Energie ist die große Herausforderung in der Stadt der Zukunft. Wie lassen sich der Energieverbrauch optimieren und Effizienzen heben? Das erforschen Experten derzeit im Gebäudebestand der Seestadt Aspern.
Professor Patrick Shiel und Doktorand Sergio Tarantino, Branchenexperten der Universität Standford, arbeiten derzeit mit Siemens-Experten in Wien zusammen. Über einen Laserscan der Räume des Schulcampus in der Seestadt Aspern wollen sie mittels einer Kombination aus einem digitalen Zwilling des Gebäudes, dynamischen Daten und einem intelligenten »Building Automation System« den Energieverbrauch optimieren – und die neuesten Ideen aus dem Silicon Valley live an dem Gebäude in Aspern anwenden.
Das Projekt zielt auf eine emissionsarme Zukunft ab – immerhin fallen rund 40 % des gesamten Energieverbrauchs weltweit auf den Betrieb von Gebäuden zurück. Auch neuere Bauten werden zwar energieeffizient geplant, später aber nicht mehr in ihrer Performance beobachtet. Mittels der jetzt getesteten Technologie sollen massive Einsparungen des Energieverbrauchs möglich sein. Warum Aspern? Die Seestadt ist im Fokus von vielen Studien und ein Praxisbeispiel für die Stadt der Zukunft – und Building Information Modeling wird hier bereits in Teilbereichen angewendet.
Nach der Errichtung
»Wir haben gemeinsam mit der Stadt Wien bereits vor Jahren begonnen, am künftigen Zusammenwirken von smarten Netzen und Gebäuden in Aspern zu forschen«, erklärt Josef Stadlinger, Head of Smart Infrastructure Regional Solutions and Services Europe Zone East bei Siemens. Die Arbeiten der Forschungsgesellschaft Aspern Smart City Research (ASCR) fokussieren auf verschiedene Ebenen: Erzeugung und Verbrauch von Energie, ihre Speicherung und die Analyse der täglich eineinhalb Millionen Datensätze, die in der Infrastruktur in Aspern – vornehmlich in den Gebäuden – generiert werden. »Während in der ersten Forschungsphase bis 2018 die Themen Building Information Modeling und digitaler Zwilling für die Planung und Errichtung im Fokus waren, wenden wir BIM und Digitalisierungslösungen nun direkt im Betrieb der Gebäude an.«
Über Siemens-Mitarbeiter, die in Stanford arbeiteten, kam der Kontakt zu Patrick Shiel und Sergio Tarantino zustande. Die beiden Forscher wollen das Potenzial von Energieoptimierungen auch in jenen Gebäuden erforschen, die bereits gebaut sind und oft noch nicht nach dem neuesten Stand der Technik digitalisiert sind – und teilweise deutlich hinter dem verbauten Stand der Technik in der Schule in Aspern zurückbleiben.
Bild oben: Josef Stadlinger, Siemens: »Wollen weitere Optimierungen durch neue Methoden und Technologien erreichen.«
Energieeffizienz war auch bisher schon ein Hebel für Investitionen bei Gebäudebetreibern. Stadlinger berichtet von bis zu 30 % Einsparungen durch Maßnahmen und die optimierte Steuerung des Ressourcenverbrauchs. »Aber das muss noch besser gehen. Wir wollen mit neuen Methoden und Technologien weitere Optimierungen erreichen.« Die Digitalisierung von Gebäuden im »Brown Field«, also im Bestand, ist für Techniker wie Stadlinger besonders für den Wärmebereich spannend. Die thermische Komponente sieht er in den Digitalisierungsmodellen weitgehend noch unterrepräsentiert, das Einsparungspotenzial überdurchschnittlich groß. »In der Kombination all dieser Bereiche erwarten wir Effizienzsteigerungen um weitere zehn bis 15 %.«
Patrick Shiel, der als Forscher in Stanford und am Trinity College Dublin arbeitet, ist in einem UN-Entwicklungsprogramm für Energieeffizienzmaßnahmen im Nahen Osten tätig. »Die spezielle Herausforderung in dieser Region ist die Kühlung von Gebäuden während der heißen Sommermonate«, berichtet Shiel. Tatsächlich aber sei Kühlung zum großen Thema auch in Europa und den USA geworden. Für den Experten steht fest, dass die Ära unbegrenzten Energieverbrauchs im Gebäudebereich sowohl aufgrund der Veränderungen in der öffentlichen Wahrnehmung als auch aufgrund regulatorischer Vorgaben bald zu Ende gehen wird. Es werde Limitierungen, bezogen auf die unterschiedlichen Gebäudetypen, geben. Deshalb sollten Gebäude mit entsprechenden Energieeffizienzsystemen ausgestattet sein. Zudem werden Immobilien zu einem wichtigen Teil in einem Energiesystem, das gesamthaft auch die Netze und die volatile Erzeugung durch Solar- und Windkraft betrachtet.
Verknüpfung von Daten
Patricks Shiels Kollege Sergio Tarantino beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Datenanalysen in Energiesystemen. »Im Gebäudebereich gibt es mitunter in der Planung und Errichtung bereits digitale Modelle. Im Betrieb sieht das dann meist anders aus«, ortet der Stanford-Forscher Potenzial, das er mit einem nachträglichen Scan von Gebäuden heben will. Die Bilder, die mit dem Laserscanner erstellt werden – er wird in einem Rucksack oder auf einem Wagen durch die Räume getragen respektive geschoben –, zeigen das Gebäude so, wie es wirklich ist. Im Campus-Gebäude in der Seestadt Aspern verwendet Tarantino eine tragbare 360-Grad-Kamera, um die Räume zu digitalisieren. Die Bilder fließen über Algorithmen in einen Server, der daraus ein 3D-Modell des kompletten Gebäudes generiert. Auf der Siemens-Gebäudemanagement-Plattform wird die Gebäudegeometrie mit den existierenden Energie-, Wärme- und BIM-Daten verknüpft. Das ermöglicht Vergleiche von Ist- mit Soll-Zuständen. Denn eine optimierte Performance ist nur möglich, wenn entsprechend detaillierte Messungen vorliegen.
Mit den in Aspern vorhandenen Daten können Wärme- und Stromverbrauch auch wetterabhängig auf den Bedarf der NutzerInnen abgestimmt werden – Stunde für Stunde. Das unterscheidet sich radikal vom klassischen Pfad, eine Heizzentrale fix einzustellen und von den programmierten Parametern nicht mehr abzuweichen.
Bild: Die Stanford-Forscher Sergio Tarantino und Patrick Shiel im Schulcampus in der Seestadt.
Wohlfühlfaktor
»Wir streben mithilfe von Machine Learning bessere Analysen für ein vorausschauendes Heizen und Kühlen in Gebäuden an«, erklärt Stadlinger. Je nach Sonneneinstrahlung, Umgebungstemperatur, Wettervorhersagen und auch Zahl der anwesenden NutzerInnen kann der reale Bedarf auf jeden Raum auf die Stunde genau prognostiziert werden. Auch die Luftqualität der CO2-Konzentration ist so optimal steuerbar. Sensoren würden dabei die Personen in einem Raum anonymisiert erfassen und Daten an das Lüftungssystem liefern. »Neben der Energieeffizienz ist auch die Arbeitsqualität ein Hebel für die Gebäudetechnik. Wenn sich die MitarbeiterInnen wohlfühlen und so die Produktivität gehoben wird, haben direkt die Unternehmen etwas davon«, so Stadlinger.
Ab zirka 100.000 Euro Investment kann ein Gebäude – je nach Art, Zustand und Größe – mit einem bereits existierenden Gebäudemanagementsystem auf das Niveau eines Vorzeigeprojekts wie des Schulcampus gehoben werden. Diese Summe wird in der Regel mit Heizkosteneinsparungen wieder hereingespielt. Die Arbeit der Forscher gemeinsam mit Siemens soll nun Einblicke geben, wie die Energie-Performance in bestehenden Gebäuden optimiert werden kann und welche Daten letztlich für optimale Resultate notwendig sind.
Forschungsobjekt Bildungscampus
In Wiens größtem Bildungscampus, dem Campus Seestadt, gibt es seit 2015 zwölf Kindergartengruppen für über 230 Kinder, eine Ganztagsvolksschule mit 17 Klassen sowie acht Klassen, die für Kinder mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen ausgerichtet sind, mit über 450 Schülern. Dank der technischen Infrastruktur der Forschungsgesellschaft Aspern Smart City Research (ASCR) ist der Bildungscampus ein wärmeautarkes Gebäude. Die Energieerzeugung erfolgt durch Solarthermie- und Photovoltaikanlagen sowie Wärmepumpen. Eine Besonderheit dieses Gebäudes ist, dass der Abluft, die durch Menschen und technische Geräte erwärmt wurde, Wärme entzogen wird. In dieser Rückgewinnung der Energie liegen hohe Einsparungspotenziale.