Bei nahezu allen thermischen und mechanischen Prozessen in Industrie und Handwerk entsteht Wärme. Bis zu 70 % gehen aber über Abluft und Abwasser verloren. Wie industrielle Abwärme genutzt werden kann, war Thema eines Workshops der Industriellenvereinigung.
Neun von zehn Personen sehen als einzigen Energietreiber für die Wende Ökostrom. Das ist aber eindimensional«, kritisiert Dieter Drexel, stellvertretender Bereichsleiter Infrastruktur, Transport, Ressourcen & Energie, Umwelt der Industriellenvereinigung beim Workshop »Industrielle Abwärmenutzung – Chancen & Hindernisse«. Dieser wurde in Kooperation mit dem AIT, dem AEE und dem Institut für Energietechnik und Thermodynamik der TU Wien im Oktober in Wien veranstaltet. In der Klima- und Energiestrategie der Bundesregierung ist Ökostrom überhaupt das zentrale kommunizierte Ziel, alle anderen Maßnahmen sind deutlich nachgereiht. Der erste Schritt muss natürlich Energieeffizienz sein. Rund zwei Drittel des gesamten industriellen Energieverbrauchs gehen auf das Konto von Abwärme. Das Einsparpotenzial im Bereich ab 60 Grad liegt Schätzungen zufolge bei rund 125 Terawattstunden, was jährlich fünf Milliarden Euro entspricht. Nur einer von zehn nennt industrielle Abwärme, die aber einen wesentlichen Part bei der Energiewende übernehmen kann und deren Nutzung einen Ansatzpunkt für die Erhöhung der Primärenergieeffizienz und für kosteneffiziente betriebliche Energienutzung darstellt.
Bild oben: Die Puntigamer Brauerei deckt in Graz den Wärmebedarf eines Wohnquartiers mit 800 Wohnungen.
Abwärme kein Abfallprodukt
Prozesse wie Trocknen, Reinigen, Schmelzen, Kühlen und Absaugen sind Schritte, die große Mengen an Wärme erzeugen. Dieses Energiepotenzial wird allerdings noch nicht erkannt. Bis zu 70 % der Abwärme gehen über Abluft und Abwasser verloren. Abwärme als kostenloses Nebenprodukt von Produktionsprozessen ist in verschiedenen Temperaturbereichen angesiedelt. Rund ein Drittel bewegt sich zwischen 100 und 400 °C und kann damit für Wärmerückgewinnung ebenso genutzt werden wie für Raumwärme, Warmwasser, die Stromproduktion, aber auch als Kältemittel durch die Arbeit mit Sorptionskältemaschinen. Es gilt gleichzeitig, Prozesstechnologien zu verbessern. Dazu gibt es zum Beispiel Forschung in Holland, die sich mit einer Änderung der Prozesstemperaturen beschäftigt.
Energieintensive Branche
Bild oben: Die TU Wien beziffert das technische Potenzial mit einer Abwärmetemperatur von über 100°C auf fast 3 TWh. Unter 100°C ergeben sich 8,5 TWh.
Die größten Abwärmepotenziale finden sich in den Branchen Metall und Papier sowie in der Branche Steine, Erden und Glas, vorrangig in den Bundesländern Oberösterreich, Steiermark, Niederösterreich und Tirol. Oberösterreich und die Steiermark sind daher zwei Standorte für das Projekt NEFI. »Innerhalb der nächsten acht Jahre werden Wege zur Dekarbonisierung der produzierenden Industrie vorbereitet«, berichtet Wolfgang Hribernik, Verbundkoordinator von NEFI und Leiter des Departments Energie am AIT. Schlüsseltechnologien bilden dabei die Einbindung innovativer Prozesstechnologien, industrielle Abwärmenutzung, Speichertechnologien wie innovative Hybridspeicher und adiabate Druckluftspeicher, neue Lösungen zur Nutzung erneuerbarer Energie in industriellen Energiesystemen und Einrichtung unternehmensübergreifender Energiegemeinschaften.
Weitere Forschungsprojekte: TrustEE von AEE Intec hat die Entwicklung und Umsetzung neuer und innovativer Möglichkeiten zum gezielten Vorantreiben von Entwicklung, Finanzierung und Umsetzung von Energieeffizienz- und Erneuerbare-Energie-Projekten in Europas Industrie zum Ziel. SOCO, Storage Optimisation Concepts, bildet ein Planungstool, ebenfalls AEE Intec, für die optimierte Planung und Auslegung von Speichersystemen in komplexen thermischen Energiesystemen.
Das Projekt Renewables4Industry der JKU Linz fokussiert auch die Aufstellung eines Technologiefahrplans für die energieintensive Industrie auf dem Weg zur Nutzung fluktuierender Energieversorgung. Beim Projekt ENPRO werden Planungsrichtlinien erarbeitet, um Barrieren für eine effiziente und kostengünstige Integration von Solarthermie und Wärmepumpen in industriellen Prozessen abzubauen.
Das Projekt Greenfoods, ebenfalls von AEE Intec, richtet sich an die Konsumindustrie mit dem Auftrag von mehr Energieeffizienz und geringeren fossilen CO2-Emissionen. Dazu werden Energieaudits durchgeführt und Trainingsmodule angeboten. Das nächste Modul findet von 27. bis 29. November in Graz statt.
Im Projekt SIC! haben AIT und TU Wien das Ziel, den Betrieb industrieller Anlagen energetisch zu optimieren. Saisonale Speicherung nach dem Sorptionsverfahren ist der Inhalt von Comtes, ebenfalls AEE Intec. Sensible Speichertechnologien auf Basis der Wirbelschicht beziehungsweise Speichertechnologien basierend auf dem Phasenwechsel des Speichermaterials sind weitere Projekte der TU Wien. DryF, Dryficienc, ist ein Projekt des AIT, das sich mit der Nutzung von Abwärmeströmen als Prozesswärme mit bis zu 160 °C beschäftigt.
Neuer Blick in der Praxis
Der zweite Teil des Workshops bot einen Einblick in bestehende Best-Practise-Beispiele rund um die Nutzung von Abwärme. »Jedes Projekt muss mit einer ganzheitlichen Betrachtung des Energiesystems starten«, forderte Horst Steinmüller vom Energieinstitut der Johannes Kepler Universität in Linz. »Bis vor zehn, 15 Jahren waren wir falsch programmiert und haben von Endenergieeffizienz gesprochen. Es braucht aber Primärenergieeffizienz.« Und es braucht Vertrauen zwischen dem Industriebetrieb, dem Technologieanbieter und vor allem dem Investor für den Weg in eine unbeschrittene Zukunft. Einige dieser unbeschrittenen Projekte: Gemeinsam mit dem Zementwerk Hatschek realisiert die Energie AG ein nachhaltiges Fernwärmeprojekt in Gmunden, gearbeitet wird mit einer Leistung durch die beim Produktionsprozess entstehende Abwärme von rund 8 MW.
Die Gösser-Brauerei zeigt auf, wie die Rückstände des Malzes in einer Biogasanlage zur Wärmegewinnung verarbeitet werden und wie Solargroßanlagen in der Brauindustrie integriert werden können – Projekt SolarBrew. Christian Frömmel vom Schnittenproduzenten Josef Manner berichtete von der Umgestaltung im Wiener Werk von der früheren Kälte- und Wärmeversorgung über kleine dezentrale Anlagen bis zur heutigen Zusammenarbeit mit Wien Energie, die die Abwärme von Manner in ein lokales Niedertemperaturnetz einspeist. Im Projekt Brauquartier Puntigam veredelt der Bierproduzent die Abwärme, die bei der Vergärung entsteht, und deckt mit KELAG Abwärme den Wärmebedarf des an den Betrieb angrenzenden Wohnquartiers mit 800 Wohnungen.
Potenziale nutzen
Ungenutzte Abwärmepotenziale müssen aber erst erkannt werden. Dazu bietet unter anderen umwelt service salzburg eine Analyse technisch und wirtschaftlich relevanter Abwärmepotenziale und erarbeitet maßgeschneiderte Lösungsvorschläge. Bis zu 50 % der maximalen Beratungsstunden werden dabei gefördert. Investitionen in die Abwärmenutzung für kontinuierlich betriebene Anlagen rechnen sich je nach Betriebszeiten, Energieinhalten, Temperaturniveau und Nutzungsmöglichkeiten der Abwärme im Durchschnitt in drei bis fünf Jahren. Nicht immer sind dabei Neuanschaffungen notwendig, so können etwa bestehende Dampfkessel einfach mit einem Abgaswärmetauscher nachgerüstet werden. Vor allem kleinere und mittlere Unternehmen haben laut umwelt service salzburg großes Einsparpotenzial, jedoch selten die Zeit, sich umfassend mit dem Thema zu beschäftigen. »Es gibt viele engagierte KMU«, berichtet Sonja Starnberger von der Energieinstitut der Wirtschaft GmbH. Man muss nun Referenzprojekte fördern – als Beweis, dass es funktioniert und als Motivation.
Laut Klaus Frühmann von der KPC betragen die Investitionszuschüsse, die nach Umsetzung der Projekte ausbezahlt werden, 10 bis 30 %. Zahlen aus 2017: 67 Mio. Euro Förderung, 330.000 Tonnen CO2-Reduktion, Steigerung 613 GW/h eingesparte Energie, 518 GW/h zusätzliche erneuerbare Energie. Als gelungenes Förderbeispiel nennt Frühmann die Papierfabrik Gratkorn, die eine ausgekoppelte Wärmemenge von jährlich 150 bis 180 GWh über eine neu errichtete 11-km-Fernwärmetrasse an 40.000 Haushalte liefert.
Dass die höhere externe Nutzung von Abwärme auch im kleinen Volumen funktioniert, beweist die Wildschönauer Backstube mit einer ausgekoppelten Wärmemenge von 341 MWh/a. Die Wärmerückgewinnung der Backöfen dient dem Eigenbedarf. Im Sommer wird die Wärme ins angrenzende Freibad eingespeist. Für eine externe Nutzung thermischer Energie aus industriellen Prozessen braucht es laut Sonja Starnberger längerfristige Töpfe, nicht nur Jahresprogramme. Ein weiterer hilfreicher Weg sei die Bereitstellung von Investitionsförderungen für Nah- und Fernwärmeanschlüsse, hieß es beim Abwärme-Workshop der IV.