Sonntag, Juli 21, 2024

Wissenschafter aus fünf EU-Mitgliedstaaten haben sich zum Ziel gesetzt, den europäischen Institutionen eine seriöse Datenbasis für sinnvolles Ressourcenmanagement, Recycling und Urban Mining zur Verfügung zu stellen. Denn der aktuelle Plan Brüssels kostet viel Geld und bringt wenig.

Mit der Gründung von CEC4Europe, der »Circular Economy Coalition for Europe«, wollen Christoph Scharff, Vorstand der Altstoff Recycling Austria AG, und Prof. Martin Faulstich, CUTEC und Vorsitzender des deutschen Sachverständigenrates für Umweltfragen, gemeinsam mit österreichischen, deutschen, englischen und französischen KollegInnen eine evidenzbasierte EU-Recyclingstrategie unterstützen. »Wir betreiben keine Politik, vielmehr versuchen wir gemeinsam und in enger Kooperation mit der Industrie, den Fokus der EU-Kommission in eine ökologisch effektive und ökonomisch sinnvolle Richtung zu lenken«, beschreibt Christoph Scharff die Zielsetzung.

Der Hintergrund

Ende letzten Jahres hat die neue EU- Kommission das Kreislaufwirtschaftspaket vom 2. Juli 2014 zurückgezogen. Frans Timmermans, erster Vizepräsident der Europäischen Kommission, hat daraufhin ein noch ambitionierteres Paket angekündigt: Unter dem Motto »Wachstum, Beschäftigung und Umweltschutz« sollten die bereits bestehenden Recyclingziele im Bereich Siedlungsabfälle bis 2030 noch weiter gesteigert werden. Dabei haben gerade im Bereich der Siedlungsabfälle zahlreiche Mitgliedstaaten, darunter auch Österreich, sehr hohe Recyclingraten erzielt. »Bevor wir nun noch höhere Ziele für Siedlungsabfälle mit extremen Grenzkosten und einem ernsten Qualitätsproblem ins Auge fassen, ist es sinnvoller, die Mitgliedstaaten am Ende des Rankings an den Stand der Technik heranzuführen«, erklärt Scharff.

Christoph Scharff

Foto: Christoph Scharff

Das sei pro Tonne wesentlich wirtschaftlicher und verringere gleichzeitig die bestehende Marktverzerrung. »Zudem kann man ohne viel Fantasie annehmen, das auch höhere Ziele nur mit sehr hohem Aufwand von den üblichen Verdächtigen erfüllt werden und die Nachzügler weiterhin Daumen drehen«, befürchtet Scharff.

Betrachtet man die nackten Zahlen, so ist die Kritik der CEC4Europe durchaus berechtigt: Im EU-Durchschnitt macht der Siedlungsabfall jährlich pro Kopf rund eine halbe Tonne aus. Das Gesamtabfallaufkommen pro Kopf ist mit fünf Tonnen aber zehnmal höher. »Es geht um optimale, nicht maximale Recyclingquoten. Auch Sammlung, Sortierung, Aufbereitung verbrauchen Ressourcen. Überzogene Recyclingquoten, die etwa mehr Energie benötigen, als durch die gewonnenen Sekundärrohstoffe eingespart wird, sind ökologisch kontraproduktiv«, erklärt Prof. Helmut Rechberger, TU Wien, die Problemstellung. Anstelle ineffizienter Zielvorgaben solle das Augenmerk daher auf eine Harmonisierung des Recyclingniveaus in den Mitgliedstaaten gelegt werden, um weitere Wettbewerbsverzerrungen und Anreize für teils illegale Abfallexporte in Länder mit geringeren Standards zu vermeiden.

Helmut Rechberger

Foto: Helmut Rechberger, TU Wien

Fokus Urban Mining

Die Rohstofffrage ist für die EU ein essentielles Zukunftsthema, allerdings sei es, so Scharff, »unverständlich, warum man mit Blick auf den Siedlungsabfall ein aufwendiges Programm  für lediglich zehn Prozent des Abfalls schmiedet, während insgesamt  zehnmal mehr Abfälle anfallen«. Dazu kommt das anthropogene Lager in Bauwerken, Infrastruktur und Produkten, das bereits jetzt bei etwa 400 Tonnen pro Kopf liegt. Pro Jahr wird dieser anthropogene Rucksack zudem um weitere zehn Tonnen aufgestockt.

»Wenn wir eine Recycling- und Rohstoffpolitik für die Zukunft entwerfen wollen, müssen wir auf diese enormen künftigen Potenziale schauen und nicht in den Rückspiegel oder nur auf das vergleichsweise kleine Häufchen Siedlungsabfall«, sagt Scharff. Für ihn ist Recyclingpolitik mindestens ebenso Wirtschafts- und Standortpolitik wie Umweltpolitik. Deshalb arbeiten in CEC4Europe Wissenschafter eng mit führenden Industrieunternehmen etwa aus den Bereichen Bau, Metall, High Tech oder Automotive zusammen. Will man eine strategische europäische Kreislaufwirtschaft entwickeln, müsse der künftige Rohstoffbedarf der europäischen Industrie als Grundlage erhoben werden, um nicht ein künstliches Angebot ohne Nachfrage zu schaffen. Auf der Angebotsseite seien die tatsächlichen Potenziale in Abfällen und anthropogenen Lager systematisch zu erforschen.


 

CEC4Europe in Brüssel

Ende Juni präsentierte CEC4Europe ihr Programm bei der »Circular Economy Conference of the GD GROW and GD ENV«. Mehr als 700 Gäste nutzten die Konferenz »Closing the Loop – Circular Economy: boosting business, reducing waste« zur Information und zum Wissensaustausch.

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