E-Scooter-Sharing ist weltweit zu einem milliardenschweren Markt gewachsen. Der Energie Report hat beim »Green Peak Festival« im September in Wien Oytun Calapover getroffen, Director und Leiter der EMEA Operations beim E-Scooter-Hersteller Bird. Wie verändert sich die urbane Mobilität?
Wie sieht die Zukunft der urbanen Mobilität aus?
Oytun Calapover: Städte sind bislang für Autos gebaut worden – mit allen Konsequenzen für uns Menschen. Die Annahme, mehr Straßen würden zu weniger Staus führen, hat sich als unrichtig erwiesen – das Gegenteil ist der Fall. Lebensqualität im urbanen Raum bedeutet für mich nun, die passende Mobilitätsform für den jeweiligen Weg und Zweck zur Verfügung zu haben. Die Alternativen zum Auto werden in den kommenden Jahren weltweit zunehmen. Wien ist dafür ein gutes Beispiel, mit einem gut ausgebauten öffentlichen Verkehr, mit einem Radwegenetz und verschiedenen Modellen für Fahrzeug-Sharing.
Wir haben mit dem E-Scooter-Verleih vor sechs Jahren in Santa Monica in Kalifornien begonnen und waren das erste Unternehmen mit diesem Modell der gemeinsamen Nutzung im öffentlichen Raum. Anfangs wurden dazu einfach Roller auf die Straßen gestellt, ohne jegliche Werbung. Sie waren in kürzester Zeit vermietet. Das Konzept ist einige Jahre später strukturiert nach Europa gekommen. Heute ist Bird in über 350 Städten auf der ganzen Welt vertreten. Wir sind Teil des Wandels zu »Micro Mobility« in den Städten.
Wie läuft des Geschäft bei Bird? Ist Bird bereits profitabel?
Calapover: Im zweiten Quartal 2023 hat Bird den EBIT im Vergleich zum Jahr 2022 fast verdoppelt. Damit haben wir unser EBITDA um 98 Prozent gesteigert und setzen unseren Weg in Richtung Profitabilität für den Rest des Jahres und bis 2024 fort. Bird hat zwei große Marktregionen Nordamerika und Europa, plus ein paar weitere Märkte im Rest der Welt. Während es ursprünglich nicht einmal Genehmigungen gab, gehen Städte in den USA und in der Region EMEA sogar in Ausschreibungen, um passende Serviceanbieter und Betreiber zu finden.
Wien hat vier Unternehmen, darunter Bird, ausgewählt, um in den nächsten drei Jahren E-Scooter in der Stadt zu betreiben. Das schafft Stabilität für die Anbieter und klare, durchsetzbare Regeln für die Städte. Im Unterschied zu den USA sind in Europa Mikromobilitätsangebote zu einem festen Teil des öffentlichen Verkehrs geworden. Die Menschen nutzen Scooter, um damit in die Arbeit zu fahren. Sie sind ein alltägliches Verkehrsmittel geworden und sie werden in Europa auch wesentlich häufiger genutzt.
Wenn Städte die Rahmenbedingungen für Scooter-Betreiber in einer gewissen Regelmäßigkeit verändern, muss das für Unternehmen wie Bird kostenintensiv sein. Wie geht sich hier eine Profitabilität aus? (Anm. d. Red.: Zu den Regeln für E-Scooter)
Calapover: Wenn Städte Mobilitätsinfrastrukturen weiterentwickeln, werden sie immer auch gesetzliche Rahmen und Regelungen anpassen. Das wird sich in Geschwindigkeit und Häufigkeit sicherlich noch beschleunigen und es betrifft ja nicht nur den Scooter-Markt. Wir betrachten das auch als Vorteil für die Betreiber, um den Bewohner*innen und Besucher*innen einen optimalen Service bieten zu können. Mobilitätskonzepte sollten ja für möglichst viele Menschen passend sein – auch für die, die E-Scooter eigentlich nicht nutzen. Nicht jeder fährt mit dem Fahrrad. Nicht jeder braucht das Auto in der Stadt. Busse werden nicht von allen genutzt und es geht auch nicht jeder zu Fuß. Aber mit Sicherheit macht jeder ein bisschen von allem.
Natürlich bedeutet eine neue Regulierung auch Kosten für die Anbieter. Die Vorteile eines regulierten Rahmens überwiegen aber diese Ausgaben. Wir haben so stabile Marktbedingungen für die nächsten Jahre und können damit besser in unsere eigene Infrastruktur in einer Stadt und in Services investieren. Es ist immer besser, sich an Vorgaben eines Marktes orientieren zu müssen, als der umgekehrte Fall von Restriktionen tritt ein, oder gar das Verbot neuer Geschäftsmodelle.
Sind E-Scooter im Vergleich zu öffentlichen Verkehrsmitteln nachhaltig?
Calapover: Das hängt von der Klimabilanz des öffentlichen Verkehrs der jeweiligen Stadt ab, der aber immer besser als der motorisierte Individualverkehr abschneidet. Wir bringen eine neue Flexibilität für die Nutzer*innen ein, die E-Scooter in Ergänzung zu U-Bahn, Bus oder Straßenbahn oft auf der »Last Mile« oder »First Mile« verwenden. Unsere Fahrzeuge sind an jenen Strecken effizient und nutzerfreundlich, die der öffentliche Verkehr nicht schaffen kann – wir verstehen uns aber immer als einer von vielen, die ihren Beitrag zu einem intermodalen Mobilitätsangebot leisten.
Nicht nur junge Menschen und schillernde Fernsehpersönlichkeiten wie Jan Böhmermann haben den E-Scooter mittlerweile für sich entdeckt. (Fotos: iStock)
Was das Fahrzeugdesign angeht, so entwickeln und konstruieren wir unsere Roller selbst. Das macht einen Fokus gerade auf die Nachhaltigkeit möglich. Die Mindestlebensdauer des derzeit in Wien eingesetzten Fahrzeugs wurde bei der Entwicklung auf über drei Jahre geschätzt und wir wissen mittlerweile, dass bei richtiger Wartung eine Lebensdauer von mehr als fünf Jahren realistisch ist. Der Scooter ist modular aufgebaut. Jeder Teil kann ausgetauscht werden. Dadurch können wir einen Roller zu fast hundert Prozent wiederverwerten.
In welcher Altersgruppe ist der oder die typische E-Scooter-Nutzer*in? Sind es mehrheitlich Jüngere?
Calapover: (lacht) Nein, wir sehen keine eingeschränkten Altersgruppen. Üblicherweise beginnt es bei Zwanzigjährigen und erreicht Menschen in den 40ern und 50ern. Und wir haben Nutzer*innen, die viel älter sind. Es ist ein ausgewogenes, inklusives Abbild der Gesellschaft.
Wird der E-Roller Verkehrsmittel der Zukunft? Bird arbeitet mit Städten auf der ganzen Welt zusammen, um Services rund um Mikromobilität zu entwickeln und anzubieten.
Mit 1. Juli 2023 ist ein neues Maßnahmenpaket mit Regelungen für Leih-E-Scooter in Wien in Kraft getreten. In der Stadt werden Scooter-Konzessionen nur noch an vier ausgewählte Betreiber vergeben, die konkrete Maßnahmen einhalten müssen. So gilt eine Höchstzahl für das Aufstellen von E-Scootern – in der Innenstadt dürfen insgesamt maximal 500 Scooter stehen (statt vorher bis zu 2.500 Scooter). Eine verstärkte Vor-Ort-Kontrolle und die Kontrolle über ein digitales Dashboard ermöglichen, dass das Einhalten der Regeln genau überprüft werden kann. Bei Nichteinhaltung der Regelungen drohen Strafen. Seit September ist jeder Scooter mit einem Nummernschild ausgestattet.