Samstag, Dezember 21, 2024

Volatile Stromspitzen bei regenerativen Energien, schwankende Preise an der Strombörse, wechselnde politische Rahmenbedingungen in den Märkten. Die Energiewirtschaft ist heute mit unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert. In Österreich wird derweil an einer umfassenden Wende gewerkt.

Nördlich von Salzburg, an einem warmen Frühlingstag, zeigt sich die idyllische Gemeinde Köstendorf von ihrer besten Seite. Zur Mittagszeit taucht die Sonne die malerische Landschaft am Wallersee in gleißendes Licht. Warum dieses Licht nicht besser nutzen? Einer, der dies bereits tut, ist Josef Struber. Er betreibt den örtlichen Getränkemarkt und speist Kühlsysteme, Licht, Wärmepumpe und die Batterien zweier Elektroautos weitgehend aus Eigenerzeugung. Am Dach seines Marktes installierte Struber eine vom Land Salzburg geförderte Photovoltaikanlage. Sie ist gemeinsam mit dem vernetzten Haus und den Fahrzeugen Teil einer bereits vielbeachteten Smart-Grid-Modellgemeinde. Gemeinsam mit Technologieanbietern wie Siemens und Fronius forscht der Energieversorger Salzburg AG in Köstendorf, wie die Zukunft der Energiewirtschaft aussehen könnte. »Wir gehen davon aus, dass es zu einem Totalumbau der Energiesysteme in den nächsten zehn bis 15 Jahren kommen wird«, erklärt Michael Strebl, Geschäftsführer Salzburg Netz, bei einem Lokalaugenschein. Strebl zählt die verschiedenen Treiber für die Wende auf: politische Klimaziele der Europäischen Union, technologische Weiterentwicklungen, der Einstieg von neuen Energieerzeugungsformen und veränderte Kundenstrukturen. »Das Bild, das wir heute von Erzeugern und Verbrauchern haben, wird sich ändern. Wir erwarten, dass Haushalte Strom und Wärme auch selbst erzeugen werden«, sagt Strebl. Für die heimische Energiewirtschaft bedeutet dies eine enorme Herausforderung. Je stärker erneuerbare Energie Teil des Strommixes in den Netzen wird, desto stärker muss die Infrastruktur dazu umgebaut werden.

Herzstück des Smart Grid im Kleinen, das von der Salzburg AG mithilfe des Klima- und Energiefonds finanziert wurde, ist eine regelbare Trafostation. Sie steuert die Lasten im Niederspannungsnetz unter Einbeziehung der Photovoltaikanlagen von gut 50 Häusern. Ein intelligentes Verbrauchermanagement, das zur Abwicklung der volatilen Energieströme unbedingt notwendig ist, regelt in Form eines »Building Energy Agent« die unterschiedlichen Stromabnehmer in den Häusern. So werden am Parkplatz des Getränkemarktes die Elektroautos just dann aufgeladen, wenn anderswo besonders viel Strom ins Netz gespeist wird. Auch die Wärmeversorgung in Gebäuden kann so relativ leicht an das Energieangebot angepasst werden, betont Michael Strebl. »Wir haben es selbst ausgetestet. Das Gebäude unserer Betriebsleitung in Saalfelden ist thermisch gut saniert. Selbst an einem kalten Wintertag mit minus drei Grad ist bei abgeschalteter Heizung die Raumwärme von 23 Grad innerhalb von zehn Stunden auf lediglich 21,5 Grad gesunken.« Für den Geschäftsführer der Salzburg Netz GmbH ist die Temperaturregelung ein hervorragendes Beispiel für eine automatisierte und regelbare Haustechnik, ohne dabei in die Komfortzone der Bewohner eingreifen zu müssen. Im Wohnbauprojekt »Rosa Zukunft« in Salzburg-Taxham demonstriert der Energieversorger, der in Salzburg auch Betreiber der öffentlichen Verkehrsmittel ist, ebenfalls einen ganzheitlichen Blick auf die komplexen Wechselwirkungen von Technologie, Ökonomie und Gesellschaft. Auch an die lückenlose umweltfreundliche Anbindung mit Radwegen bis in die Innenstadt wurde gedacht. In der Nutzung des Drahtesels sind die Salzburger ohnehin Vorreiter.

>> Laboreröffnung in Floridsdorf  <<

Schauplatzwechsel nach Wien: Ende April wurde in Wien Floridsdorf ein Testcenter für die neuen Stromnetze vom Austrian Institute of Technology (AIT) eröffnet. Als »Meilenstein der Energieforschung in Österreich« bezeichnet Brigitte Bach, Leiterin des AIT-Bereichs Energie, die neuen Testmöglichkeiten für das Zusammenspiel von Erzeugern, Verbrauchern mit simulierbaren hohen Last- und Spannungsspitzen. Acht Millionen Euro wurden in den Standort investiert, an dem nun herstellerneutral Unternehmen nach Herzenslust forschen und ausprobieren können. Dabei wird ein Abschnitt eines Stromnetzes in Echtzeit in unterschiedlichsten Szenarien nachempfunden. »Das SmartEST Labor ist ein Novum. Es gibt uns ebenfalls die Möglichkeit, unsere Smart-Grid-Lösungen weiterzuentwickeln«, streut Siemens-Generaldirektor Wolfgang Hesoun anlässlich der Eröffnung Rosen. 70 % der Weltbevölkerung werden in den nächsten zehn bis 20 Jahren im urbanen Raum leben. Sie alle benötigen eine gehörige Steigerung der Energieeffizienz und Energieversorgung in den Städten. »Wir müssen dazu intelligente Netze bauen. Mit den vorhandenen Ressourcen kommen wir nicht mehr aus«, argumentiert Hesoun. Die Themen Smart Grid und Smart Grid seien prinzipiell zwar »noch sehr sperrig zu vermitteln«. Praxisbeispiele und Testumgebungen würden bereits aber das benötigte Anschauungsmaterial liefern.

>> Handlungsbedarf für Investments  <<

Dringenden Handlungsbedarf zur Einführung smarter Technologien in den heimischen Stromnetzen sehen auch die Vertreter von Österreich Energie, der Vereinigung der heimischen E-Wirtschaft. »Das Wichtigste ist, dass die Gesamtperspektive nicht verloren geht«, betont Gerhard Christiner, Vorstandsdirektor Austrian Power Grid. »Durch den starken Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien überall in Europa kommt es zu einem regionalen und zeitlichen Auseinanderfallen von Einspeisung und Nachfrage. Die Erzeugungsschwerpunkte der Erneuerbaren verlagern sich weg von den Verbrauchszentren. Sie müssen jetzt mit neuen und leistungsfähigen Netzen in das Stromversorgungssystem von morgen eingebunden werden«, beschreibt er. Jüngste Vorkommnisse hätten gezeigt, dass kritische Netzsituationen zunehmen. Im Jahr 2009 waren noch 1.800 Netzeingriffe nötig. Bis 2011 stieg die Zahl bereits auf 2.500. 2,5 Milliarden Euro will der Übertragungsnetzbetreiber bis 2022 in den Umbau und die Ertüchtigung seines Netzes investieren.

>> Nicht einmal eine Wurstsemmel  <<

Der Umbau wird eine Menge Geld kosten, weiß man in der E-Wirtschaft. Wien Energie rechnet bei dem Bau von alleine drei weiteren Umspannwerken mit einem hohen zweistelligen Millionenbetrag, erklärt Reinhard Brehmer, Geschäftsführer Wien Energie Stromnetz. Die boomende Windkraft in Niederösterreich und dem Burgenland würde diese Investition in den nächsten Jahren erfordern. Auch bestehende Anlagen in den Netzen erfordern es, Geld in die Hand zu nehmen. »Die meisten Umspannwerke in Europa sind älter als 50 Jahre. Wir wissen teilweise einfach nicht, wielange sie noch reibungslos funktionieren«, beschreibt Brehmer. »Wie sollen sich die großen Investitionen ausgehen, wenn der Netzbetreiber in Wien umgerechnet 50 Cent pro Haushalt und Tag bekommt?« Darum, vergleicht Bremer, könne man sich nicht einmal eine Wurstsemmel kaufen.

Internationale Erfahrungen weisen schon heute den Weg in die smarte Zukunft, erklärt der Experte weiter. Der Sprecher des Bereichs Netze bei Österreichs Energie betont auch die Bedeutung der Informationssicherheit und Netzsicherheit: Smarte Systeme und Smart Grids im Rahmen der Stromversorgung benötigen eine klare Abgrenzung gegenüber den Telekommunikationsnetzen, um absolute Sicherheit zu gewährleisten. »Nicht nur in Bezug auf den Datenschutz, sondern auch auf hinsichtlich der technischen Sicherheit einzelner Anlagen muss den Netzbetreibern die Möglichkeit eingeräumt werden, eigene, geschlossene, betriebliche Kommunikationsnetze aus sicherheits- und versorgungsrelevanten Gründen mit höchstmöglicher technischer Verfügbarkeit betreiben zu können.«

>> Gaswirtschaft als Problemlöser?  <<

Ebenfalls an der Wende teilhaben will auch die Gaswirtschaft »Eine erfolgreiche Energiewende braucht Vielfalt. Die Klima- und Energieziele lassen sich nur durch einen ganzheitlichen Ansatz und Technologieoffenheit erreichen«, meint Marc Hall, Vorstand von Wien Energie und Obmann des Fachverbandes der Gas- und Wärmeversorgungsunternehmungen. »Die Alchemisten haben die Goldformel nie gefunden. Auch im Energiebereich gibt es keine Allheilmittel-Technologie, die alle unsere Probleme löst. Es geht vielmehr um den richtigen Technologiemix, smarte Anwendungen und Kombinationen«, erläutert Hall. Er fordert vernünftige Strompreise und ein Überdenken der Förderregimens generell – und wirbt nebenbei mit den »vielen Vorzügen von Erdgas als Brennstoff, für den Energietransport, und um Strom oder Wärme zu erzeugen.« Wenn einmal Wasser, Wind oder Sonne nicht liefern würden, könne man jedenfalls auf Gas zählen, betont Hall weiter. Denn die Gaskraftwerke würden aktuell auch die Stütze für den Ausbau der Erneuerbaren bilden. So paradox es klingt: Wenn in Deutschland die Windkraftwerke an der Nord- und Ostsee surren und in Bayern die Sonne auf die breit installierte Photovoltaikbasis brennt, wird schon einmal ein Gaskraftwerk in Simmering hinzugeschaltet, um einen Lastausgleich über die Grenzen zu ermöglichen. Andernfalls droht ein Zusammenbruch der Stromnetze. Auch die Erneuerbaren wären dann stillgelegt.

»Erdgas ist unverzichtbar, wenn wir hohe Effizienz und Klimaschutz haben wollen. In naher Zukunft wird es ohne Erdgas nicht gehen, mittel- und langfristig nicht ohne gasförmige Energieträger«, ist Hall überzeugt. Strom, der mit Wind, Wasser oder Sonne gewonnen wurde, lässt sich derzeit kaum in größeren Mengen speichern. Mit einer Umwandlung von Strom in Wasserstoff oder synthetisches Gas könnte dieser gespeichert werden.

Die Pumpspeicher im Westen Österreich jedenfalls werden als grüne Batterie Europas nicht auf Dauer ausreichen. Nicht, solange ein schwankender  Strompreis die Wirtschaftlichkeit bestehender Anlagen in Frage stellt. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.

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