Der Strombedarf in der Industrie wird zunehmen – eine Herausforderung für Infrastruktur und Versorgungssicherheit, die bestimmenden Faktoren in der Stromwelt.
»Durch die Elektrifizierung des Energiesystems und den steigenden Datenverarbeitungsbedarf erwarten wir langfristig einen steigenden Strombedarf auch in der Industrie, insbesondere, sobald die wesentlichen Effizienzsteigerungspotenziale ausgeschöpft sind«, eröffnet Michael Baminger, Geschäftsführer der Energie AG, das Gespräch. Er sollte nicht der einzige Experte sein, der diesen Trend sieht. »Die Einsparungen und Effizienzsteigerungen am Markt werden durch die zunehmende Elektrifizierung zum Beispiel in der Digitalisierung, in der Mobilität und der Raumwärme wettgemacht«, betont Jürgen Wahl, Vorstand der österreichischen Strombörse EXAA. Der Verbrauch insgesamt werde eher steigen. Das erfordert den konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien, verbunden mit Netzstabilität und Versorgungssicherheit, den Eckpfeilern einer funktionierenden Energiewirtschaft.
Bild: Der Anteil von Wind und PV hat zugenommen, das spürt man im Handelsvolumen und bei der Preisbildung. »Ein Tag ohne Strom bedeutet einen fast doppelt so hohen Schaden wie ein harter Lockdown«, vergleicht Jürgen Wahl, Strombörse EXAA.
Ein Tag ohne Strom bedeute einen doppeltso hohen Schaden wie ein harter Lockdown. Österreichs Energie nennt passende Zahlen: Ein einstündiger Ausfall einer 110-kV-Leitung führt zu einem Stromausfall bei etwa einer Viertelmillion Kunden und 48 Millionen Euro Schaden pro Tag. Ein einstündiger Ausfall auf Ebene des 380-kV-Übertragungsnetzes betrifft fast ganz Österreich und verursacht pro Tag einen Schaden von etwa einer Milliarde Euro.
Eckpfeiler Versorgungssicherheit
Für die ausreichende Versorgungssicherheit gibt es laut Energie Allianz Austria einen Dreiklang. »Wir brauchen gut ausgebaute Netze, Reservekapazitäten im Kraftwerksbereich und künftig Demand Side Management (DSM)«, betont Geschäftsführer Jörg Sollfelner. Der weitere Netzausbau erfolge zu langsam. Börsenexperte Wahl vergleicht das Problem mit dem Straßenverkehr – wenn immer mehr Autos gebaut werden, jedoch keine Straßen. Mit DSM können Unternehmen mithilfe flexibler Prozesse dazu beitragen, Schwankungen der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien auszugleichen. Heute sind Unternehmen vielfach nur Abnehmer. Künftig nehmen diese aktiv am Strommarkt teil, etwa mit einer eigenen PV-Anlage. Sie werden dadurch elektrifizierte Raumwärme oder den E-Fuhrpark anders bewerten. Dienstleistungsnahe Industrien wie Flughafen oder Bahnhof ohne Produktionsenergie werden natürlich anders agieren als ein Stahlwerk. Auch die Preismechanismen an der Strombörse lassen sich für DSM nutzen.
Bild: »Strom muss ein Marktplatz bleiben«, fordert Jörg Sollfelner, EAA. »Eine stärkere Regulierung würde falsche Signale bringen, kann dazu führen, dass das Produkt selbst in Frage gestellt wird.« Stattdessen braucht es vernünftige Anschubfinanzierungen. Tarifförderung ist für Sollfelner mittelfristig nicht zielführend.
Eckpfeiler Netzstabilität
Durch die zahlreichen Großwasserkraftwerke hat Österreich für die Energie Allianz Austria eine tolle Ausgangsbasis. Rund 3.300 GWh lassen sich hierzulande speichern. In Deutschland sind es vergleichsweise nur 40 GWh. Die eingeschlagene Richtung stimmt. Worauf bei allem Hype rund um Erneuerbare vielfach vergessen wird, ist die notwendige Infrastruktur. Der Umbau des Energiesystems kann nicht erfolgen, wenn zeitgleich alles Fossile weggeschalten wird. Damit steige die Blackoutgefahr.
Für Jürgen Wahl werden Brückentechnologien wie Gaskraftwerke daher vielleicht noch 30 bis 50 Jahre entscheidend sein, um eine gewisse Stabilität neben der Großwasserkraft garantieren zu können. »Früher war der Handel geprägt von Angebot und Nachfrage, das hat sich sehr stark in Richtung Abhängigkeit vom Wetter verschoben«, betont er. Die Witterung habe massiven Einfluss auf die Preisbildung und auch auf die Mengenentwicklung. Als Beispiel nennt Wahl die Windkraft. »Windenergie selbst hat keinen Rohstoff, der verbrannt werden muss, ist damit kostenlos. Bei zunehmender Windenergie, die ins Netz eingespeist wird, sinken mit dem Überangebot die Preise. Gleichzeitig werden die rasch erzeugten Strommengen kurzfristig geplant und schnell über den Spotmarkt verkauft.« Ähnliches gelte für die Photovoltaik, die günstiger produziert als kalorischer und wasserkrafterzeugter Strom, auch weil sie gefördert wird.
Digitalisierung ermöglicht Bottom-Up
Bis zum Jahr 2001 war der Strommarkt zentral gesteuert: Top-Down. In den letzten 20 Jahren wurde das umgebaut zu einem Bottom-Up-System. »Erneuerbare Anlagen, die in der Regel weniger Leistung haben als Großkraftwerke, können ebenfalls ins Netz einspeisen«, erklärt EXAA-Vorstand Jürgen Wahl. Mit der Digitalisierung entstehen neue Strukturen in der Produktion, auch Privathaushalte können Strom erzeugen und gegenseitig liefern. Neue Energiekonzepte und Geschäftsmodelle sind damit möglich. »Für große Industriebetriebe und große Handelsketten werden Energiegemeinschaften aus heutiger Sicht eher kein Instrument, sicher aber für Kommunen, Bürger und KMU«, betont Jörg Sollfelner, der mit Spannung das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz erwartet.
Ab-Hof-Verkauf für die Energie
Ein klares Beispiel für Bottom-Up bildet Alpenenergie, eine Gesellschaft für Energievermarktung. Dezentrale Kleinkraftwerke werden mit Kunden aus der Region zusammengeführt. Der Kunde kann Ökostrom direkt vom Kleinkraftwerk bestellen, ähnlich dem Einkauf von Lebensmitteln direkt beim Bauern vor Ort. »Wir haben vor allem Haushaltskunden und Gewerbe, bieten ein Modell für Kraftwerksbetreiber vergleichbar mit AirBnB im Tourismus an. Aufgrund Corona ist der Verbrauch der Privaten um zirka 15 % gestiegen«, berichtet Geschäftsführer Thomas Eisenhuth.
Alpenenergie besteht seit sechs Jahren, ist ein niederösterreichisches Unternehmen im Familienbesitz. Auf der Website werden die unterschiedlichen Kraftwerke vorgestellt. Die Endkunden sprechen die Kraftwerksbetreiber dann selbst an. Der Vertrag wird mit Alpenenergie gemäß ElWOG geschlossen, der Strom über Alpenenergie an die Endkunden geliefert. Eisenhuth verweist auf zahlreiche berufliche und private Netzwerke der Kraftwerksbetreiber, über die deren Erstkontakt zu potenziellen Kunden erfolgt. Dadurch gebe es einen Vertrauensvorschuss, den große Stromkonzerne nicht haben. Die müssten Millionenwerbung betreiben, heißt es. Die persönliche Beziehung stehe bei Alpenenergie im Vordergrund, weniger der ultimativ günstige Preis.
Veranstaltungshinweis
Österreichs Energie Kongress und Digitalevent »Mit Sicherheit in die Energiezukunft« vom 21. bis 22. April 2021 (Link)
Förderung Solarenergie
werden durch die Kombination des Programms »Solare Großanlagen« des Klima- und Energiefonds und die aws Investitionsprämie derzeit mit über 60 % gefördert. Für beide Programme läuft die Einreichfrist bis Ende Februar 2021. (Link)
Marktumfeld
An der österreichischen Strombörse EXAA wurden 2020 42 TWh Strom gehandelt, das entspricht zwei Drittel des Jahresstromverbrauchs im Land. Der Handel an den internationalen Börsen wird zunehmend kleinteiliger, Preisentwicklungen werden volatiler. Der Grund dafür liegt vor allem im Umbau des europäischen Kraftwerkparks in Richtung Erneuerbare. (Link)
Netzstabilität
Der Ausbau der Infrastruktur ist auch für Österreichs Energie ein zentraler Faktor im Rahmen der Transformation des Energiesystems. Das umfasst:
- Ausbau der Netze vorantreiben
- Neubau von gesicherter Leistung ermöglichen
- Rahmenbedingungen für Speicher verbessern
- Verfahren beschleunigen
- Regionalen Netzwiederaufbau stärken
Alpenenergie bietet zu 97,5 % Energielieferanten aus dem Bereich Wasserkraft und zu 2,5 % aus dem Bereich Windkraft. Zu den gebotenen Kleinwasserkraftwerken zählen die Wasserburg in Pottenbrunn, Plaika an der Erlauf, die Traunmühle an der Grundlseer Traun und Klamm I (Bild) am Strechenbach. Beim Stromanbieter-Check 2020 der Umweltschutzorganisationen Global 2000 und WWF wurde Alpenenergie mit der Bestnote in der Kategorie »Treiber der Stromzukunft« ausgezeichnet. Bild: Alpenenergie