Sonntag, Dezember 22, 2024

Europas Energiemarktbehörden und die Vertreter der Energiewirtschaft sind sich einig: Für die gewünschte sichere, saubere und leistbare Energieversorgung ist die Weiterentwicklung des Binnenmarktes unverzichtbar.

Von Klaus Fischer

Dass der EU-Energiebinnenmarkt heuer »vollendet« wird, wie der Europäische Rat 2011 forderte, ist »eher unwahrscheinlich«, betonte Klaus-Dieter Borchardt, der zuständige Direktor der Generaldirektion Energie der EUKommission, anlässlich einer Pressereise auf Einladung der E-Control nach Brüssel: »Die Integration wird niemals beendet sein. Verbesserungen, Vertiefungen und Erweiterungen sind ja immer möglich.« Borchardt geht allerdings davon aus, dass noch heuer die wichtigsten Framework Guidelines und Netzwerkkodizes vorliegen, für die übrigen sollte das Ende 2015 der Fall sein: »Damit wäre zumindest der regulatorische Rahmen für den Binnenmarkt weitgehend vollendet. « Und ganz katastrophal falle die Bilanz der Fortschritte seit 2011 nicht aus: So »sorgt ein liquider Gashandel bereits für niedrigere Großhandelspreise, zumindest in Teilen der EU«. Im Stromsektor laufe seit Anfang Februar das bisher größte Projekt zur Integration der Day-ahead-Märkte. Neben den zentraleuropäischen und den skandinavischen Staaten sowie Großbritannien beteiligten sich daran mittlerweile auch Spanien und Portugal. Italien werde folgen. »Dieses Market Coupling gewährleistet die effiziente Nutzung der europäischen Übertragungskapazitäten. Wichtig wäre, es auch für den Intraday-Markt einzuführen«, konstatierte Borchardt. Letzten Endes sei »ein integrierter und funktionierender Energiebinnenmarkt die Voraussetzung, um die energiepolitischen Ziele kosteneffizient zu erreichen.« So lasse sich die Versorgungssicherheit »durch grenzüberschreitenden Handel und die Diversifizierung der Bezugsquellen« erhöhen. Die Marktöffnung führe weiters zu »bezahlbaren und wettbewerbsfähigen Energiepreisen «. Und schließlich könne der Binnenmarkt auch die »kosteneffiziente Reduktion von Treibhausgasen« gewährleisten. Von Report(+)PLUS darauf angesprochen, dass die EU-Generaldirektionen bisweilen einander widersprechende Ziele verfolgen – Stichwort Ökostromausbau versus Gewässerschutz –, sagte Borchardt, eine Lösung sei angedacht: Die bestehenden Generaldirektionen könnten in etwa sechs »Clustern« zusammengefasst und von je einem »Vizepräsidenten« koordiniert werden: »Damit könnten wir die Politiken besser aufeinander abstimmen.« Den Einwand, damit werde eine zusätzliche Verwaltungsebene eingeführt und der Verwaltungsaufwand erhöht, wies Borchardt zurück: »Schon derzeit geschieht ja eine Abstimmung, allerdings von unten. Künftig würde sie institutionalisiert von oben erfolgen.«

Gesamtbetrachtung nötig

Für eine stärkere Europäisierung der Energiepolitik spricht sich auch die E-Control aus. Vorstand Walter Boltz plädierte in Brüssel für eine »Gesamtbetrachtung«. Die bisher noch dominierende nationalstaatliche Perspektive müsse einer zumindest regionalen Sichtweise weichen. So habe es wenig Sinn, wenn Bayern ein neues thermisches Kraftwerk errichten wolle, um das außer Betrieb gehende Kernkraftwerk Grafenrheinfeld zu ersetzen, und andererseits unweit der Grenze das oberösterreichische Gas- und Dampfkraftwerk Timelkam stillstehe. Auch stellten die Energiekosten für viele Wirtschaftssektoren einen wichtigen Teil ihrer gesamten Aufwendungen dar. Folglich müssten die Energie- und die Klimapolitik »gemeinsam mit der Wirtschaftspolitik betrachtet« werden, forderte Boltz: »Lange Zeit galt ja das Motto: Um die Welt zu retten, darf uns nichts zu teuer sein.« Es gelte, das ETS weiterhin als zentrales Instrument der EU-Klimapolitik aufzufassen und es zu reformieren, »statt etwas komplett Neues zu erfinden«. So sollte es beispielsweise möglich sein, die Zahl der verfügbaren Emissionszertifikate (EU Allowances, EUAs) zu reduzieren, wenn die erneuerbaren Energien weiter ausgebaut werden und damit die Emissionen sinken. Auch empfehle es sich, verstärkt Maßnahmen eher innerhalb der EU zu setzen als in Drittländern. Boltz fügte hinzu, die EU solle ihren klimapolitischen Ehrgeiz »etwas zurücknehmen. Ob wir 15, 18 oder 23 Jahre brauchen, um unsere Emissionen zu senken, ist eher egal. Denn die globale Belastung ist relativ immun gegenüber unseren Aktionen.« Ein CO2-Reduktionsziel von mehr als 30 Prozent könne sich als schädlich erweisen. Boltz’ Vorstandskollege Martin Graf ergänzte, der Vorschlag der EU-Kommission, die Emissionen um 40 Prozent zu senken, sei für Österreich ein erhebliches Risiko: »Wir müssten mit volkswirtschaftlichen Kosten von über zehn Milliarden Euro rechnen.« CO2-Reduktionen sollten daher »vorrangig von Mitgliedsstaaten mit überdurchschnittlichen CO2-Emissionen realisiert werden, zum Beispiel von Polen.«

Nur ein Ziel

Boltz und Graf zufolge müssen diese Fragen unbedingt berücksichtigt werden, wenn der Europäische Rat im Oktober über die energiepolitischen Ziele der EU für die Jahre 2020 bis 2030 entscheidet. Die EU-Kommission hatte im Frühjahr vorgeschlagen, die CO2-Emissionen um 40 Prozent zu senken und den Anteil der erneuerbaren Energien an der Bedarfsdeckung EU-weit von 20 auf 27 Prozent zu erhöhen. Borchardt zeigte sich überzeugt, dass der Europäische Rat das 40-Prozent-Ziel übernehmen wird: »Wir hören von der Industrie, sie akzeptiert das Ziel, wenn es keine anderen energie- und klimapolitischen Ziele gibt.« Natürlich könne die EU »die Welt nicht alleine retten. Aber wenn wir nicht zeigen, dass es geht, wird niemand mitgehen«, fügte Borchardt hinzu.

Strom als Lösung

Auch laut Hans ten Berge, dem Generalsekretär des europäischen Elektrizitätswirtschaftsverbandes EURELECTRIC, sollte sich die EU auf die Senkung der CO2-Emissionen konzentrieren und keine neuen Ziele im Bereich der erneuerbaren Energien sowie der Energieeffizienz setzen. Und klar ist ihm zufolge, dass das beste Mittel für die angestrebte »Dekarbonisierung« ein höherer Anteil des Stroms am Energiemix ist – nicht zuletzt auch in den Bereichen Verkehr und Raumwärme. Schon im Frühjahr habe die EURELECTRIC in ihrem »Manifesto for a More Efficient European Energy Policy« drei Forderungen aufgestellt: Erstens müsse das ETS reformiert werden, um Anreize für eine Dekarbonisierung zu bieten. Zweitens gelte es, das Marktmodell zu überarbeiten und so die Sicherheit der Stromversorgung durch Wettbewerbsfähigkeit und Innovation zu gewährleisten. Und drittens müssten die Energiekunden in die Lage versetzt werden, die neuen Möglichkeiten auch zu nutzen. Das bedeute nicht zuletzt, die regulierten Strompreise schrittweise abzuschaffen, die es in mehr als der Hälfte der EU-Mitgliedsstaaten immer noch gibt. Denn in den Ländern ohne Preisregulierung seien die Strompreise weniger stark gestiegen als in denen mit Preisregulierung.

Besser koordinieren

Aus der EU-Kommission verlautete, eine stärkere Europäisierung der Energiepolitik sei unverzichtbar, um die übergeordneten Ziele zu erreichen. Wie es gegenüber dem Report hieß, wird in diesem Zusammenhang auch die Frage nach der Zukunft des Paragraphen 194 des Vertrags von Lissabon zu stellen sein. Dieser erlaubt den Mitgliedsstaaten, ihren Strom-Erzeugungsmix selbst zu bestimmen. Den letztlich dem Binnenmarkt-Konzept widersprechenden Paragraphen abzuschaffen, betrachtet die Kommission zwar als unrealistisch. Doch sollten sich die Mitgliedsstaaten zumindest stärker koordinieren, wenn sie gröbere Änderungen im Erzeugungsmix planen, wie dies etwa im Zuge der deutschen »Energiewende« geschehen sei. Von der Logik her könnte die Koordination ähnlich konzipiert werden wie das europäisch-russische Frühwarnsystem für Störungen bei der Gaslieferung.

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