Die CO2-Ziele stellen Netzbetreiber vor erhebliche Herausforderungen. Thomas Maderbacher, Geschäftsführer der Wiener Netze, zeigt sich im Report-Talk mit Martin Szelgrad zuversichtlich, diese zu bewältigen. Das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) sieht er als »großen Schritt«.
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Report: Vor welchen Herausforderungen stehen die Netzbetreiber in Österreich aktuell? Wie ist speziell die Situation in Wien und Umgebung für den Kombi-Netzbetreiber Wiener Netze?
Thomas Maderbacher: Wir sind der größte Verteilernetzbetreiber Österreichs. In der Millionenstadt Wien verantworten wir ein Stromnetz mit etwa 1,6 Millionen Zählpunkten, das entspricht in etwa einer Einwohnerzahl von 2,3 Millionen. Unser Gasnetz versorgt 650.000 Anschlüsse. Wien ist ja traditionell eine Stadt, in der sehr viel mit Gas geheizt und gekocht wird – im Unterschied zum Rest Österreichs, wo der Ölanteil höher ist. Wir betreiben ein eigenes Telekommunikationsnetz, das Backbone-Netz, das für Kunden, aber auch für eigene Zwecke genutzt wird. Außerdem betreuen wir das Fernwärme-Primärnetz und für unsere Schwestergesellschaft Wien Energie das Niederdrucknetz der Fernwärme.
Insofern stehen wir vor besonderen Herausforderungen, denn die Energiewende wird sehr stark mit einer Sektorkopplung einhergehen. Es wird notwendig sein, die einzelnen Energieträger nicht mehr getrennt zu betrachten, sondern ein Gesamtsystem daraus zu machen. Nur so können wir CO2-Neutralität in den vorgegebenen Zeiträumen erreichen. In unseren Netzen stecken hohe Investitionen und Werte, schon allein durch die Leitungslängen. Um es zu verbildlichen: Wir könnten mit unserem elektrischen Leitungsnetz bis Sydney und wieder zurückkommen.
Report: Sie haben bereits in der Vergangenheit von einem notwendigen Systemumbau bei den Wiener Netzen gesprochen. Welche Bereiche umfasst dieser Umbau?
Maderbacher: Die Anforderungen sind sehr unterschiedlich: Bei Strom geht man davon aus, dass es in der Zukunft mehr Netze brauchen wird, weil die Erzeugung dezentraler wird. Die bisherige klare Struktur verändert sich zu einer kleinräumigen Struktur, in der viele Mitspieler mitwirken. In diesem Dreieck von Versorgungssicherheit, Nachhaltigkeit und Leistbarkeit müssen wir den richtigen Ausgleich finden. Diese Aufgabe muss nach dem neuen Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) bis 2030 erfüllt werden. Es ist ein sehr ambitionierter Plan, aber wir können das schaffen.
Im Gasnetz ist die Situation ganz anders. Wenn wir CO2-Neutralität erreichen wollen, dürfen wir ab 2040 kein Naturgas mehr verbrennen. Das ist eine sehr schwere Aufgabe, weil der Bereich Raumwärme ca. ein Drittel des Gesamtenergieaufkommens in Österreich ausmacht. In Wien wird vorwiegend mit Erdgas geheizt, manche Kund*innen können kaum auf einen gasförmigen Brennstoff verzichten. Mögliche Alternativen wären Wasserstoff, aber auch sogenannte E-Fuels, die aus Wind- oder Sonnenenergie erzeugt werden.
Report: Welche Schritte sind für die Umsetzung notwendig?
Maderbacher: Es muss einen koordinierten Ausstieg geben. Unser Bestreben ist in erster Linie, dass eine rechtliche Grundlage geschaffen wird, die Entscheidungen über Investments ermöglicht. Denn das ist momentan die schwierigste Frage: Wie geht man mit den vorhandenen Assets um? Teile des Netzes werden noch 20 Jahre oder länger bestehen, andere aber nicht.
Die Rechtssicherheit bezieht sich aber auch auf das Gaswirtschaftsgesetz. Derzeit gibt es eine Anschlussverpflichtung für Gaskunden. Man muss sich deshalb überlegen, wie eine Zonierung im Gasnetz aussehen könnte, welche Bereiche in welchen Abläufen durch Fernwärme oder Wärmepumpen ersetzt werden können. Und nicht zuletzt muss das Regulierungsmodell entsprechend angepasst werden. Das jetzige Modell geht von einer zumindest gleichbleibenden Anzahl an Zählpunkten aus – weder ist ein Rückbau von Anlagen geplant, noch geht man davon aus, dass weniger Gas durch das Netz fließt. Je weniger Kunden es gibt, desto höher wird der Preis für den einzelnen Kunden.
Zum Terminus CO2-Neutralität sollte man aus unserer Sicht noch einen weiteren hinzufügen, nämlich Technologie-Neutralität. Wir müssen versuchen, alle Technologien, die zur CO2-Neutralität führen, parallel zu nutzen.
Report: Welche Veränderungen kommen nun durch das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz für die Netzbetreiber? Erwarten Sie auch eine neue Rolle für die Verteilernetzbetreiber?
Maderbacher: Ich erwarte keine neue Rolle, aber eine Weiterentwicklung unserer bisherigen Rolle. Wir sehen uns als Verbündeter, als Ermöglicher der Energiewende, indem wir unsere Netze für die dezentrale Erzeugung der Energiegemeinschaften zur Verfügung stellen. Die Bedingungen sind recht klar, es gibt nur noch ein paar Details zu klären. Mit dem EAG ist ein großer Schritt gelungen.
Durch die Einführung von Smart Metern bekommen wir wesentlich mehr Daten aus dem Niederspannungsnetz. Diese Daten sind auch notwendig, weil man bei Energiegemeinschaften in einer engen zeitlichen Taktung den entsprechenden Verbrauch abrechnen muss. Da genügt nicht mehr die Jahres- oder Monatsabrechnung, sondern wir müssen in einem Zeitraum von einer Viertelstunde jeweils Erzeugung und Verbrauch gegenüberstellen. Alle Kund*innen, die eine Energiegemeinschaft bilden möchten, werden einen Smart Meter brauchen, den wir laut Gesetz binnen einer kurzen Frist einbauen müssen. Die Umsetzung als großtechnische Lösung müssen wir allerdings alle erst lernen. Wir möchten hier ein guter Partner sein. Letztlich geht es ja um die Demokratisierung der Energieerzeugung.
Viele Kund*innen sind tagsüber durch ihre Solaranlagen Erzeuger, abends werden sie zu Verbrauchern. Es kommt darauf an, diesen Ausgleich gut zu regeln, sonst wäre die Versorgungssicherheit nicht mehr gewährleistet. Wir haben als Netzbetreiber die Pflicht, für diese Verfügbarkeit zu sorgen, fordern im Gegenzug aber auch gewisse Rechte ein. Das betrifft beispielsweise die Regelbarkeit der Erzeugungsanlagen: Ein Prozent der Leistung darf regelbar sein – bis zu einer Grenze von 250 kW. Wenn man bei einer Anlage, die 250 kW erzeugt, nur 2,5 kW regeln kann, ist das gar nichts. Verglichen mit der Traktionskontrolle bei Autos, die bei nassem Untergrund die Leistung zurücknimmt, könnte man bei einem 100-PS-Auto nur ein PS abriegeln – das wird nicht viel helfen. Vor einer ähnlichen Situation stehen wir. Die Rechte und Pflichten sind noch nicht ganz im Einklang. Wir bleiben an dem Thema dran.
Report: Welcher Spielraum bei der Regelbarkeit wäre aus Ihrer Sicht sinnvoll?
Maderbacher: Wir haben einen Vorschlag eingebracht, der eine Leistungsreduktion bis 20 Prozent berücksichtigt. Man muss sich ja vor Augen halten, welche Menge für den Erzeuger wegfällt. Wir haben mit drei bis fünf Prozent der Jahreserzeugung kalkuliert, auf die der Erzeuger schlimmstenfalls verzichten muss. Das würde sich mit 15 bis 20 Prozent weniger Leistung ausgleichen.
Report: Warum brauchen die Netze auch Energiespeicher?
Maderbacher: Beim Thema Speicher spricht viel für die Sektorkopplung. Für die tageszeitliche Verschiebung sind elektrochemische Speicher gut geeignet, aber nicht für eine saisonale Verschiebung. Die Erzeugung aus Photovoltaik und Wind ist im Sommer-Halbjahr deutlich größer als im Winter, der Stromverbrauch ist aber im Winter-Halbjahr höher. Diese Lücke muss man schließen. In der Vergangenheit war das über Pumpspeicherkraftwerke oder Gaskraftwerke möglich, die sehr schnell Leistung erbringen können. Kalorische Kraftwerke wird es in Zukunft nicht mehr geben. Man muss also Teile der Energiemenge vom Sommer in den Winter bringen. Dafür bieten sich Lösungen wie Power2Gas an, die beitragen können, diese Parität zwischen Erzeugung und Verbrauch in den Wintermonaten aufrechtzuerhalten. Das betrifft uns im städtischen Raum ganz besonders.
Zur Person
Thomas Maderbacher, geb. 1962 in Wien, ist seit September 2017 gemeinsam Gerhard Fida und Hermann Nebel Geschäftsführer der Wiener Netze. Er studierte Elektrische Energietechnik an der TU Wien und durchlief mehrere Karrierestationen bei der Wienstrom GmbH und der Wien Energie Stromnetz GmbH. Seit 1991 ist er bei den Wiener Netzen tätig, unter anderem als Hauptabteilungsleiter für Kundendienst, IKT und Netzplanung, später in der Geschäftsführung.