Wenn wir neue Mitarbeiter*innen suchen, neigen wir dazu, Menschen zu bevorzugen, die ähnlich ticken wie wir. So entstehen in Unternehmen Monokulturen und in einem stabilen Umfeld sind homogene Teams auch hocheffektiv. Allerdings sind diese fragil bei unvorhersehbaren Entwicklungen. Diversifikation dient auch in der Geldveranlagung der Risikostreuung. Das gilt auch beim Recruiting und bei der Teamentwicklung.
Von Monika Herbstrith-Lappe
Heterogene Teams sind vielfältiger und daher kreativer. Mehr Möglichkeiten bieten mehr Erfolgschancen. Diverse Teams sind somit überlebensstark und zukunftsfit. Vorausgesetzt, man geht mit den Unterschiedlichkeiten konstruktiv um. Kontraproduktiv sind destruktive Machtspiele und daraus resultierende Konflikte im Sinne von »Wer ist wichtiger und mächtiger?«. Wir brauchen zukunftsstarke, artenreiche Ökosysteme in und zwischen den Unternehmen. So lassen sich wertvolle Synergien unterschiedlicher Stärken und Kompetenzen erschließen und in kreativer Weise aus Spannung Spannendes entwickeln.
Bereichernd anders
Unsere abendländische Kultur ist geprägt von dichotomischem Denken – dem immerwährenden Unterscheiden und Ziehen von Grenzen. Dementsprechend unterscheiden wir auch zwischen Stärken und Schwächen. Doch ein Getriebe funktioniert nur deshalb, weil unterschiedliche Zahnräder ineinandergreifen. Mit lauter gleich großen Zahnrädern lässt sich keine Übersetzung erzielen. Im übertragenen Sinne spielt sich das große Zahnrad auf und macht dem Gegenspieler zum Vorwurf: »Du bist ja viel kleiner als ich.« Dieses kontert: »Dafür bin ich viel schneller als du.« Das führt zu kontraproduktiven Machtspielen, wer wichtiger und wer mächtiger ist. Lösungsorientiert betrachtet sorgt das eine Zahnrad für die Geschwindigkeit und das andere für das Drehmoment. Statt in Stärken und Schwächen zu unterscheiden ist es viel zielführender auf eine angemessene Mischung gegensätzlicher Werte-Pole zu achten.
Wenn die einen Bewährtes bewahren und die anderen aufgeschlossen sind für Neues, so können die Bewahrer*innen verhindern, dass »das Rad immer wieder neu erfunden wird« und die Innovator*innen dafür sorgen, dass Marktveränderungen angemessen berücksichtigt werden. Die chinesische Weisheit »Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Windmühlen und die anderen Mauern« missachtet, dass Windmühlen Mauern als tragendes Fundament brauchen.
Gibt ein Unternehmen die Devise »Wir brauchen mehr Motor und weniger Bremse« aus, würde das High Risk Gambling bedeuten. Denn ohne die Sicherheit des Bremsens werden hohe Geschwindigkeiten spätestens in der nächsten Kurve zur Gefahr. Eine kluge Balance zwischen Zuversicht und Risikobewusstsein ermöglicht gesundes Wachstum.
Eine Studie aus dem Jahr 2019 belegt, dass Unternehmen, die nur Ja-Sager*innen, aber keine Andersdenkenden und kritische Hinterfragende beschäftigen, nicht zukunftsfit sind.
Als Physikerin weiß ich, dass Spannung aus Potenzialdifferenz resultiert. Ohne Spannung keine Leistung. Aber es braucht auch Widerstand, erst dann fließt Strom. Zu vermeiden sind Übergangswiderstände, die durch Nichtpassung an Verbindungsstellen entstehen – diese reduzieren massiv den Wirkungsgrad. Dieses Bild von elektrischen Schaltkreisen lässt sich auch auf Unternehmen übertragen: Ab-Teilungs-Denken sollte hier wie dort überwunden sein.
Synergie- statt Konfliktpotenzial
Damit sich die vielzitierte Teamformel »1 und 1 > 2« erfüllt, ist gegenseitiges Verständnis die Voraussetzung. Das setzt ausreichend Kommunikation voraus. Am meisten Zeit und Energie kosten jene Gespräche, die man versäumt hat zu führen. Höchst ökonomisch ist es daher, das Gespräch zu suchen, bevor Konflikte entstehen.
So wie ein Zylinder im Grundriss rund und im Aufriss eckig ist, sieht auch ein Auftrag aus der Sicht des Verkaufs anders aus als aus der Sicht der Realisierung, aus der Perspektive der Entwicklung anders als aus der des Betriebs, mit dem Fokus Nutzerfreundlichkeit anders als mit dem der Security usw. Statt über »rund oder eckig« zu streiten, sollte ein konziliantes »sowohl als auch« gefunden werden. Um dieses zu erkennen, braucht es eine zusätzliche Dimension. Erst dann kann man das Volumen des Zylinders sehen.
In Unternehmen sind dies idealerweise der gemeinsame Purporse und gemeinsame Ziele. Manchmal auch das gemeinsame Überleben. Statt sich zu überbieten »wer ist wichtiger« empfehle ich die Frage: »Wer trägt was – direkt oder indirekt – zum Kund*innen-Nutzen und Erfolg des Unternehmens bei?« »Was macht deinen Einsatz wertvoll?« und »Was ginge verloren, wenn du deinen Job nicht oder nicht gut machen würdest?« sind dementsprechend meine Lieblingsfragen für Mitarbeiter*innen-Gespräche.
Win-win statt Lose-lose
Weit verbreitet sind in unserer Kultur Glaubenssätze wie »Gewinner erzeugen Verlierer«. Dabei übersehen wir, dass KONkurrenz ursprünglich MITeinander laufen bedeutet. Ein japanisches Sprichwort besagt, es kommt nicht darauf an, dass du besser bist als andere, sondern heute besser bist, als du gestern warst. Kameradschaftliche Verlässlichkeit der Kolleg*innen und gegenseitige Hilfsbereitschaft sind die mächtigsten Stressstoßdämpfer in Unternehmen. Damit sind sie bester Nährboden für nachhaltig-leistungsstarke High-Performance-Teams.
Wenn wir einerseits die Stärken – die eigenen und die anderer – als Ansporn nutzen, um uns immer wieder weiterzuentwickeln, und uns andererseits gegenseitig unterstützen, gilt das Akronym TEAM – »Together Everbody Achieves More«.
Gemeinsam die Zukunft gestalten
Spieletheoretische Simulationen zeigen, dass sich in Gemeinschaften, die teils aus kooperativen und teils aus betrügerisch-egoistischen Individuen bestehen, auf längere Sicht die gemeinschaftsorientierten durchsetzen. Kurzfristig bietet es rasche Erfolge, die anderen »rasch über den Tisch zu ziehen«. Doch Win-Lose kippt rasch in Lose-lose. Rache ist süß. Zerschlagenes Vertrauen lässt sich nur höchst mühsam wieder herstellen. Die Betrügerischen vernichten sich langfristig gegenseitig.
Meine Verhandlungstrainings tragen deshalb den Titel »Klug verhandeln: das Ergebnis im Auge UND die Zeit danach«. In unserer vernetzten Welt begegnet man sich meist mehrfach. Da sollte man es sich nicht leisten, Feindschaften und verbrannte Erde zu hinterlassen.
In der globalen Wirtschaft sind wir so stark miteinander verwoben, dass das Optimieren von Einzelinteressen auf Kosten der Allgemeinheit nur in den gemeinsamen Abgrund führen kann. Dies gilt auch für die unterschiedlichen marktteilnehmenden Unternehmen. Gerade klein- und mittelständische Unternehmen sollten auf Kooperation setzen und gemeinsame ausgewogene Ökosysteme bilden. Wie Erfolgskonzepte z.B. von Möbelmeilen zeigen, macht auch die Zusammenarbeit von Unternehmen, die im direkten Mitbewerb stehen, durchaus Sinn.
ICH- UND WIR-Sein
In seinem neurobiologischen Buch »Was wir sind und was wir sein könnten« stellt Gerald Hüther die wesentliche Frage: »Was verstehen wir unter WIR?«
Bezugnehmend auf die Hirnstrukturen, die zutiefst auf Kooperation ausgelegt sind, appelliert er, das WIR größer zu denken und uns als Teil des irdischen Ökosystems zu verstehen. Schließlich hat erst die Fähigkeit der arbeitsteiligen Zusammenarbeit – beruhend auf der Entwicklung unserer Sprechfähigkeit – unser Durchsetzen in der Evolution ermöglicht.
Zwei Fallen
1.) Einerseits tun wir so, als ob »WIR« die anderen wären. Da beschwert man sich über die vielen Tourist*innen auf dem Markusplatz in Venedig und kommt nicht auf die Idee, selbst auch ein*e Tourist*in zu sein. »Das sollten wir machen« ist meist nicht gleichbedeutend mit »Ich packe an«. Ich nenne es den Effekt der verteilten Verantwortungslosigkeit, wenn es jede*r machen könnte, aber keine*r macht. Daher mein dringender Appell: WIR das bin auch ich.
2.)Andererseits ist auch das Trennende »Wir und die anderen« weit verbreitet. Ganz klar, Schuld sind immer die anderen. So wirkungsvoll gemeinsame Feindbilder für den teambildenden Schulterschluss sind, so sehr gilt es auch, Schrebergärtenzäune zu überwinden. Unsere Welt der Umbrüche mit zunehmender Komplexität und Dynamik braucht gemeinsame, gesamthafte Lösungen. Daher mein zweiter Appell: WIR das sind wir UND die anderen.
Die Lösung für beide kontraproduktiven Konzepte: Es geht darum zu erkennen, dass weder die einen, noch die anderen eine anonyme Masse sind. Vielmehr bestehen sie aus lauter einzigartigen Persönlichkeiten bzw. Corporate Identities. Die Männer oder die Frauen, die Generation Y oder die digitalen Migrant*innen gibt es genausowenig wie die IT-Unternehmen, die KMU oder die Konzerne.
Bei genauerer Betrachtung erkennt man, dass jede*r und jedes einmalig ist. Die Synergiepotenziale erschließen sich, wenn die Einzelnen sich selbst treu bleiben UND sich mit wertvollen Beiträgen in die Gemeinschaft einbringen, um gemeinsam die Mission zu erfüllen und den Purpose zu verwirklichen. Das dynamische Gleichgewicht von erfolgreichen Ökosystemen beruht auf der stimmigen Balance zwischen Einzelinteressen UND dem Gemeinwohl, dem ICH- UND WIR-Sein.