Mittwoch, November 20, 2024
Gasversorgung im Umbau
(Titelbild: iStock)

Die Netzentwicklungspläne der Regierung sowie der Gaswirtschaft setzen erste wichtige Schritte in Richtung einer Versorgung mit »grünen« Gasen. Doch bis auf Weiteres bleiben Gaseinfuhren aus Russland unverzichtbar. 

Voraussichtlich noch im Herbst wird der Österreichische Nationale Infrastrukturplan (ÖNIP) finalisiert. Er umreißt, wie die übergeordneten Strom- sowie Gasnetze für die Energiewende zu ertüchtigen sind. Grundsätzlich positiv beurteilt den diesbezüglichen Entwurf des Energieministeriums (BMK) der Vorstand der Austrian Gas Grid Management AG (AGGM), Bernhard Painz: »Vom Ergebnis her liegt der ÖNIP durchaus richtig. Wir brauchen viel mehr Stromnetzinfrastruktur, um die Energiewende zu schaffen und den erneuerbaren Strom ins Energiesystem zu integrieren. Wir brauchen aber auch eine leistungsfähige Gasinfrastruktur, weil gasförmige Energieträger für die Energiewende eine wesentliche Rolle spielen.«

An manchen der Annahmen, die dem ÖNIP zugrunde liegen, sind laut Painz indessen Zweifel angebracht. So beziffert das Umweltbundesamt in seinem Transitszenario den jährlichen Bedarf Österreichs an gasförmigen Energieträgern im Jahr 2040 mit nur mehr 40 Terawattstunden (TWh) – weniger als die Hälfte der derzeitigen rund 90 TWh. Auch, dass ab 2040 kein Erdgas mehr benötigt wird, ist laut Painz kaum vorstellbar: »Es ist sehr ambitioniert, Erdgas vollständig aus dem Energiesystem zu verdrängen. Die Voraussetzung wäre, ausreichende Mengen an erneuerbaren Gasen in das System zu integrieren. Aber dafür braucht es Anreize, weil sonst die Konkurrenzfähigkeit mit Erdgas nicht gegeben ist.«

Bernhard Painz, AGGM: »Wir brauchen eine leistungsfähige Gas­infrastruktur, weil gasförmige Energieträger für die Energiewende eine wesentliche Rolle spielen.« (Foto: AGGM)

In ihre eigenen Ausbaupläne, den Koordinierten Netzentwicklungsplan (KNEP) für die Fernleitungen sowie die Langfristige und integrierte Planung (LFiP) für die Verteilleitungen, nahm die AGGM eine Reihe von Projekten auf, die für die Energiewende relevant sind. Laut Painz betrifft dies nicht zuletzt Vorhaben zum Transport von grünem Wasserstoff. Im KNEP sind unter anderem entsprechende Ertüchtigungen der West-Austria-Gasleitung (WAG) vorgesehen. Eines der wichtigsten einschlägigen Projekte in der LFiP ist der H2-Collector Ost, über den Wasserstoff von den vorgesehenen Erzeugungsgebieten nahe der Windparks im nordöstlichen Burgenland in den Großraum Wien gelangen könnte. Überlegt wird dessen Nutzung in den Gaskraftwerken der Wien Energie, die derzeit mit dem Verbund und anderen Partnern ein Pilotprojekt betreibt.

»Großer Schritt«

Laut Painz gelang der AGGM gemeinsam mit den Netzbetreibern und den Marktteilnehmern »im Bereich des Wasserstoffs ein großer Schritt«. Zwar sind die diesbezüglichen Vorhaben ausschließlich Planungsprojekte. Aber die Billigung durch die E-Control ermöglicht, die Pläne bis zur Umsetzungsreife voranzutreiben und damit die Zeitpläne für ihre Realisierung realistisch zu halten. Der H2-Collector Ost etwa soll Ende 2026 in Betrieb gehen.

Ohnehin fehlen Painz zufolge noch wesentliche rechtliche und regulatorische Rahmenbedingungen als Basis für die Investitionsentscheidungen. Gemeint ist damit insbesondere das in Verhandlung befindliche Gaspaket der EU. Geklärt werden muss etwa, welche Unternehmen berechtigt sind, Wasserstoffleitungen zu betreiben. Die Vorstellungen der EU-Kommission gehen dahin, dies den Gasnetzbetreibern nicht oder nur unter sehr engen regulatorischen Voraussetzungen zu gestatten. Doch das wäre ein Fehler, warnt Painz: »Der überwiegende Teil der Infrastruktur für den Wasserstofftransport wird aus umgewidmeten Erdgasleitungen bestehen. Wenn deren Betreiber nicht berechtigt sind, Wasserstoffleitungen zu managen, wird ein organisches Wachstum der Wasserstoffinfrastruktur aus der bestehenden Erdgasinfrastruktur heraus erschwert oder sogar verunmöglicht.«

Was die »klassische« Erdgasinfrastruktur betrifft, befinden sich einige in den vergangenen Monaten intensiv diskutierte Projekte in Umsetzung. Dies betrifft etwa den Anschluss des Gasspeichers Haidach in Oberösterreich an das Verteilnetz, der 2024 erfolgen soll. Für die seit langem geplante Verbindung zwischen Salzburg und Tirol über österreichisches Staatsgebiet liegen nun die anlagenrechtlichen Genehmigungen vor. »Das ist sehr erfreulich. Damit können die Bauarbeiten starten«, resümiert Painz.

Debatten ums »Russengas«

Unterdessen gehen die Debatten über die weitere Nutzung von Erdgas aus Russland weiter. Für Aufregung sorgte bekanntlich der Vertreter der EU-Kommission, Martin Selmayr, der im Zusammenhang mit den österreichischen Einfuhren von »Blutgeld« schwadronierte und dafür den Applaus breiter politischer Kreise erhielt. Weit weniger Beachtung fand, was am Tag vor der Ausfälligkeit Selmayrs der Vizepräsident der EU-Kommission, Maros Šefčovič, dem renommierten Handelsblatt mitgeteilt hatte: Die EU habe die Gas­importe aus Russland von 150 Milliarden Kubikmeter (bcm) im Jahr 2021 auf 80 bcm im vergangenen Jahr gesenkt und werde heuer auf etwa 40 bcm kommen – inklusive verflüssigtem Erdgas (LNG). »Ich würde also sagen, komplett auf russisches Gas zu verzichten, ist noch nahezu eine ›Mission impossible‹. Die Umstellung, die wir bereits erreicht haben, ist wirklich bemerkenswert«, konstatierte der Spitzenpolitiker.

Weiterhin nötig: Trotz angelegentlicher verbaler Radikalismen hält auch die EU-Kommission Gas aus Russland für faktisch unverzichtbar. (Foto: Gazprom)

Bestätigen kann das Otto Musilek, der 30 Jahre im Erdgasgeschäft der OMV tätig war und dieses zehn Jahre lang leitete. Ihm zufolge können »weder die Amerikaner noch die Norweger das Gas aus Russland komplett ersetzen«. Und was LNG betrifft, lässt sich kaum feststellen, woher dieses letzten Endes stammt. Belgien etwa importiere erhebliche Mengen russischen LNGs, Deutschland wiederum beziehe Gas aus Belgien. Formal betrachtet, könne Deutschland gut und gerne behaupten, den Import des »Russengases« eingestellt zu haben: »Über die Jamal-Leitung durch Polen kommt nichts mehr, die Nord-Stream-Leitungen sind gesprengt. Daher kann Russland Deutschland über direkte Pipelines nicht mehr beliefern.«

In Österreich hingegen ist die Lage anders: Russland liefert die am Netzknoten Baumgarten bei Wien kontrahierten Mengen vollständig oder wenigstens zum Teil. Aufgrund der Take-or-pay-Verpflichtungen in den entsprechenden Verträgen muss das Gas daher abgenommen werden. Andernfalls werden Zahlungen von rund 30 Milliarden Euro fällig – für nichts und wieder nichts. 

Verträge nicht nachteilig

Falsch ist laut Musilek die immer wieder zu hörende Behauptung, die Lieferverträge mit Russland unterschieden sich in nachteiliger Weise von anderen Kontrakten, etwa jenen über die Lieferung norwegischen Gases: »Ich wüsste keinen Punkt, in dem die ›Russenverträge‹ schlechter wären als die ›Norwegenverträge‹. Das aus Norwegen kommende Gas war um rund 30 Prozent teurer als das russische.« Aber das sei aus Gründen der Diversifizierung der Versorgung eben buchstäblich in Kauf genommen worden.

Wenig hält Musilek von Überlegungen, zwecks Ausstieg aus dem »Russengas« den Gasbereich aus der OMV auszugliedern und zeitweilig zu verstaatlichen. Denn abgesehen davon, dass sich die zuständigen österreichischen Stellen mit dem Miteigentümer der OMV, der Adnoc aus Abu Dhabi, einigen müssten und die Etablierung dieser Ausgliederung nicht von heute auf morgen umgesetzt werden kann, wären auch dann die derzeitigen vertraglichen Verpflichtungen einzuhalten. Überdies wären aller Wahrscheinlichkeit nach dieselben Personen wie bisher mit denselben Aufgaben befasst. »Und was will der Staat dann anders machen als jetzt?« 

Otto Musilek: »Weder die Amerikaner noch die Norweger können das Gas aus Russland komplett ersetzen.« (Foto: FGW/Daniel Hinterramskogler)

Gelassenheit gefragt

Zu Gelassenheit rät Musilek hinsichtlich der Äußerungen des ukrainischen Energieministers German Galuschtschenko, die Gastransitverträge mit Russland nicht über Ende 2024 hinaus zu verlängern. Er verweist auf Klarstellungen von ukrainischer Seite, internationale Shipper könnten jederzeit Leitungskapazität über Ende kommenden Jahres hinaus buchen: »Österreich müsste nur den Mut haben, den Übergabepunkt für das Gas von Baumgarten nach Uzhgorod in Russland zu verlegen. Das würden die Ukrainer ja offenbar akzeptieren. Also wo ist das Problem?«

Grundsätzlich neu wäre eine solche Variante nicht: Musilek verweist auf die seinerzeitigen Diskussionen zur Übernahme des ukrainischen Gasnetzes durch russische, europäische und US-amerikanische Unternehmen. Gegen einen Einstieg ihrer westlichen »Freunde« hatten die Ukrainer damals nichts einzuwenden. Die Beteiligung der Russen lehnten sie indessen ab. Musilek empfiehlt daher, die Wortmeldungen Galuschtschenkos nicht auf die Goldwaage zu legen: »Es kann passieren, dass die Verträge nicht verlängert werden. Aber die Gaspreise würden in exorbitante Höhen steigen, und das nicht nur in den vom Ende der Verträge unmittelbar betroffenen Ländern. Freunde würden sich die Ukrainer damit keine machen.«


Diversifizierung - Etliche Projekte

Immer wieder heißt es, die OMV habe sich nie um andere Gaslieferanten als Russland bemüht. Otto Musilek stellt dazu klar: »Wer das behauptet, hat einfach keine Ahnung.« Er selbst führte Gespräche mit den zuständigen Stellen in Algerien. Doch die Nordafrikaner verfügten nicht über die gewünschten Mengen, der Transport durch Italien erwies sich als zu teuer. Der Wunsch der OMV, Gas aus dem holländischen Groningen-Feld zu beziehen, misslang wegen der Ablehnung der dortigen Gasgesellschaft Gasunie.

Mit Norwegen gelang 1986 der Abschluss eines langfristigen Liefervertrags über eine Milliarde Kubikmeter pro Jahr plus Option auf weitere 500 Millionen Kubikmeter: »Das war teuer und ziemlich schwierig, aber wir haben es gemacht.« Mit dem Iran bestand Ende der 1970er Jahre ein rechtsgültiger Vertrag bezüglich Lieferungen über das damalige sowjetische Netz, die Anfang 1980 beginnen sollten. Der Sturz des Schah verhinderte dies. Eines der größten Projekte Musileks, die Pipeline Nabucco, scheiterte unter anderem an der mangelnden Unterstützung der EU, der Weigerung der E-Control, die Leitung zeitweilig aus dem regulierten Netzzugang auszunehmen, sowie am Widerstand der USA, die jeden Versuch torpedierten, Gas aus dem Iran zu beziehen. Gas aus Aserbaidschan wiederum war zur fraglichen Zeit nicht ausreichend verfügbar. Versuche der OMV, einen LNG-Terminal auf der Adriainsel Krk einzurichten, machte nach vielversprechendem Beginn die kroatische Regierung zunichte, die das Vorhaben an sich zog und es zugunsten des später realisierten Terminals Omisalj »einschlafen« ließ. 

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