Sonntag, Dezember 22, 2024
Nächste Stufe auf der Energieleiter

Ob Stromversorgung, Verkehr, Wärme oder Industrie: Elektrische Energietechnik spielt künftig in allen Sektoren eine zentrale Rolle. Leistbare und sichere Versorgungssysteme zu errichten und zu betreiben wird aber immer schwieriger.

Die 56. Fachtagung der Österreichischen Gesellschaft für Energietechnik (OGE) im Oktober in Wien: Für Professor Christian Rehtanz, Leiter des Instituts für Energiesysteme, Energieeffizienz und Energiewirtschaft der TU Dortmund, wird sich die zukünftige Netztopologie an der zunehmenden Dezentralisierung bei Erzeugung und Speicherung orientieren und einen entsprechenden Netzum- und -ausbau nach sich ziehen. Es braucht mehr Speicher und höhere Flexibilität, eine Stärkung im Energienetz und Innovationen. Zur Steuerung des deutlich komplexer werdenden Stromsystems sind dafür intelligente IKT-Lösungen notwendig, wie sie im Rahmen zahlreicher Smart-Grid-Forschungsprojekte bereits entwickelt und in Pilotprojekten praxiskonform getestet werden.

Laut Kari Kapsch, Präsident Österreichischer Verband für Elektrotechnik (OVE) und COO der Kapsch Group, ist vor allem die Einbindung der Informations- und Kommunikationstechnik erforderlich. »Mit Digitalisierung können heute ganz andere Automatisierungsschritte gesetzt sowie Synergieeffekte zwischen Strom, Wärme, Kälte, Gas und Abfallwirtschaft genützt werden«, betont Kapsch im Rahmen der Fachtagung. Davon betroffen sind aufgrund der räumlichen Konzentration vor allem die gro­ßen Städte. Gelingen kann die Umsetzung nur europaweit.

Christian Rehtanz dazu: »Europa weist die weltweit einmalige Situation eines vernetzten Energiesystems mit harmonisierten technischen Betriebs- und Marktregeln auf, auch wenn einzelne Länder unterschiedliche Umsetzungspfade für die Energiewende wählen.«
Ausgehend von einer deutlichen Zunahme der Stromerzeugung aus PV-Anlagen sind auch Gleichspannungssysteme anzudenken, was zu einer stark zellulären Netzgliederung führen würde. Ein Zukunftsprojekt ist Wasserstoff als alternativer Energieträger. Gemeinsam mit Methan hat er das Potenzial, bestehende Infrastruktur zu nutzen und einen wesentlichen Beitrag zur Energiespeicherung zu leisten. Entsprechende Forschungsprojekte etwa in Hinblick auf einen CO2-freien Hochofenprozess zur Stahlerzeugung laufen bereits.
Eine weitere Herausforderung ist die Steuerung von Leistungsflüssen zur optimalen Netzauslastung im gesamten europäischen System. In Deutschland sind im 7. Energieforschungsrahmenprogramm dazu sogenannte Real-Labore vorgesehen, die es der Wissenschaft ermöglichen, ihre Ergebnisse möglichst direkt in der Praxis umzusetzen. Das könnte entscheidend als Innovationsbeschleuniger dienen.

5 vor 12

»Es braucht zügig einen Realisierungsfahrplan und abgestimmte, praktikable Rahmenbedingungen für alle Stakeholder«, fordert Erwin Raffeiner, Mitglied im Fachverbandsausschuss des FEEI und Geschäftsführer von Sprecher Automation. Dazu zählen breites Bewusstsein und die Zustimmung aller Stakeholder zur kritischen Infrastruktur der elektrischen Energietechnik; eine Attraktivierung der Energiebranche als Arbeitsgeber für junge Menschen und eine höhere Technik-Fokussierung im Bildungssystem, ebenso zielgerichtete, wirksame Förderungen mit nachhaltigem Effekt in Österreich.

Heftig kritisiert Raffeiner die österreichische Förderlandschaft: »In elektrische Energietechnik geht nur 1 % der direkten Förderungen, erforderlich ist massives Umdenken.« Bei öffentlichen Vergaben muss anstelle des derzeit praktizierten versteckten Billigstbieterprinzips ein echtes Bestbieterprinzip mit klar definierten Kriterien für die qualitative Bewertung gesetzlich verankert werden.

Wenn es zudem gelingt, ein technikfreundliches Umfeld in der Ausbildung, in der Forschung wie in der Wirtschaft zu gestalten, das Innovationen ermöglicht und dem ingenieurwissenschaftlichen Nachwuchs entsprechende Zukunftsperspektiven bietet, ergeben sich aus den in der Klima- und Energiestrategie formulierten Zielen laut Kari Kapsch weitreichende Chancen für den Wirtschaftsstandort Österreich.

Laufender Ausbau

Karl Gruber, Geschäftsführer von Wien Energie, weist bei der Tagung auf zahlreiche Projekte hin, die sich bereits in der Pipeline befinden. Der Systemumbau braucht aber Zeit. »Nötig ist eine langfris­tige Planung, denn die Vorlaufzeiten für Wasser- und Windprojekte liegen etwa bei drei bis sieben Jahren.« Der Wiener Energieversorger will in den nächsten fünf Jahren 870 Millionen Euro in Versorgungssicherheit und neue Energielösungen inves­tieren, 100 Millionen Euro allein für Photovoltaik.

Der Übertragungsnetzbetreiber APG plant bis 2030 2,5 Milliarden Euro für den Netzausbau. Investitionen sind für ein sicheres und leistungsfähiges Stromnetz notwendig. Laut E-Control bedarf es im heimischen Stromnetz bis 2020 knapp 9 Mrd. Euro. Darunter fallen wichtige Netzprojekte wie die Salzburgleitung sowie umfangreiche Investitionen auf Verteilernetzebene. »Die 380-kV-Salzburgleitung ist eines der wichtigsten Infrastrukturprojekte der Gegenwart«, stellt Herbert Popelka, OGE-Vorsitzender und Abteilungsleiter Assetmanagement des Übertragungsnetzbetreibers Austrian Power Grid, fest.

Tenor der Tagung ist aber auch: Rund um Energietechnik herrschen noch Verunsicherung und Wissensdefizit in der Bevölkerung. »Ohne das Commitment der Bevölkerung wird die österreichische Klima- und Energiestrategie Mission2030 scheitern«, gibt Erwin Raffeiner zu bedenken.

Regierungsprogramm: Ambitionierte Ziele

Klares Ziel der #mission2030 ist die mittel- und langfristige Dekarbonisierung der gesamten Energieversorgung Österreichs. In einigen Sektoren wie der Stromversorgung ist Österreich laut Herbert Popelka, OGE-Vorsitzender, auf einem sehr guten Weg. Bereits drei Viertel des in Österreichs erzeugten Stroms stammen aus erneuerbaren Energieträgern, Tendenz steigend. Andere Sektoren wie etwa der Verkehr und der Gebäudebereich müssen noch größere Beiträge zur Erreichung der Klimaschutzziele leisten. Der Zielpfad in Österreich bis 2030: 100 % erneuerbarer Strom, dazu fehlen noch 50 TW/h. Die Herausforderung stellt sich unter Berücksichtigung des aktuellen Gesamtverbrauchs von 70 TW/h umso gravierender dar.

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