Investitionen und der Umbau der Infrastruktur sind die Grundlagen für die Energiewende, betonten Energie-ExpertInnen bei einem Symposium der Wiener Netze.
Mit dem Entschluss, elektrische Straßenbahnen einzuführen, fiel vor 120 Jahren der Startschuss zur Elektrifizierung Wiens und zur Gründung eines städtischen Elektrizitätswerks. »Wie damals stehen wir auch heute vor einem Systemumbau«, erklären die Geschäftsführer der Wiener Netze Thomas Maderbacher, Gerhard Fida und Hermann Nebel am 22. Jänner beim Symposium »Energienetze – heute und morgen« im Technischen Museum Wien. Der Podiumsdiskussion mit ExpertInnen von Oesterreichs Energie, dem AIT, avantsmart und dem Verband für Elektrotechnik ging ein humorvoller Vortrag von Universitätsprofessor Lothar Fickert zur Elektrizität im Lauf der Geschichte voraus. Zum Symposium hatten sich über 100 interessierte ZuhörerInnen eingefunden.
Report: Vor welchen Herausforderungen stehen die Energienetze heute? Sie sind seit vielen Jahren im Unternehmen tätig – wie war denn im Vergleich die Ausgangslage damals, bei Ihrem Einstieg in die Branche?
Thomas Maderbacher, Wiener Netze: Bei meinem Eintritt in die Wiener Stadtwerke verantworteten die Unternehmen der Energiewirtschaft damals vollintegriert die gesamte Wertschöpfung von der Erzeugung über die Übertragung und Verteilung bis hin zu Verbrauchern auch im eigenen Umfeld. Das hat sich durch die Liberalisierung des Marktes völlig verändert. Ich bin überzeugt, dass dieser Wandel sehr gut war – er hat die Branche in die Moderne geführt, hin zu einer stärkeren Kundenorientierung. Der Umbau des Energiesystems zu einer nachhaltigen Erzeugung ist in aller Munde und bereits die Wasserkraft bot früh eine Unabhängigkeit von Stromimporten. Heute stehen wir vor einem großen Wendepunkt, der auch große Investitionen benötigt. Mit dem Betrieb von Netzen für Strom, Gas, Fernwärme und Telekommunikation sind wir für die Sektorkopplung jedenfalls bestens aufgestellt.
Bild: Thomas Maderbacher ist Geschäftsführer der Wiener Netze
Report: Wie werden Energienetze morgen aussehen? Welche Rolle werden die Netze im Gefüge eines veränderten Energiesystems spielen?
Maderbacher: Es gibt Dinge, die immer wichtig bleiben werden. Die Versorgungssicherheit ist bei uns bereits jetzt – mit fast 100 % – besonders hoch, das ist im europäischen Vergleich keine Selbstverständlichkeit. Aber der Umbau der Energiesysteme geschieht im laufenden Betrieb, birgt also große Herausforderungen. Die Verteilernetze erhalten nun eine neue Rolle. Sie sind die »Ermöglicher« für die gesellschaftlichen Veränderungen von der E-Mobilität bis zur Umstellung auf nachhaltige Energie. Gefragt ist nicht nur die verstärkte Integration von Solarkollektoren oder Windturbinen. Es geht letztendlich darum, diese Energie unter Berücksichtigung von Angebot und Nachfrage auch optimal zu nutzen, zu speichern und zu verteilen. Die Energiezukunft ist vom Ausbau und der Weiterentwicklung der Netze abhängig.
Interessant werden neue Themen wie etwa Batteriespeicher sein. Die Menschen werden wohl auch in Zukunft zu ähnlichen Zeitpunkten von der Arbeit nach Hause kommen und dort vielleicht auch ihr Elektroauto laden wollen. Die Gleichzeitigkeit im Netz bei der Versorgung ebenso wie das saisonale Verschieben von Energie stellt die Netze vor große Aufgaben. Wichtig ist hier, sich möglichst mit den Technologien und den Möglichkeiten zu beschäftigen.
Report: Wie sind Sie mit dem neuen Regierungsprogramm zufrieden? Wurden die Netze aus Ihrer Sicht genug berücksichtigt?
Barbara Schmidt, Österreichs Energie: Im Regierungsprogramm sind bereits einige Punkte explizit berücksichtigt. Das dringend benötigte Erneuerbaren-Ausbaugesetz ist bereits so genau beschrieben, dass man sofort mit einer Gesetzesbegutachtung loslegen könnte. Ebenso ist ein Bekenntnis zur Versorgungssicherheit enthalten, was uns sehr wichtig ist. Vieles, was für die Netze im Detail notwendig wäre, steht allerdings nicht in dem Programm.
Wenn wir die Klimaneutralität bis 2040 und mit dem auch im Programm erwähnten Zubau von 27 TWh 100 % erneuerbare Stromerzeugung bis 2030 erreichen wollen, bedeutet das Stress und einen massiven Aufwand für die Netze. Der Branchenverband Oesterreichs Energie hat dazu Vorschläge erarbeitet. Wir hoffen jetzt sehr, dass die Regierung alles Notwendige auch für die Netze durchsetzen wird – eine neue Regulierung der Tarife etwa, in der der Faktor Leistung stärker berücksichtigt wird. Mit der zunehmenden Eigenerzeugung der Prosumer werden die aus dem Netz gezogenen Strommengen zurückgehen. Trotzdem müssen die Netze mit ihrer vollen Leistung für alle Fälle zu Verfügung stehen. Und die Netze sind im Zuge der Digitalisierung bereits jene Plattform, auf der sich die Energiewende abspielt. Auch hier braucht es noch Regeln und einen regulatorischen Rahmen.
Bild: Barbara Schmidt ist Generalsekretärin von Oesterreichs Energie
Report: Wie sieht dies in der europäischen Politik aus? Kommen die Netze für die Aufgaben der Energiewende ausreichend vor?
Schmidt: Den Verteilernetzen wird schon im »Clean Energy Package« der Europäischen Union eine »Enabler«-Funktion zuerkannt. Die Kommission fordert auch einen Ansprechpartner bei den europäischen Verteilnetzen mit der Gründung der »DSO Entity«, einem Zusammenschluss der Netzbetreiber auf EU-Ebene. Im Übertragungsnetzbereich gibt es das bereits seit vielen Jahren. Für mich ist das ein sehr positives Zeichen, das eine gute Zusammenarbeit auch mit der europäischen Politik erwarten lässt. Man hat erkannt, dass sich die Energiewende zum größten Teil im Verteilnetz abspielt.
Österreich ist hier auch ein Vorreiter, auf den auch Brüssel schaut: Mit dem »Energiewirtschaftlichen Datenaustausch EDA« haben wir bereits eine erfolgreiche Umsetzung, wie Prozesse in den Verteilnetzen über eine zentrale Plattform sicher und effizient ausgetauscht werden können.
Report: Sie haben im Auftrag des Klima- und Energiefonds untersucht, welche Auswirkungen eine 100 % erneuerbare Energieversorgung des Industriesektors auf die Energieinfrastruktur hat.
Wolfgang Hribernik, AIT: Der Industriesektor macht rund ein Drittel des Energiebedarfs in Österreich aus, ähnlich ist es in Resteuropa. Wir haben dazu nun Szenarien auf Basis von verschiedenen Technologien entwickelt, wie sich hier ein Energieverbrauch aus Basis von Erneuerbaren entwickeln wird. Das bedingt viele Maßnahmen – von der Energieeffizienz bis hin zum radikalsten Szenario von Prozessen in der Stahlerzeugung, die gänzlich auf Wasserstoff basieren.
Anhand der Daten in allen Bundesländern, unterschiedlichen Energieträgern, die wir untersucht haben, und 13 besonderen Industriebereichen können wir sagen, dass die Energieversorgung der Industrie in einem Jahresbedarf von 88 bis 110 TWh komplett mit Erneuerbaren möglich ist. Für die Mengen, die künftig in den Netzen transportiert werden müssen, ebenso wie die zu erwarteten Lastprofile, haben wir ein Tool entwickelt, mit dem die lokalen Über- oder Unterdeckungen errechnet werden können. Damit können künftig gezielt Maßnahmen ergriffen werden.
Bild: Wolfgang Hribernik ist Head of Center for Energy beim AIT Austrian Institute of Technology
Report: Werden die Gasnetze künftig mehr Wasserstoff transportieren müssen? Was sind weitere Schlüsseltechnologien?
Hribernik: Die Zusammensetzung der Energieträger wird sich verändern. Wasserstoff kann eine Rolle sowohl in der Industrie als auch als Element der Sektorkopplung spielen. Definitiv müssen wir hier auch die Lastschwerpunkte etwa der produzierenden Industrie vor allem in Oberösterreich und in der Steiermark betrachten. Dort wird es möglicherweise zu einem Ausbau der Strom- und der Gasnetzinfrastruktur kommen müssen.
Prinzipiell werden wir Technologien brauchen, um die Sektoren Elektrizität, Wärmeversorgung, Verkehr und Industrie zu verkoppeln – industrielle Wärmepumpen, elektrische und thermische Speicher, aber auch auf systemischer Seite die Digitalisierung und die Aufweichung der klassischen Unternehmensgrenzen bei Industrieunternehmen. Sie werden mit dem Anbieten oder Beziehen von energetischer Flexibilität aktive Spieler im Energiesystem werden, sogenannte Prosumer. Das braucht Koordinationsmechanismen für den zentralen Abruf einer Flexibilität auf Verteilnetzebene und für Prognosen zu Verbrauch und Lastspitzen. Die Plattformen dazu und Steuersysteme sind derzeit eines der Forschungsfelder.
Report: Welche Rolle können Gewerbe- und Industrieunternehmen als aktive Teilnehmer im Energiemarkt und -system spielen? Gibt es hier schon Ideen und neue Initiativen?
Hemma Bieser, avantsmart: Ich bin im Bereich Forschung und Innovation tätig und sehe im Forschungsbereich die wesentlichen Grundlagen im Bereich Technologie und Konzepte, die dann mittels Innovationen zur Anwendung gebracht werden. Wir beschäftigen uns intensiv mit neuen Geschäftsmodellen und Kooperationslösungen zur Erreichung der Klima- und Energieziele.
Aktuell arbeiten wir bei avantsmart gemeinsam mit Stadtwerken, Industrieunternehmen und der Montanuniversität Leoben an dieser Zukunft und begleiten Innovationsprozesse dazu. Mitunter ist bei Workshops hilfreich, die gesetzlichen Rahmenbedingungen und Regulierungssituation für die Netzbetreiber einmal nicht zu beachten und Ideen und Gedanken in jede Richtung zuzulassen. Was würde also passieren, wenn man tatsächlich alle Flexibilitäten in einer Region nutzen und vermarkten könnte? Könnten dann Akteure mit Photovoltaik-Eigenerzeugung lokal auch einen gemeinsamen Stromspeicher betreiben, der auch netzdienlich eingesetzt werden könnte? Auch das Laden- und Entladen von Elektroauto könnte künftig zum Nutzen für das lokale Netz gesteuert werden.
Bild: Hemma Bieser ist Gründerin und Geschäftsführerin von avantsmart
Report: Was macht das Gefüge des Energiesystems in Zukunft aus? Wer wird die Verantwortung tragen?
Bieser: So unterschiedlich die Fragestellungen der Workshops waren – die Lösungen waren ähnlich: Wir brauchen letztendlich digitale Plattformen für die intelligente Steuerung und wirtschaftliche Vermarktung. Das geht über die Rolle der heutigen Netzbetreiber weit hinaus. Es werden im Zuge dessen auch neue Verantwortlichkeiten entstehen, und es stellt sich auch die Kernfrage, wer die Plattformen betreibt und wem die Daten gehören.
Wir benötigen hier nicht nur die Offenheit und Bereitschaft der Netzbetreiber, sondern auch von Gemeindevertretern, Energie-Raumplanern und Betriebe. Hier wird noch vieles in den unterschiedlichsten Konstellationen diskutiert werden müssen.
Report: Welche Herausforderungen sehen Sie auf Netzbetreiber in den nächsten Jahren zukommen?
Peter Reichel, OVE: Mit dem Wandel des Kunden zum Produzenten kommt den Netzbetreibern eine wichtige Aufgabe zu, die Plattformen für diesen Markt zu Verfügung zu stellen. Wir brauchen dazu eine Menge technologischer Neuerungen und die digitalen Voraussetzungen mit der Verbindung der Informatik mit der Elektrotechnik. Nur mit einer Automatisierung der Prozesse im Energiesystem wird all das möglich sein. Wir brauchen aber auch einen gesellschaftlichen Wandel – Menschen, die diese Veränderungen akzeptieren und mittragen. Letztendlich ist dem Kunden, der den Strom benötigt, relativ egal, woher dieser kommt. Er soll sicher zu Verfügung stehen, wenn er ihn braucht. Ich sehe hier die Netzbetreiber in einer hervorragenden Ausgangsposition als Integrator – sie müssen aber stark in diese Zukunft investieren.
Report: Was kann man aus der Geschichte der Elektrotechnik und Elektrizität lernen? Lässt sich aus Vergangenem etwas auf die Zukunft schließen?
Peter Reichel: In der Mitte des 19. Jahrhunderts war Elektrotechnik eine völlig neue Technologie. Um Sicherheitsrichtlinien zu erarbeiten und Rahmenbedingungen für Wirtschaft und Gesellschaft zu schaffen, wurde 1883 der Österreichische Verband der Elektrotechnik gegründet. Aber es wurde erkannt, dass diese Diskussionsplattform auf nationaler Ebene nicht ausreichend ist. 1906 wurde die »International Electrotechnical Commission, IEC« aus der Taufe gehoben, um Kompatibilität und den grenzüberschreitenden Stromaustausch sicherzustellen. Österreich allein hätte das nicht gestemmt. Man hat dies nur auf zumindest europäischer Ebene lösen können.
Bild: Peter Reichel ist Generalsekretär des OVE – Österreichischer Verband für Elektrotechnik
Report: Haben wir denn überhaupt genügend Fachkräfte, um die ambitionierten Ziele der Regierung umzusetzen? Was müsste im Ausbildungsbereich dazu verändert werden?
Peter Reichel: Wir haben viel zu wenig Fachkräfte, angefangen bei der dualen Ausbildung bis zum Elektrotechnikstudium. Verschiedenste Aktivitäten wie die MINT-Initiative, die von der Regierung nun fortgesetzt werden soll, die Ansprache von Frauen für die vielfältigen technische Berufe im Energiesektor und auch die Aktivitäten vieler Unternehmen bringen hoffentlich langfristig Besserung im Arbeitsmarkt. Ich kann junge Menschen nur ermutigen, einen Berufsweg in diesem unheimlich spannenden und interessanten Umfeld zu wählen. Hier gibt es die tollsten Berufschancen.