgartner, Leiter des Instituts für Health Care Engineering an der TU Graz, legte das Augenmerk nun erstmals auf die spezifischen elektrophysiologischen Eigenschaften nicht-erregbarer Krebszellen. Das Computermodell simuliert die zyklischen Veränderungen des Membranpotenzials einer Krebszelle am Beispiel des menschlichen Lungenadenokarzinoms und eröffnet damit neue Wege in der Krebsforschung.
»In einer bestimmten Zellzyklusphase lassen sich Krebszellen quasi einfrieren. Mittels Computermodellen können diese Mechanismen simuliert werden«, sieht Baumgartner das erste digitale Krebszellmodell als den Beginn umfassender Forschungen. Weitere experimentelle und messtechnische Validierungen sind geplant.