Ein Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerk in Düsseldorf, das derzeit von Siemens errichtet wird, strebt gleich drei Weltrekorde an. In der Türkei wird eine weitere Anlage mit ähnlicher Technologie gebaut – mit Beteiligung aus Österreich.
Die Energiewende und fluktuierende Energiepreise erfordern nicht nur von den Marktteilnehmern, sondern auch von modernen Technologielösungen Höchstleistungen. Gleich mehrere Rekorde will ein neues Erdgaskraftwerk der Stadtwerke Düsseldorf bei seiner Fertigstellung in den Bereichen Wirkungsgrad, Leistung und Wärmeauskopplung erreichen. Siemens errichtet derzeit für die Stadtwerke Düsseldorf auf ihrem Gelände auf der Lausward am Rhein ein über die Maße zukunftsweisendes Erdgaskraftwerk.
Mit einer Effizienz von über 61 % für die reine Stromerzeugung und rund 85 % für die Kraft-Wärme-Kopplung wird es besonders klimaschonend arbeiten. »Geplant ist, dass das neue Erdgaskraftwerk nach einer Bauzeit von etwa 32 Monaten im Jahr 2016 in den kommerziellen Betrieb startet. Wir werden dann Düsseldorf nicht nur besonders umweltschonend mit Strom und Fernwärme versorgen, sondern durch die Leistungsfähigkeit des neuen Kraftwerks in der Lage sein, die Stadt sicher mit Energie zu versorgen«, ist Udo Brockmeier, Vorstandsvorsitzender der Stadtwerke Düsseldorf, überzeugt. Der Neubau des Kraftwerks ist wichtig für das Gelingen der Energiewende, erhöht die Versorgungssicherheit durch klimaschonende Stromerzeugung vor Ort und stärkt die wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit der Stadtwerke. Die Düsseldorfer betrachten das Prestigeprojekt klar als Investition in die Zukunft.
Der Höhepunkt der Bauphase von Lausward wird für diesen Sommer erwartet: Dann wird die rund 440 Tonnen schwere Gasturbine von Siemens per Schiff geliefert. Geplant ist, dass im Frühjahr 2015 das erste Zünden der Gasturbine erfolgt. Das Kraftwerk hat eine Leistung von rund 595 Megawatt (MW). Zum Vergleich: Die für die Versorgung der gesamten Stadt mit ihren knapp 600.000 Einwohnern benötigte Leistung schwankt zwischen 260 und 750 MW. Durch die Nutzung der vorhandenen Wärmeenergie für das Fernwärmenetz der Stadt wird die Effizienz der Anlage weiter gesteigert. Nie zuvor konnten aus einem einzigen Kraftwerksblock mit einer Gasturbine 300 MW Fernwärme in Kraft-Wärme-Kopplung ausgekoppelt werden. Der Gesamtnutzungsgrad des Brennstoffs Erdgas steigt damit auf jene 85 %. Das Kraftwerk wird auf einem seit den 1950er-Jahren bestehenden Kraftwerksstandort errichtet – ein Großteil der notwendigen Infrastruktur ist also bereits vorhanden, wie zum Beispiel das Fernwärmenetz oder der direkte Anschluss an das 110-Kilovolt-Netz der Stadtwerke. Insbesondere die Wärmeversorgung soll in Zukunft auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen.
Start in 10 Minuten
Die GuD-Anlage Lausward wird als Einwellenanlage ausgeführt, bei der Gasturbine, Generator und Dampfturbine auf einer Welle angeordnet sind. Neben dem schlüsselfertigen Bau ist Siemens verantwortlich für die Lieferung der Hauptkomponenten: eine Gasturbine des Typs SGT5-8000H, eine SST5-5000-Dampfturbine, ein SGen5-2000H-Generator und ein Benson-Abhitzedampferzeuger nach eigenem Design. Hinzu kommen das Leittechniksystem SPPA-T3000 sowie Hilfssysteme. Die Gasturbine kann in einem sogenannten Schnellstart in nur zehn Minuten bis zu 350 MW leisten und wiegt mehr als ein großes Passagierflugzeug.
»Die Energiewende erfordert eine ganze Reihe von Maßnahmen, die perfekt ineinandergreifen müssen. Hocheffiziente GuD-Kraftwerke ersparen der Umwelt große Mengen an Treibhausgasen und können schnell und flexibel Erzeugungsschwankungen bei erneuerbaren Energien ausgleichen«, beschreibt Roland Fischer, CEO der Division Fossil Power Generation bei Siemens Energy, die Turbine und zieht einen rennsportlichen Vergleich: »Die SGT5-8000H hat die gleiche Leistung wie 1200 Sportwagen.«
Komponente aus Wien
Während bei der Gasturbine durch Verbrennen von Erdgas in der Brennkammer Energie erzeugt wird, bekommt die Dampfturbine die thermische Energie in Form von Dampf mit hohem Druck und Temperatur zugeführt. Dieser Dampf wird in einer Kesselanlage erzeugt. In einem Gas- und Dampfkraftwerk wird die Feuerung des Dampfkessels mit dem Abgas der Gasturbine durchgeführt – eine Energie, die quasi »gratis« zur Verfügung steht und in herkömmlichen Kraftwerken ungenutzt in die Atmosphäre abgegeben wird. Der Wirkungsgrad des einfachen Gasturbinenkraftwerkes wird mit dem nachgeschalteten Abhitzedampferzeuger und der Dampfturbine von rund 40 % auf bis zu über 60 % angehoben. Eine moderne erdgasgefeuerte Anlage verbrennt zur Erzeugung jeder Kilowattstunde elektrischer Energie ein Drittel weniger Erdgas und reduziert damit die CO2-Emissionen in gleicher Höhe. Der Abhitzedampferzeuger wird von der Siemens Energy Geschäftseinheit »HRSG Technology« in Wien hergestellt und geliefert.
Zweites Leben und Integration
Der neue Block »Fortuna« in Düsseldorf kann zudem kurzfristig auf einen Brennstoffwechsel und auf verschiedene Gasqualitäten eingestellt werden, ohne dass sich Anlagenleistung und Wirkungsgrad wesentlich ändern. So könnte auch methanisierter Wasserstoff zum Einsatz kommen – gegebenenfalls noch gemischt mit Erdgas oder aufbereitetem Biogas. Das neue Kraftwerk könnte so theoretisch ein zweites Leben als Erneuerbare-Energien-Anlage bekommen. Auch die Integration des Kraftwerks in das Stadtbild ist den Düsseldorfern ein wichtiges Anliegen. Die Gestaltung der Fassade wurde in einem Wettbewerb ausgeschrieben. Das Architekturbüro kadawittfeldarchitektur bekam den Zuschlag für ein Konzept aus Stahlrahmen, das den Gebäudeteilen ein gemeinsames Kleid verleiht, inklusive Aussichtsplattform. Nachts beleuchtete Fugen werden zum Logo für den Energieversorger der Stadt.
Der Siemens-Sektor Energy ist der weltweit führende Anbieter des kompletten Spektrums an Lösungen und Dienstleistungen für die Stromerzeugung mit thermischen Kraftwerken und aus erneuerbaren Energiequellen sowie für die Stromübertragung in Netzen und für die Gewinnung, die Verarbeitung und den Transport von Öl und Gas.
Ein Kraftwerk entsteht
Die Errichtung des effizientesten Erdgaskraftwerks der Welt wird auch visuell dokumentiert. Ein hochauflösendes Kamerasystem erzeugt einmal pro Stunde ein Panoramabild vom Baufeld am Standort Lausward mit spektakulären Blick auf den Düsseldorfer Hafen. Das System wurde auf dem benachbarten Dach eines stillgelegten Blocks installiert. Bilder: www.swd-ag.de/weltmeisterkraftwerk/webcam
Weiteres Projekt in der Türkei
Im Jänner 2014 hat Siemens einen weiteren Auftrag zur schlüsselfertigen Errichtung eines Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerks in der Türkei erhalten. Auftraggeber ist Enerjisa, ein Gemeinschaftsunternehmen der Sabanci Holding und E.ON. Nach dem Projekt »Samsun«, das sich derzeit im Bau befindet, ist »Bandirma II« das zweite Kraftwerk mit einer SGT5-8000H-Gasturbine in der Türkei. Damit hat Siemens weltweit auch bereits 28 Gasturbinen dieses Typs verkauft.
Nach der Fertigstellung im Frühjahr 2016 wird die Anlage über eine installierte Leistung von rund 600 MW verfügen und einen Wirkungsgrad von über 60 % aufweisen. Die Projektabwicklung für die beiden GuD-Kraftwerke Bandirma II und Samsun in der Türkei erfolgt aus Österreich. Das mit Erdgas betriebene GuD-Kraftwerk Bandirma II entsteht an der Südküste des Marmarameeres in der Nähe der Stadt Bandirma in der Provinz Balikesir. Siemens baut die Anlage schlüsselfertig und liefert neben der Gasturbine eine Dampfturbine des Typs SST5-5000 und einen wassergekühlten SGen5-3000W-Generator. Darüber hinaus liefert das Unternehmen die gesamte Elektrotechnik, eine 400-kV-Hochspannungsschaltanlage sowie das Leittechniksystem SPPA-T3000.
Info: www.siemens.at