Anlässlich einer Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Energietechnik, einer Fachgruppe des Österreichischen Verbands für Elektrotechnik (OVE), trafen Experten aus Wirtschaft und Forschung im Oktober zu einem Gespräch zusammen. Das Diskussionsthema: Ist unsere Stromversorgung auf hohem Niveau künftig durch Einsparungstendenzen gefährdet? Stehen Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Energiewirtschaft im Widerspruch?
Helmut Leopold, Leiter des Safety and Security Department, Austrian Institute of Technology (AIT): »Informations- und Kommunikationstechnik dringt heute in alle Wirtschaftsbereiche – das bringen die Dynamik und der Innovationsdruck unserer Zeit. Damit kommt es auch zu einer starken Vernetzung im Energiebereich. Immer mehr Menschen nutzen Technik. Gleichzeitig bieten die Systeme größere Angriffsflächen. Wir wollen nun in Forschungsschwerpunkten intelligente Techniken und Methoden entwickeln, die Sicherheitsvorfälle erkennen sowie den Austausch systemwichtiger Sicherheitsinformationen unter den Herstellern, Infrastrukturbetreibern und der öffentlichen Hand forcieren. Die große Fragen dabei ist auch, wie man dies automatisiert auch weltweit unterstützen kann. Dazu brauchen wir Regeln, Vertrauen und ein Zusammenspiel aller Akteure. Diese Maßnahmen für sichere Netze entwickelt das AIT aktuell in einer gemeinsamen Initiative mit der Technologieplattform Smart Grid Austria – getragen von FEEI und Oesterreichs Energie – sowie der TU Wien.«
Peter Reichel, Generalsekretär Österreichischer Verband für Elektrotechnik: »Sichere Stromversorgung ist die Basis für einen prosperierenden Wirtschaftsstandort Österreich ebenso wie für Lebensqualität und Wohlstand. Eine sichere Stromerzeugung und Stromversorgung ist das oberste Gebot der Energiewirtschaft. Deshalb nimmt Österreich eine hervorragende Position in allen Statistiken zu Stromausfällen ein. Doch geht der allgemeine Wirtschaftsdruck auch an der Energiebranche nicht vorbei.«
Wolfgang Gawlik, Professor am Institut für Energiesysteme und Elektrische Antriebe der TU Wien: »Während Fragen der Wirtschaftlichkeit und des Umweltschutzes in öffentlichen Diskussionen dominieren, wird die Zuverlässigkeit des Energiesystems als gegeben vorausgesetzt. Sie ist in Österreich dermaßen hoch, dass auf diesen Wert oft vergessen wird. Trotz der Relevanz dieser Qualitäten haben Ausfallssicherheit und Zuverlässigkeit derzeit keinen Preis, der auch bezahlt wird. Wir wollen die Bedeutung und die Aufgabe dieser Qualitäten und Lösungen dazu ermitteln und vermitteln. Wenn sich das Energiesystem nun schon so wandelt, wie erwartet, dann müssen wir Methoden entwickeln, um diese Qualitäten zu erhalten – oder neue Werte finden, die an ihre Stelle rücken können.«
Franz Chalupecky, Vorstandsvorsitzender ABB: »Weltweit betrachtet wird der elektrische Energieverbrauch bis 2050 um mindestens 80 % steigen. Die Industrie geht davon aus, dass Energietechnik in den kommenden Jahren sehr viel stärker nachgefragt wird. Die Märkte verhalten sich dennoch unterschiedlich. Es gibt eine Entwicklung der Reindustrialisierung in den USA, Asien hat insgesamt ein stabiles Wachstum, während sich in Europa die Situation von Land zu Land unterschiedlich darstellt. Wir rücken in Österreich mit unserem Angebot Energieeffizienz in den Vordergrund ohne dabei die Produktivität zu vernachlässigen. Deshalb sind für uns Qualität und Sicherheit kein Widerspruch. Zirka 30 % der elektrischen Energie wird von Motoren verbraucht. Würden wir alle diese mit modernster Frequenzumrichtertechnik ausrüsten, könnten wir um ein gutes Drittel Energie einsparen. Dank einem von ABB entwickelten Hochspannungs-Gleichstromschalter werden in Zukunft nicht nur Punkt-zu-Punkt-Verbindungen über Gleichstrom möglich sein, sondern auch echte Netze. Es wird viele Möglichkeiten geben, diese anders zu gestalten – auch in Verbindung mit Elektromobilität, die in Österreich derzeit eher langsam wächst. In allen Energiethemen ist die Wirtschaft allerdings auf die Politik angewiesen. Die Industrie alleine kann die Marktverwerfungen, die mehrheitlich von der Energiewende in Deutschland ausgegangen ist, nicht kompensieren.«
Herbert Saurugg, Koordinator der Plattform »Plötzlich Blackout!« und Leiter des Resilienz Netzwerks Österreich: »Wir hätten kurzfristig kaum Möglichkeiten, um das Worst-Case-Szenario eines plötzlichen Blackouts zu verhindern. Mein Appell ist daher, sich auch auf diese Szenarien vorzubereiten. Wir möchten dazu viele Menschen einbinden, um eine Krisenphase möglichst kurz zu halten, und stehen vor Herausforderungen, die das gesamte System betreffen. Die Energiewende ist derzeit lediglich auf die dezentrale Erzeugung, aber nicht auf eine Systemgestaltung ausgerichtet. Wir haben in Europa Netze, die für die Anbindung einiger tausend Kraftwerke errichtet worden sind, heute aber einige Millionen Erzeuger einbinden müssen. Das erfordert ein anderes Systemdesign. Bei einem totalen Ausfall der Netze sollte ein System aus regionalen Energiezellen, die eine Mindestversorgung zu jeder Zeit gewährleisten, einspringen können. Bei Störungen im Netz könnte dann jenen am besten geholfen werden, die es dringend benötigen. Das würde eine Robustheit schaffen, die jede Art von Bedrohung bewältigt.«
Franz Hofbauer, Präsident Österreichischer Verband für Elektrotechnik (OVE): »Wir haben in Österreich eine sehr niedrige Stromausfallsrate – pro Abnehmer und Jahr liegt diese bei 30 Minuten – und damit eine hohe Qualität in der Stromversorgung. Dieser Faktor sollte auch in Zukunft eine Rolle für eine vernünftige Basis für den Industrie- und Wirtschaftsstandort spielen. Dazu braucht es den Netzausbau auf der Regionalnetzebene sowie überregional auf Verteilnetzebene. Die Netz- und Erzeugungsbereiche sind in den vergangenen Jahren unter einem großen Kosten- und Einsparungsdruck gestanden. Dazu hatte die Industrie in den vergangenen Jahren auch Personal abgebaut. Hier besteht nun die Herausforderung, die Servicequalität trotzdem auf weiterhin hohem Niveau halten zu können und das vorhandene Wissen zu managen. Wir appellieren an die Politik, darauf zu schauen, dass eine Investitionssicherheit in der Energiewirtschaft gewährleistet ist. Auch brauchen wir in Europa eine globale Sichtweise, damit sich die Maßnahmen einzelner Länder wie Deutschland nicht auf das Marktgefüge bei den Nachbarn auswirken.«
Johannes Vavra, Hauptabteilungsleiter Wiener Netze: »Seit der Liberalisierung des Strommarktes in den Jahren 2000 und 2001 sind die Netztarife und damit die Erlöse für die Betreiber um rund 40 % gesunken. Wir müssen damit mit etwas mehr als der Hälfte auskommen als wir vor 15 Jahren zu Verfügung hatten – und trotzdem haben wir in Österreich weiterhin sinkende Netztarife. Trotz dieses Drucks investieren wir sehr viel. Mittlerweile konnte mit der Regulierungsbehörde einigermaßen Planungssicherheit über festgesetzte Perioden vereinbart werden. Anders als in der IT haben wir in der Energietechnik bei Komponenten wie Kabel, Umspannwerken und Transformatoren einer Nutzungsdauer von 40 Jahren und länger. Entscheidungen für neue Technologien gelten damit für die nächsten zwei Generationen – egal ob es gute oder schlechte Entscheidungen waren. Sie müssen daher sehr sorgfältig getroffen werden. Es geht darum, in sehr hochwertige Produkte zu investieren. Die einzige Möglichkeit, dem Kostendruck standzuhalten, ist langfristig zu planen, sorgfältig zu wählen und damit eine entsprechend lange technische Lebensdauer zu erreichen.«