Der IKT-Anbieter T-Systems will den europäischen Markt aus dem Winterschlaf holen und in der zweiten Halbzeit der digitalen Revolution mit Services und Innovation punkten.
Es gehört zum Lebenswillen und Selbsterhaltungstrieb der IT-Branche, alle zwei bis drei Jahre einen neuen Begriff ins Gespräch zu bringen, der den Veränderungen im Business einen Namen gibt. »Digitialisierung« ist seit dem vergangenen Jahr jenes Zauberwort, das Unternehmen, Verwaltung und unsere Gesellschaft erfasst und unter dessen Ägide IT-Projekte durchgeführt werden. Und selten wurde ein Buzzword so treffend gewählt. Mit Digitalisierung ist längst nicht mehr lediglich das Übersetzen des Analogen in digitale Informationen oder Daten gemeint. Es beschreibt eine komplette industrielle Revolution in allen Branchen. Der Druck, sich neu zu erfinden, ist groß – schließlich stehen Quereinsteiger wie Amazon, Uber und Airbnb schon um die Ecke, um stabile Industrien über Nacht zu killen. Also gilt es, Geschäftsprozesse nicht nur in Software und Webservices abzubilden, sondern mithilfe der IT in ihre Grundbausteine zu zerlegen und innovativ, ungewohnt, genial und nutzerfreundlicher denn je wieder zusammenzusetzen.
Mit Praxisbeispielen ging die Deutsche Telekom auf der IT-Messe CeBIT im März voran. Sie zeigen, wie sich Prozesse in unterschiedlichen Wirtschaftsbereichen betont positiv verändern werden. So etwa in der Landwirtschaft: Automatisierung und Digitalisierung werden Nahrungsmittelproduktion und Lieferketten neu erfinden. Landwirtschaftsmaschinen sind untereinander und mit der Steuerzentrale des Betriebs vernetzt, im Boden werden Temperaturen und Feuchte gemessen und Sensorendaten vom Silo bis zum Abfallkübel werden zu einem großen Ganzen zusammengeführt.
Oder der Handel: Das sogenannte »Proximity Marketing« möchte die Konsumenten mit personalisierten Angeboten direkt auf ihren mobilen Endgeräten erreichen. Dabei wird individualisierter Content häppchenweise mit Beacon-Technologie, NFC und Apps am Filialeingang, in der Wurstabteilung oder im Kassenbereich übertragen. Dieser Kundenservice wird von Willigen – jenen, welche die Kundenkarten-App des Retailers installiert habe – auch angenommen. Schließlich kann sich darin auch die Information befinden, welche Rabatte heute in der Filiale zu bekommen sind
Reise des Kunden
Baumärkte wiederum können, so das Beispiel, in der »Customer Journey« darüber hinaus Hilfestellung leisten, in welchem Gang, an welcher Stelle im Regal die eine Glühbirne oder die eine gesuchte Schraube zu finden ist. Höhepunkt des Nutzererlebnisses ist ein 3D-Scanner vor Ort, der ein Produktmuster – vielleicht die mitgebrachte Schraube – erfasst, worauf ein Navi-ähnliches Leitsystem am Smartphone durch den Baumarkt führt und ein LED punktgenau am Preisschild im Regal wild zu blinken beginnt. Das ist eine Leuchtturmtechnologie im wahrsten Sinne des Wortes. Überhaupt, die Offline- und Onlinewelten im Handel werden weiter zusammenwachsen. Künftig stehen wir im Geschäft, interagieren über das Handy mit dem Shopsystem und bezahlen auch noch damit, heißt es bei einer Standführung auf der Messe.
Neue Cloudplattform als Basis
Schätzungen gehen davon aus, dass bis 2020 rund 30 Milliarden Sensoren in Geräten, Fahrzeugen oder Maschinen miteinander vernetzt sein werden. Das dadurch entstehende Datenvolumen wird alles Bisherige in den Schatten stellen. Auch in der klassischen IT-Welt, in der immer noch der Begriff Cloud als Verkaufsschlager taugt, tut sich dazu in Europa einiges. Cloudservices eignen sich als flexibel skalierbare Plattform für den Bau des »Internet of Things«. Doch sollen sie absolut sicher sein – Unternehmen müssen sich darauf verlassen können, dass nur sie Zugriff auf die Daten haben.
Vergangenen Herbst ist das Safe-Harbor-Abkommen, das pauschal den Datenschutz zwischen den EU-Staaten und der USA regelt, auf Rechtswegen gekippt worden. An einem neuen Abkommen wird verhandelt, doch so lange wollen die großen IT-Dienstleister der Alten Welt nicht warten. Auch die Deutsche Telekom mit ihrer international tätigen Geschäftskundensparte T-Systems hat Rechenzentren in den europäischen Ländern vor Ort, darunter auch Österreich. Anette Bronder ist Geschäftsführerin der frisch gegründeten Digital Division bei T-Systems. In ihrer Einheit sind die Themen von Machine-to-machine-Kommunikation und Industrie 4.0 über Big-Data-Analysen bis zu vertikalen Branchenlösungen, die es von der Stange gibt, gebündelt.
Mit dem im März gelaunchten IT-Infrastruktur-Service »Open Telekom Cloud« werden Unternehmen gerade für den Aufbau von neuen Geschäftsfeldern flexible, leistbare und sichere Rechner sowie dedizierte Services geboten. »Wir haben ein starkes Public-Cloud-Portfolio aufgebaut und sind genauso attraktiv wie die Konkurrenz – preislich gesehen ebenso wie in der Funktionalität und der einfachen Handhabung«, bietet Bronder selbstbewusst dem Branchenprimus Amazon Web Services (AWS) Paroli. Über die Open Telekom Cloud können mit nur wenigen Klicks eine IT-Infrastruktur oder Softwarelösungen gebucht werden. Die Ressourcen stehen binnen weniger Minuten zur Verfügung. Den technischen Untergrund basierend auf dem Cloud-Standard OpenStack liefert Huawei.
Die IT-Services werden zentral aus dem derzeit modernsten Cloud-Rechenzentrum der Telekom in Biere im Bundesland Sachsen-Anhalt erbracht. SAP ist mit seinem Softwareportfolio und SAP HANA unter den ersten Nutzern und Diensteanbietern. Plan der Digital Divison ist, mit dem Portal innerhalb von vier bis fünf Jahren ein »sich selbst ernährendes« Ökosystem an Services, Anbietern und Nachfragenden zu schaffen. Man sehe sich selbst als Startup innerhalb des Konzerns, verrät Bronder. »Wir laden Partner ein, ihre Microservices darüber auszuliefern und fokussieren auch auf kleinere Kunden.« In Deutschland adressiere man die Bandbreite der Anwender »vom Mittelstand bis zum Ponyhof«, heißt es. »Immer mehr Kunden entdecken die Vorteile der Public Cloud für sich. Aber sie wollen eine europäische Alternative«, meint die Managerin.
Diese Alternative soll bei allem Einhalten der strengen deutschen Datenschutzbestimmungen auch preislich zur Kampfansage werden, bestätigt Geschäftsführungskollege Ferri Abolhassan, verantwortlich für die IT Division und Security bei T-Systems. »Wir sind zurzeit um 15 Prozent billiger als Amazon«, unterstreicht er. »Wertschöpfung in der IT muss wieder aus Europa kommen können. Die Digitalisierung in der zweiten Halbzeit ist eine europäische Domäne.«