Nagarro ist durch den Kauf von Anecon kräftig gewachsen. Die Schwerpunkte der fusionierten Unternehmen liegen nun auf Software-Entwicklung und -Testing, Cloud-Technologien und Transformationsprojekten für die Digitalisierung.
Zu den Personen: Hannes Färberböck: gründete 1998 mit drei Partnern das Softwarehaus Anecon, mit zuletzt rund 15 Millionen Euro Umsatz. Seit 2018 ist er in der Geschäftsführung von Nagarro Österreich und zusätzlich Teil des internationalen Senior-Management-Teams. Damianos Soumelidis: ist seit 2015 Teil der Geschäftsführung und führt auch das internationale Competence Center der Nagarro Cloud Services. Das von ihm gegründete Unternehmen Hexa Business Services bildete nach der Übernahme den Ausgangspunkt für Nagarro in Österreich.
Jänner 2018: Zum 20-jährigen Firmenjubiläum unterzeichnen die drei Gesellschafter des heimischen Softwarespezialisten Anecon, Johannes Adler, Hannes Färberböck und Hans Schmit, die Verkaufsverträge. Heute sind die rund 150 Anecon-Mitarbeiter in dem international tätigen IT-Dienstleister Nagarro integriert. Der Fokus bleibt in dieser erweiterten Formation auf lokales Geschäft gerichtet, betonen zwei Vertreter der Geschäftsführung gegenüber dem Report.
Report: Herr Soumelidis, aus welchen Beweggründen hat Nagarro das Unternehmen Anecon übernommen? Wie haben die Größenverhältnisse ausgesehen?
Damianos Soumelidis: Die Idee war, vor allem qualifizierte Mitarbeiter und deren Know-how zu Entwicklung, Testautomatisierung und Beratungsleistungen rund um das Thema Software zu gewinnen. Nagarro hatte ebenso wie Anecon eine Umsatzgröße von rund 15 Millionen Euro in Österreich, wobei der Großteil unseres Geschäfts aber international erbracht wird – in Zusammenarbeit mit Kollegen in Indien, Deutschland, USA, je nachdem wo die Spezialisten sitzen. Vor der Fusion hatten wir 60 Mitarbeiter in Österreich, jetzt sind es 200.
Report: Aus welchem Grund haben Sie verkauft, Herr Färberböck?
Hannes Färberböck: Durch die Eigentumsverhältnisse mit drei Firmeninhabern war Anecon nicht wie ein klassisches Familienunternehmen aufgestellt. Ich selbst bin mit 56 der Jüngste von uns dreien. Wir haben eine Nachfolgeregelung gesucht, da uns die Zukunft unserer Mitarbeiter und dessen, was wir mit ihnen aufgebaut haben, sehr am Herzen liegt. Wie man weiß, gehen viele Unternehmen zu Bruch, wenn dieses Thema nicht rechtzeitig angegangen wird. Der ursprüngliche Plan war, zwei bis vier Jahre für die Suche eines hundertprozentig passenden Partners zu verwenden und dann noch einige Jahre aktiv den Wechsel zu begleiten. Schließlich ist ein Dienstleistungsunternehmen kein Haus, dessen Verkauf mit der Unterschrift erledigt ist. Dass Nagarro im gleichen Moment, in dem wir die Marktevaluierung beginnen, anklopft und eigentlich alles passt, war Zufall.
Es gibt einen weiteren Beweggrund: Themen wie die Digitalisierung, die unsere Kunden beschäftigen, erfordern eine breite Aufstellung. Die damit verbundene Technologievielfalt haben wir nicht bieten können. Für uns war klar, dass dies mit einem international aufgestellten Partner gelingen muss. Letztlich fordern das auch unsere Kunden, beispielsweise Finanzdienstleister, mittelständische Unternehmen aus der Logistik, dem Anlagenbau oder Maschinenzulieferer. Sie alle sind, auch wenn viel Entwicklung in Österreich passiert, international tätig und brauchen auch dort Unterstützung.
Report: Für Nagarro bedeutet dieser Schritt vor allem eine anorganische Zuwachsmöglichkeit in Österreich?
Soumelidis: Ja, aber es gibt neben den ökonomischen Faktoren auch inhaltliche. Nagarro hat sich auf ein hybrides Shoring-Modell spezialisiert, das erfolgreich sowohl auf eine lokale Mannschaft in der Betreuung der Kunden als auch auf Personal- und IT-Ressourcen international setzt. Das bedeutet aber im lokalen Markt Wachstumsgrenzen, weil es schlichtweg zu wenige Leute für den Brückenkopf vor Ort gibt. Wir waren deshalb auf einen Zukauf angewiesen. Dazu hatten wir einen Partner gesucht, der über Fachkräfte hinaus weitere Themen einbringen kann. Für Nagarro sind insbesondere die Assets Software-Testing und Qualitätssicherung hinzugekommen. Etwas Besseres hätte uns nicht passieren können.
Färberböck: Die mitunter schon verzweifelte Suche nach IT-Fachkräften hat im vergangenen Jahr auch Anecon beschäftigt und wir beobachten Ähnliches auch bei vielen anderen Unternehmen. Wir sind stolz, im Vorjahr zwölf neue Mitarbeiter gefunden zu haben, hätten aber weitaus mehr gesucht. Und ich kann Ihnen sagen: Wenn auch ich mich als Geschäftsführer nicht ebenso bei den Jobanwärtern beworben und diese regelrecht umworben hätte, wäre auch dieser Zuwachs nicht passiert.
Soumelidis: Die Schlagworte Digitalisierung und Internet of Things treiben derzeit Unternehmen in allen Wirtschaftsbereichen. Vom Fachkräftemangel sind nicht nur die IT-Firmen betroffen. Jeder sucht und das wird noch weiter zunehmen. Wir sind überzeugt, dass das Personaldilemma in Europa letztlich nur über Shoring-Modelle gelöst werden kann. Ob das nun aus Indien, Pakistan, Vietnam, China oder anderen Ländern erfolgt, sei dahingestellt. Aber es wird nicht mehr anders gehen.
Färberböck: Das Geheimnis ist, das Beste aus beiden Welten zu haben. Es wird weiterhin lokale Entwicklung geben müssen, da auch die Releasezyklen immer kürzer werden. So geht bereits einer unserer Kunden, die ÖBB, in Richtung wöchentlicher Releases für ihren Ticketshop.
Auch Energieversorger und Kunden aus der Logistik stehen vor dieser Herausforderung. Entwicklungsprozesse und auch Abnahmen –Stichwort agile Softwareentwicklung – müssen nahe am Kunden erbracht werden. Beratung und Prozesse mit hoher Wertschöpfung wird es immer lokal geben.
Autismus: Ausbildung zu Software-Testern
Menschen mit Autismus sind Naturtalente, wenn es darum geht, Abweichungen zu erkennen und besonders genau beziehungsweise strukturiert zu arbeiten. Trotzdem sind die Betroffenen meist jahrelang auf Arbeitssuche. Nagarro Austria und das Social Business Specialisterne haben im April ein Aufnahmeverfahren für einen Ausbildungslehrgang zum Software-Tester begonnen, der sich diese besonderen Fähigkeiten zunutze macht. In dem Projekt »TestingPro« wird abseits herkömmlicher Lösungswege soziale Verantwortung mit der Bedarfssituation des Fachkräftemangels verknüpft.
Nach Abschluss der Ausbildung stehen die Testing-Experten ab Ende Oktober als Arbeitnehmer für Unternehmen zur Verfügung. Damit das Onboarding erfolgreich gelingt, wurde ein eigenes »Managed Start«-Angebot entwickelt. Ein multidisziplinäres Team von Fachleuten und Coaches begleitet Arbeitgeber, Teams und den neuen Kollegen mit Autismus, um einen erfolgreichen Start der Zusammenarbeit zu gewährleisten.