Die Energiewirtschaft steht vor den größten Veränderungen seit Jahrzehnten. Die Rahmenbedingungen für den Umbau sind alles andere als freundlich. Effizienzmaßnahmen sollen ein Umdenken bewirken.
Ein großer Aufschrei hallte im Mai durch die Täler und Becken Österreichs. Vielgerühmtes Land der Wasserkraft, Insel atomkraftfreier Seligkeit, fruchtbarer Hort für Biohuhn und Ökourlaub – wie konnte das nur passieren? Der Verbund, die Speerspitze sauberer europäischer Stromerzeugung, hatte den schwierigen Entschluss gefasst, Gas-Kombikraftwerke zu schließen. Die Elektrifizierung von Gas ist für den Kraftwerksbetreiber aufgrund der hohen Gas- und gleichzeitig geringen Strompreise unrentabel geworden. Es gab bereits eine Vorgeschichte: Gut ein Jahr nach dem Start am Standort Mellach in der Steiermark musste sein Eigentümer bereits Wertberichtigungen vornehmen. Statt auf das hochmoderen Kraftwerk setzt man heute wieder auf vergleichsweise schmutzige Steinkohle. Denn: Um die vertraglich festgelegte Fernwärmeversorgung der Stadt Graz zu erhalten, bleibt ein älteres Kohlekraftwerk weiter in Mellach in Betrieb. Gleichzeitig nimmt der Verbund Gas-Kombikraftwerke in Frankreich, sowie thermische Erzeugungsanlagen in Dürnrohr und im steirischen Werndorf dauerhaft vom Netz. Verbund-Chef Wolfgang Anzengruber spricht von massiven Verwerfungen am europäischen Elektrizitätsmarkt. Sie führten gerade im thermischen Bereich zu einem »sektorweiten Wirtschaftlichkeitsdruck, unter dem alle Stromerzeugungsunternehmen leiden«, heißt es aus Wien. Eines ist klar: Freiwillig mottet kein Energieversorger neu installierte Kraftwerkleistung ein. Die langen Investitionszeiträume, die bislang für die Energiewirtschaft gegolten haben, werden durch die Energiewende und auch die Abkehr von der Atomkraft in Deutschland extrem verkürzt. Energie, das ist eigentlich ein Generationsthema. Damit wären aber auch einheitliche Rahmenbedingungen nötig. Das Problem: Energieerzeugung und deren Verteilung über die Netze ist derzeit Aufgabe der Staaten – und noch schlimmer – der einzelnen Regionen: Bundesländer, Kantone, Distrikte. Dabei wären Lösungen auf Europaebene gefragt.
Billige Emissionen
Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Diese Weisheit lässt sich aktuell auf eines der größten Klimaziele der EU anwenden. Um den Ausstoß von CO2 zu reduzieren, wurden in Europa verbindliche Reduktionsziele vereinbart und Emissionen quasi mit einer Steuer belegt. Anfangs kosteten die Emissionsrechte einer Tonne CO2 noch über 30 Euro. Heute bewegen sich die Preise aufgrund eines Überangebots an Zertifikaten um fünf Euro. Der Ausstoß von CO2 ist damit so billig geworden, dass es derzeit am günstigsten ist, Steinkohle und sogar aus Sicht des Klimaschutzes noch bedenklichere Braunkohle zu verbrennen. »Wenn nun Kohlekraftwerke der einzige Kraftwerkstyp sind, dessen Betrieb sich in Europa rechnet«, meint auch ABB-Geschäftsführer Franz Chalupecky, »dann verstehe ich die Welt nicht mehr.« Wäre das politische Ziel, Emissionen zu reduzieren und die Versorgungssicherheit zu erhöhen, ein Schulaufsatz, so würde Europa »eine glatte Themenverfehlung« hinlegen.
Ein weiterer Grund für die Verwerfungen am Markt ist der in den vergangenen Jahren vor allem in Deutschland massiv forcierte Ausbau der Erneuerbaren. Das führt ebenfalls zu interessanten Situationen hier in Österreich. Wenn in Deutschland witterungsbedingt mehr Strom aus Sonne und Wind erzeugt wird, als in den Verbraucherzentren benötigt wird, braucht es zusätzlichen Strom aus Nachbarländern wie Polen und Österreich, um das Netz stabil zu halten. Zwar lässt sich für die Bereithaltung von Ausgleichsenergie über herkömmliche Kraftwerke Geld verdienen. Doch ist dies aktuell noch zu wenig, um Erzeugungsanlagen dauerhaft rentabel zu halten.
Anhaltende Marktsituation
Die Regulierungsbehörde E-Control geht davon aus, dass sich an der gegenwärtigen Marktsituation, die den Betrieb von konventionellen Kraftwerken unrentabel gestaltet, in den nächsten zwei bis drei Jahren nur wenig ändern wird. »Wenn, dann wird sich die Lage eher verschärfen«, kommentiert Regulator Walter Boltz. Einer der Gründe dafür ist, dass die Förderungen für Ökostrom in Deutschland noch zwölf bis 15 Jahre gleich weiterlaufen. Boltz rechnet daher mit weiter sinkenden Großhandelsstrompreisen zumindest bis 2016.
Umweltminister Andrä Rupprechter wiederum sieht die Herausforderungen für die Kraftwerksbetreiber in einem ausschließlich positiven Licht. »Energie aus fossilen Rohstoffen ist weder umweltfreundlich noch nachhaltig. Die Entscheidung des Verbunds hat eine starke Vorbildwirkung und zeigt, dass wir uns in Österreich auf dem richtigen Weg befinden. Sowohl aus wirtschaftlicher als auch aus ökologischer Sicht haben nur erneuerbare Energieträger Zukunft«, bekräftigt der Minister. »Österreichs Energiewirtschaft ist auf dem richtigen Weg. Wir haben schon mehr als 65 % Strom aus erneuerbaren Energieträgern. Ziel ist es, hier noch effizienter zu werden.«
Gesetz verunsichert
Apropos Effizienz: Ratlosigkeit herrscht derzeit in der Energiewirtschaft und in vielen Betrieben hinsichtlich der Maßnahmen, die mit dem Inkrafttreten eines neuen Energieeffizienzgesetzes zu setzen sind. Die Regierungsvorlage wurde im Ministerrat beschlossen und das Gesetz sollte gemäß EU-Richtlinie im Juni in Kraft treten. Die Verabschiedung im Nationalrat lässt jedoch auf sich warten. Bureau-Veritas-Geschäftsführer Rudolf Pichler rechnet mit der Verabschiedung des Gesetzes noch vor der parlamentarischen Sommerpause.
Worum geht’s: Unternehmen müssen künftig abhängig von ihrer Größe und ihrem Energieverbrauch Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz setzen und dokumentieren. Klein- und Mittelunternehmen sind von den Verpflichtungen ausgenommen, können aber freiwillig Energiesparberatungen in Anspruch nehmen. Falls Energielieferanten und Unternehmen ihre Verpflichtung laut Energieeffizienzgesetz nicht erfüllen, haben sie Ausgleichszahlungen in einen Fonds zu leisten. Im Einklang mit einer EU-Richtlinie werden zumindest »early actions« – Maßnahmen, die nach 2008 umgesetzt wurden und bis Ende 2020 wirken zu 25 Prozent auf die jährliche Zielvorgabe von 1,5 Prozent Einsparungen angerechnet. Dienstleister wie Bureau Veritas und andere empfehlen trotzdem, sich rasch mit den bereits bekannten Bestimmungen vertraut zu machen. Maßnahmen, die die Energieeffizienz verbessern – und sei es nur die intelligente Regelung von Licht und Heizung in Gebäuden – würden sich auf jeden Fall rentieren. Auch Unternehmen, die sich seit Jahren mit Effizienzmaßnahmen beschäftigen, würden ständig weitere Verbesserungen erzielen können.
Aufbruch in neue Ära
Matthias Schaffer, Fachreferent für Energieforschung und Innovationsmanagement bei der Energie Steiermark, sieht die technischen Herausforderungen bei Energieeffizienz weniger als Thema. Für ihn steht Bewusstseinsbildung auf der Tagesordnung. »Wir müssen unsere Kunden und die Anwender dazu bringen, bewusster mit Energie umzugehen. Es geht darum, den Wert von Energie zu kennen und auch zu verstehen, woher Strom und Wärme kommen, wie sie transportiert werden und was man damit überhaupt machen kann«, fasst es der Experte anlässlich des Branchentreffs Epcon Anfang April in Mauerbach in einfache Worte. Schaffer erwartet zudem eine Veränderung der Rollen von Energieversorgungsunternehmen. Sie werden (möglicherweise) öffentlich-rechtliche Energiedienstleister genannt werden und in den Smart Cities und Smart Grids eine Position einnehmen, die weit über das traditionelle Kerngeschäft von Erzeugung und Vertrieb hinausgeht. Weiterhin zentral werde der Betrieb einer sicheren und verlässlichen Infrastruktur sein. Diese wird aber bewusst einer Brandbreite an aktiven Teilnehmern und Prosumern – jenen Haushalten und Betrieben, die auch selbst Strom erzeugen und in das Netz einspeisen – zur Verfügung gestellt. »Uns wird die Rolle eines regionalen Energiemanagements zukommen«, erwartet der Forscher. Es geht um ein geordnetes Zusammenspiel von unterschiedlichen Erzeugungseinheiten, Netzbereichen und neuen Dienstleistern. Wichtig ist dabei ein Denken über geografische Grenzen hinaus: Während die Städte als Energiefresser weiterhin von zentraler Energieerzeugung abhängig sein werden, wird ein wesentlicher Teil von verteilt wirkenden Erzeugern aus den umliegenden Regionen beigesteuert werden. Wie dieses Spiel der Energiekräfte in einigen Jahrzehnten im Detail aussehen wird, weiß heute noch niemand. Doch wer sich jetzt damit bereits beschäftigt, wird die Spielregeln vermutlich etwas mitbestimmen können.