Montag, Dezember 23, 2024

Energiesparen als Gebot der Stunde nimmt den Fassadenbau in besonderem Maße in die Pflicht. Die Branche schreckt vor der Herausforderung nicht zurück und setzt ungebrochen auf moderne Ästhetik und technische Innovationen. Von Raimund Lang.

Die Assoziation mit einem Ballett ist nicht unerwünscht. Scheinbar eigenwillig öffnet und schließt sich jeder der 56 Sonnenschutzfaltläden. Aus der Distanz betrachtet zeigt sich jedoch ein stimmiges Wechselspiel immer neuer Muster. Fenster werden freigelegt, andere verschlossen. Mit etwas Fantasie lassen sich sogar gesichtartige Konstellationen erkennen. Die »tanzende« Fassade ist eine Entwicklung des Architekten Ernst Giselbrecht. Bestaunen kann man sie bei der Firma Kiefer Technic in Bad Gleichenberg. Die Choreografie dient freilich nur der Demonstration. Im Alltag resultiert das jeweilige Muster aus der individuellen Einstellung der Büromitarbeiter. »Es ist ein Spiel mit dem Zufall«, sagt Giselbrecht. »Die Fassade ändert ihr Aussehen nach den Bedürfnissen der Menschen im Gebäude.« Neben etlichen Architekturpreisen, darunter sogar der renommierte International Award des Chicago Athenaeum, ist ein Video der Innovation auch im Internet ein Renner. »Wir haben bereits mehr als 144.000 Aufrufe auf YouTube«, freut sich Giselbrecht. Noch wichtiger allerdings: Zahlreiche Anfragen aus der ganzen Welt belegen das Interesse an der Entwicklung.

Derzeit im Endausbau befindet sich etwa die renovierte Unternehmenszentrale der Energie Steiermark in Graz. Deren neue vorgehängte Fassade funktioniert ebenfalls nach dem pfiffigen Prinzip. »Gegenüber der alten Keramik-Mosaik-Fassade wird die Energieeinsparung zwischen 60 und 80 Prozent betragen«, sagt Giselbrecht.

Doppelte Herausforderung
Das dynamische Wechselspiel aus Licht und Schatten bietet neben seiner ästhetischen Tugenden gleichzeitig eine trickreiche Lösung für eines der Hauptprobleme des zeitgenössischen Fassadenbaus: Wie bringt man Licht ins Gebäude, hält die Wärme aber draußen? Bei repräsentativen und Bürogebäuden dominiert nach wie vor die bewährte Kombination aus Metall und Glas. Gleichsam als Synonym für modernes Design steht voluminöses Glas für Transparenz und helle Behaglichkeit. Während der warmen Monate erhöht die Sonneneinstrahlung aber die Raumtemperatur, besonders bei großen Glasflächen Richtung Osten und Westen, was sich durch erhöhten Kühlaufwand direkt auf die Betriebskosten auswirkt. Sparen durch Schwitzen gilt nicht, denn einschlägige Bauvorschriften fordern den Nachweis des sommerlichen Überwärmeschutzes. Außer man sorgt für großzügige Außenverschattungen, was allerdings Bau- und Erhaltungskosten erhöht. Zwar hat die Glasindustrie in den letzten Jahren große technologische Fortschritte gemacht. Edelglasgefüllte Wärmedämmgläser aus drei Scheiben erreichen mittlerweile U-Werte bis 0,8, kommen damit aber dennoch nicht an gedämmte Passivhauswände heran.

Weniger Glas tut es auch, meinen deshalb bereits einige Experten. »Die Glasarchitektur wird fallen«, prognostiziert etwa Wolfgang Streicher vom Institut für Wärmetechnik der TU Graz. »Wer die Bauordnung ernst nimmt, wird künftig keine vollverglasten Fassaden mehr bauen können.« Weniger radikal beurteilt Karl Marte die Lage. »Man ist im Glasbau an die Grenzen des Machbaren gestoßen und muss jetzt etwas tun«, meint der Geschäftsführer des Fassadenplanungsunternehmens GBD Mosbacher. »Aber wenn man clever plant, kann man das auch.« Universallösungen gebe es jedoch keine. Jedes erfolgreiche Projekt sei das Resultat einer gründlichen, auf die Anforderungen des Bauherren abgestimmten Planung. Im Hochhausbau etwa erfreuen sich vor allem Doppelfassaden wachsender Beliebtheit als Lösung des Wärme-Licht-Konflikts. Zwar räumt Marte ein, dass es bislang nur wenige gut funktionierende Doppelfassaden gibt. Doch das liege an mangelhafter Planung, nicht am Bauprinzip. »Eine optimale Doppelfassade hält die Energie draußen, während man innen ein angenehmes Raumklima hat.« Die konkrete Ausgestaltung, zum Beispiel in Kastenbauweise, mit Schacht oder geschoßweiser Trennung der Fassade durch Korridore, hängt davon ab, was man erreichen will. Soll das Gebäude ästhetisch, schalldicht oder kühlarm sein? Je nachdem ist die Fassadenvariante zu wählen. Doch andererseits gibt es auch ein paar universell gültige Regeln, die man im bauphysikalischen Lehrbuch nachschlagen kann. Beispielsweise ist der Sonnenschutz idealerweise außen – und nicht zwischen den beiden Schalen – angebracht und muss deshalb windsicher sein. Um erhöhten Reinigungsaufwand kommt man dann allerdings nicht he­rum. Ob es sich rechnet, ist stets für den konkreten Fall zu kalkulieren. Als idealtypische Realisierung einer Doppelfassade nennt Marte den Uniqa-Tower bei der Wiener Urania. Aber auch mit der von seinem Unternehmen geplanten Doppelfassade des neuen Skylink-Terminals am Flughafen Wien, sie besteht zu 90 Prozent aus Glas, sei alles in Ordnung, betont er. »Die Schwierigkeiten, von denen man in den Medien so viel gehört hat, haben nichts mit der Fassade zu tun.«

Schlüsselelement Fassade
Einig sind sich die meisten Experten darin, dass angesichts der gegenläufigen Bedürfnisse nach transparenten und gleichzeitig energieeffizienten Gebäuden die Fassade immer mehr ins Zentrum bauphysikalischer Anforderungen rückt. »Die Fassade ist nicht mehr nur eine notwendige Außenhaut des Gebäudes, sondern fungiert verstärkt als Schlüsselelement der Gesamtenergieeffizienz«, bestätigt auch Ewald Müller, Geschäftsführer von Alukönigstahl. Er ist davon überzeugt, dass die Gebäudehülle der Zukunft über die Pflichtübung des Energiesparens hinaus auch aktiv Energie erzeugen muss. Unter dem Namen Schüco Energy² now bietet das Wiener Unternehmen dafür ein umfassendes Konzept an. Dabei wird der Primärenergiebedarf eines Gebäudes durch Hochwärmedämmung, Verschattung, Automation und dezentrale Lüftungstechnik auf ein Minimum zu reduziert und mittels fassadenintegrierten Photovoltaik- oder Solarthermie-Modulen gleichzeitig Energie gewonnen. Das serienreife Baukastensystem ermöglicht Planern, aus einem modularen Baukasten die nötigen Elemente für ihr Projekt zu wählen.

Ein Beispiel ist etwa der außen flächenbündig in die Fassaden integrierbare Hochleistungssonnenschutz. Er ist für Windgeschwindigkeiten bis 120 km/h geeignet und erlaubt, den Wechsel zwischen freundlichem Licht und schattiger Kühle vollautomatisiert einzustellen. Vergleichsweise in den Kinderschuhen steckt demgegenüber noch das Thema gebäudeintegrierte Photovoltaik. Für eine formidable Massenbewegung gibt sich die ökologisch durchaus wünschenswerte PV-Fassade leider noch als Randerscheinung. Umso elitärer wirken die wenigen Projekte, die sich bemühen, den Trend als solchen zu bestätigen. Dazu zählt natürlich auch das größte PV-Dach Osteuropas, das architektonisch von einer Fassade eigentlich nicht mehr zu unterscheiden ist. Konzipiert von Alukönigstahl bedeckt es mit 500 Quadratmetern Fläche ein 36 Meter hohes Gebäude der bulgarischen Risk Engineering in Sofia. Integrierte Photovoltaik liefert 55 Kilowatt elektrischer Leistung. Dabei wurden noch polykristalline Siliziummodule verbaut. Als technologische Zukunft gelten dagegen die in der (Großserien-)­ Produktion viel billigeren Dünnschicht-Siliziumzellen, am besten natürlich organisch. Laut einer aktuellen Studie der Greentech Media erwarten die beiden weltweit größten Produzenten für organische Solarzellen (G24 Innovations und Konarka) einen Produktionszuwachs um das 200-Fache bis 2012. Vielleicht noch interessanter: Im selben Jahr soll ein Wirkungsgrad von 30 Prozent Realität sein. Sieger im Rennen um die perfekte fassadentaugliche PV-Technologie könnten aber Module mit regelbarer Transluzenz sein. Ihren Mehrwert sieht auch Ewald Müller: »Photovoltaik-Module dienen dann einerseits der variabel gestaltbaren Lichtdurchlässigkeit, andererseits der Stromgewinnung.«

Trend Membranfassade
Um Licht wenig Gedanken machen muss sich zum Glück Herwig Kleinhapl. Zumindest, wenn er wieder einmal einer Shopping City seine Aufmerksamkeit zuwendet. »Das ist immer wieder ein Thema bei uns«, sagt der Architekt von LOVE architecture and urbanism. inen der interessantesten Trends modernen Fassadenbaus sieht er in der Entwicklung von Membranfassaden. Das bislang prominenteste Beispiel für diese Bauweise ist wohl die Allianz Arena in München. Als Membranen kommen häufig Textilien zum Einsatz, beispielsweise teflonbeschichtetes Glasgewebe. Das unbrennbare und selbstreinigende Material wird fest auf die Unterkonstruktion gespannt. Derzeit realisiert das Grazer Architektenteam ein entsprechendes Projekt für ein Shoppingcenter in Salzburg. Auch dem Wiener Kaufhaus Gerngross spendieren sie ein neues Aussehen. Clou der neuen Fassade: Je nach Betrachtungswinkel präsentiert sie sich ornamental weiß oder gibt die Hintergrundfarbe des Gebäudes frei. »Im Materialbereich gibt es derzeit viele interessante Entwicklungen«, sagt Kleinhapl. »Was man umsetzen kann, hängt aber letztlich immer vom Potenzial des Auftraggebers ab.« An Ideen mangelt es der Branche jedenfalls nicht. Doch erst in Verbindung mit der richtigen Technologie verleihen sie Gebäuden das gewünschte Aussehen.  


Exkurs: Forschung
Die Baubranche steht bekanntlich im Ruf, nicht allzu forschungsfreudig zu sein. Eine rare Ausnahme bildet das Projekt MPFF (Multifunctional Plug&Play Facade), das im Rahmen des österreichischen Forschungsförderungsprogramms COMET der FFG durchgeführt wird. Beteiligt sind mehr als ein Dutzend Partner aus Forschung und Bauindustrie. »Unser Ziel ist die Entwicklung vorgefertigter Fassadenelemente, die bereits die gesamte Haustechnik beinhalten«, sagt Wolfgang Streicher vom Institut für Wärmetechnik der TU Graz, das die wissenschaftliche Leitung des Projektes übernimmt. Integriert werden sollen etwa Heizung, dezentrale Lüftungsgeräte, Kühlrohre, Elektrik, IT-Infrastruktur oder PV-Module. »Die Grundidee ist es, den Vorfertigungsgrad deutlich zu erhöhen.« Auf der Baustelle müssen die Elemente im Idealfall dann nur noch zusammengesteckt werden. Ein wesentlicher Vorteil des Konzeptes: Man spart sich abgehängte Decken und kann bei hohen Gebäuden so ein zusätzliches Stockwerk gewinnen. Aber auch bei der Gestaltung des Innenraums erhält man zusätzliche Flexibilität und die Arbeit ist schneller fertig. Für die Sanierung hätte das System den Vorteil, dass man weitgehend »von außen« arbeiten kann, ohne dass die Benutzer ihre Räume verlassen müssen.

Weil die integrierten Komponenten unterschiedliche Lebenszyklen haben, widmen die Forscher der einfachen Demontierbarkeit der Elemente besondere Aufmerksamkeit.

Exkurs: Glas vs. Stein – warum nicht beides?
Es ist geradezu die Gretchenfrage unter diskursbewussten Architekten: Glas oder Stein?
Das aktuelle Produkt Floatstone von Saint-Gobain Glass löst diesen Disput mit einem klassischen Kompromiss. Dabei handelt es sich um ein Verbundglas mit eingeschlossener Natursteinplatte. Eine drei bis zehn Millimeter dicke Natursteinschicht ist zwischen zwei jeweils vier Millimeter starken Glasscheiben eingefasst. Zur Auswahl stehen fünf verschiedenen Natursteintypen mit ihren typischen Farbvarianten: Onyx, blauer Quarzit, rotbraun geäderter Naturstein, weißer Naturstein mit lichtgrauem Dekor und schwarzer Stein, der mit reflektierendem Bronzit durchsetzt ist. Vorsicht ist bei der Verarbeitung geboten: Weder Punkthalterung, Verkleben, noch zweiseitige Lagerung erhalten die Garantie, weil sie zu Flächendelaminationen (Blasen in den Folien) führen können. Wer dagegen umlaufend rahmt, erhält fünf Jahre Garantie auf Steinstabilität, Verbunderhalt und  UV-Resistenz.

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