Wasserstoff spielt eine wichtige Rolle bei der Erreichung eines klimaneutralen Europas bis 2050 – als Rohstoff zur Energiespeicherung und als Ersatz für fossile Energieträger. Dazu werden gewaltige Investitionen weltweit notwendig sein. Von Prof. Stefan Ulreich, Hochschule Biberach.
In der chemischen Industrie wird mit Wasserstoff Ammoniak – Grundstoff für Düngemittel – oder Methanol hergestellt. Die Lebensmittelindustrie nutzt Wasserstoff zur Hydrierung von Speiseölen. Bei der Stahlerzeugung kann Wasserstoff Koks und Kohlenstaub ersetzen. Im Schwerverkehr – bei Lkw, Schiffen oder Flugzeugen – wird Wasserstoff benötigt, wenn keine vollständige Elektrifizierung möglich ist. Unabhängig davon, ob in Europa zukünftig Heizungen mit Strom betrieben werden oder mit klimaneutralen Brennstoffen, muss die höhere Energienachfrage im Winter durch Speicher unterstützt werden. Hier hat Wasserstoff deutliche Vorteile im Vergleich zu Batterien.
Situation in Europa
Aktuell wird Wasserstoff lokal vor allem aus Erdgas hergestellt. Der hohe künftige Bedarf nach grünem Wasserstoff erfordert Importe, da die lokale Stromproduktion nicht ausreichen wird. Der Weltenergierat schätzt den globalen Bedarf 2050 auf bis zu 600 Millionen Tonnen. Zum Vergleich: 2019 wurden weltweit rund 120 Millionen Tonnen hergestellt, allerdings unter Nutzung fossiler Energieträger. Der Strombedarf ist beträchtlich: für 100 Mio. t Wasserstoff benötigt man rund 5.000 TWh Strom – deutlich mehr als die weltweite Produktion erneuerbaren Stroms 2021 von 3.657 TWh. Für Österreich wird ein Verbrauch zwischen 0,6 und 1,5 Mio. t geschätzt (2019: 0,1 Mio. t; Import 63 % bis 71 %). Die EU geht davon aus, dass 2030 10 Mio. t Wasserstoff lokal hergestellt und 10 Mio. t importiert werden.
Entwicklung weltweit
Japan hat Anfang 2022 bereits die erste Ladung flüssigen Wasserstoffs aus Australien in Empfang genommen – in Stichworten: 2019 beschloss Kawasaki Heavy Industries den Bau des Flüssigwasserstoffschiffes »Suiso Frontier«, 2020 hat die gleiche Firma das Importterminal samt Speicher in Kobe fertiggestellt, ebenso wurde 2020 das Exportterminal in Hastings finalisiert. Die 8.000 Tonnen Wasserstoff wurden in Australien aus einer bestehenden Anlage auf fossiler Basis hergestellt und per Pipeline zum Hafen transportiert.
Das Beispiel Japans deutet an, dass die Wasserstoffwirtschaft vor allem durch die Verbrauchsseite getrieben wird: während zunächst lokale Wasserstoffproduktion den Bedarf großer Industrieanlagen deckt, werden als nächster Schritt der Ausbau des nationalen Pipelinenetzes folgen und der Anschluss an Überseeimporte.
Die Errichtung einer Wasserstoffwirtschaft ist also eine gewaltige infrastrukturelle Aufgabe: die EU nannte bis 2030 Investitionen in 40 GW Elektrolyseure um bis zu 42 Mrd. Euro und bis zu 120 GW Erneuerbare mit Summen zu 340 Mrd. Euro. Dazu kommen noch Verteilungs- und Transportsysteme, Speicheranlagen und Tankstellen um gesamt rund 65 Mrd. Euro. Importe sind per Schiff möglich, dafür werden aber Hafenanlagen, Speicher und Schiffe benötigt.
Neue Ordnung
Ebenso muss eine mögliche Verlagerung der Wertschöpfungsketten mitgedacht werden: statt Wasserstoff zu transportieren und in Europa Produkte herzustellen, mag es sinnvoller sein, den Wasserstoff am Produktionsort zu nutzen und die damit hergestellten Produkte zu importieren. Der Umbau auf eine klimaneutrale Wirtschaft wird auch zu einer Neuordnung globaler Wertschöpfungsketten führen.
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