Wenn die Gasflüsse aus Russland ausbleiben und die Nachfrage nach LNG in Asien sich wieder verstärkt, könnte es mit der Versorgung Europas heikel werden, hieß es bei der Internationalen Energiewirtschaftstagung (IEWT).
»Es bleibt unsicher, wie es mit den Gasimporten aus Russland weitergeht. Derzeit verzeichnen wir zwar entsprechende Gasflüsse. Aber diese reichen nicht aus, um den österreichischen Bedarf zu decken.« Das sagte die Leiterin der Abteilung Gas der Regulierungsbehörde E-Control, Carola Millgramm, kürzlich bei der Internationalen Energiewirtschaftstagung (IEWT) in Wien. Warnend fügte Millgramm hinzu, die Versorgungslage Österreichs, aber auch weiter Teile Europas, könne heikel werden, wenn die Einfuhren aus Russland gänzlich zum Erliegen kämen und die Nachfrage nach Erdgas in Asien, insbesondere China, sich wieder verstärke. Denn dann werde verflüssigtes Erdgas (Liquefied Natural Gas, LNG) wieder vermehrt nach diesen Märkten transportiert.
Und LNG habe seit der Verringerung der Gasflüsse aus Russland im Umfeld des Krieges in der Ukraine für die EU erheblich an Bedeutung gewonnen: »Das verflüssigte Gas ist heute eine der großen Stützen der europäischen Gasversorgung. Wir gehen davon aus, dass das nachhaltig so sein wird. Zurzeit erfolgen bedeutende Investitionen in LNG-Terminals«, erläuterte Millgramm. Ihr zufolge sind die kurzfristigen Möglichkeiten, den Gasbezug zu diversifizieren, begrenzt. Erdgas aus Norwegen und Algerien könne die vormals aus Russland eingeführten Mengen keinesfalls ersetzen.
Mittel- bis längerfristig sollte Österreich laut Millgramm danach trachten, sich in größerem Ausmaß als bisher über die Terminals in Italien und damit über die Trans-Austria-Gasleitung (TAG) zu versorgen. Eine erste physische Lieferung langte im vergangenen Jahr bereits ein. Die Möglichkeiten dazu wurden durch »Reverse-Flow«-Einrichtungen auf der TAG bereits vor längerer Zeit geschaffen. Damit sind Transporte gegen die bis dato übliche Fließrichtung durchführbar, die von Russland über den österreichischen Gasknoten Baumgarten nordöstlich von Wien zum Übergabepunkt Arnoldstein an der österreichisch-italienischen Grenze führte.
Weiters wäre laut Millgramm denkbar, den Terminal Omisalj auf der kroatischen Adriainsel Krk für die Gasbeschaffung zu nutzen. Notwendig wären dafür allerdings entsprechende Pipelinekapazitäten, die erst geschaffen werden müssten. Auch der Grenzknoten Murfeld zwischen Österreich und Slowenien wäre zu ertüchtigen. Ob es dazu kommt, ist offen. Immerhin: Ende vergangenen Jahres besuchte Bundeskanzler Karl Nehammer gemeinsam mit dem bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder Omisalj. Die beiden Spitzenpolitiker sprachen sich grundsätzlich für eine Zusammenarbeit bei der Nutzung des Anlandehafens aus. Die Ironie der Geschichte: Vor über zehn Jahren hatte sich die OMV um den Aufbau eines LNG-Terminals auf Krk bemüht, stieg aber mangels Rentabilität aus dem Vorhaben aus.
Wichtig wäre Millgramm zufolge jedenfalls, die Infrastrukturen für Gasimporte zu verstärken. Sie müssten freilich auch für den Transport »grüner« Gase, vor allem »grünen« Wasserstoffs, tauglich gemacht werden. Wesentliche Ausbauprojekte in den Entwürfen der Netzentwicklungspläne der österreichischen Gaswirtschaft gehen bereits in diese Richtung.
Speichern bleibt wichtig
Kurzfristig ist und bleibt laut Millgramm die Befüllung der Speicher auf österreichischem Territorium eine der wesentlichsten Maßnahmen zur Sicherung der Gasversorgung: »Unsere Gasspeicher sind ein wichtiges Asset für Österreich und Europa.« Und im internationalen Vergleich sei Österreich gut auf allfällige Importengpässe vorbereitet. Bekanntlich veranlasste die Bundesregierung die Schaffung einer »strategischen Reserve« von rund 20 Terawattstunden. Außerdem wurden Anreize für die Industrie geschaffen, selbst Gas für die Versorgung in Krisensituationen einzulagern.
Für solche Fälle hat sich die Republik verpflichtet, den Unternehmen einen Teil des von ihnen gespeicherten Gases zu belassen, es sei denn, dass der Zugriff darauf aus netztechnischen Gründen notwendig wird. Positiv für die Steigerung der Versorgungssicherheit war Millgramm zufolge ferner, die Speicherbetreiber gesetzlich zum Anschluss ihrer Anlagen an die österreichischen Gasnetze zu verpflichten. Dies betrifft bekanntlich vor allem den Speicher Haidach in Salzburg. Gegenwärtig kann dieser auf österreichischem Staatsgebiet nur über die Ebene der Fernleitungen befüllt und entleert werden. Die Arbeiten an seinem Anschluss an das Verteilernetz der Netz Oberösterreich sind im Gange.
Flüsse ändern sich
Im Wesentlichen bestätigt wurden Millgramms Ausführungen bei der IEWT von Aria Rodgarkia-Dara, dem Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Frontier Economics Österreich. Er beschrieb, dass sich die EU bekanntlich das Ziel gesetzt hat, ab 2030 kein Gas mehr aus Russland zu importieren. Daneben gibt es seit längerer Zeit Bestrebungen, den Einsatz fossiler Energieträger aus klimapolitischen Gründen zu beenden: »Beides hat natürlich Auswirkungen auf die Nutzung der Gasinfrastruktur.«
Der Bedarf an Erdgas werde sich verringern, bei der Richtung der Gasflüsse sei mit erheblichen Änderungen zu rechnen. Zurzeit ist die Gasinfrastruktur laut Rodgarkia-Dara »sehr stark auf Einfuhren aus Russland ausgerichtet«. Über das Bratstwo-System gelangt Gas durch die Slowakei nach Baumgarten. Dort zweigt die TAG nach Italien ab, die West-Austria-Gasleitung wiederum führt zum Knoten Oberkappel an der oberösterreichisch-bayrischen Grenze. Um die angestrebte »Unabhängigkeit« vom russischen Gas zu erreichen, werden Rodgarkia-Dara zufolge in großem Ausmaß LNG-Terminals errichtet, nicht zuletzt in Nordwesteuropa: »Außerdem wird versucht, über Pipelines Gas aus Nordafrika nach Italien zu bekommen.«
Ab etwa 2026/27 dürften verstärkt Gasflüsse von den im Entstehen begriffenen deutschen LNG-Häfen über die WAG nach Österreich zu verzeichnen sein. Rodgarkia-Dara geht allerdings davon aus, dass sich diese Flüsse ab etwa 2035 wieder verringern könnten, weil verstärkt »grüne« Gase zum Einsatz gelangen, darunter neben »grünem« Wasserstoff auch Biogas und Biomethan. Die Gaswirtschaft sei offenbar bereit, diese Gase zum Einsatz zu bringen. Sie benötige dafür allerdings taugliche Rahmenbedingungen. Das seit Mitte Februar in Begutachtung befindliche »Erneuerbares-Gas-Gesetz« (EGG) ist laut Rodgarkia-Dara ein Schritt in diese Richtung.
Probleme für Russland
Für Russland sei es nicht einfach, den Verlust des europäischen Marktes zu kompensieren, ergänzte der bekannte Politikwissenschaftler Gerhard Mangott. Zwar habe die russische Gaswirtschaft ihre Produktion von LNG gesteigert: »Und dieses LNG wird teilweise auch nach Europa verkauft.« Aber von den russischen Pipelines führt derzeit lediglich eine einzige, die »Kraft Sibiriens 1«, auf den asiatischen Markt, konkret nach China. Und mit einer Kapazität von 38 Milliarden Kubikmetern pro Jahr ist diese nicht mit den erheblich leistungsfähigeren Verbindungen mit Europa zu vergleichen. Russland und China schlossen vor einigen Jahren ein »Memorandum of Understandig«, eine zweite Leitungsverbindung zu schaffen, die »Kraft Sibiriens 2«. Anders als die »Kraft Sibiriens 1« würde diese die westsibirischen Felder für den chinesischen Markt erschließen. »Das brächte Russland eine gewisse Entlastung. Aber die Realisierung dieser Leitung ist langwierig und kostspielig«, resümierte Mangott.
(Titelbild: Gazprom)