Die Auseinandersetzung mit unserer Zukunft ist anstrengend. Im Team wird sie zum Kraftakt, der sich aber lohnt.
Wir wissen, dass sich die Welt rasch verändert. Die Hoffnungen, diesen Wandel zu meistern, liegen besonders auf den neuen technischen Möglichkeiten. Schon seit einigen Jahren ist bereits alles mögliche »4.0«: Industrie 4.0, Führung 4.0, Change 4.0 und sogar Controlling 4.0 wurden gesichtet. Hinzu gesellen sich Neologismen oder Wortschöpfungen, die aus bereits bestehenden Schlagwörtern mehr oder weniger kreativ zusammengesetzt werden. Beispielsweise wird für »Lean-Change-Management« Lean-Management in einen Topf mit Change geworfen und ordentlich umgerührt. Berater verkaufen schon länger »agile« als etwas vermeintlich Neues und Entwickler versuchen, einem »Scrum« als die eierlegende Wollmilchsau anzupreisen. All diese Ansätze mögen für sich genommen nicht verkehrt sein, aber sie sind sicher nicht neu und außerdem lösen sie nicht das wichtigste Problem: das Meistern der Herausforderungen der Zukunft. Denn all diese Ansätze beschreiben ein Verharren im Zustand der Gegenwart.
Kann man den Wandel managen?
Um zukunftsfähig zu sein, muss man den Wandel gestalten und meistern. Daher wird häufig von Change Management gesprochen. Dieser Begriff suggeriert jedoch einen gefährlichen Trugschluss, nämlich dass der Wandel gemanagt werden könne. Dies würde bedeuten, dass die erfolgreiche Veränderung implementierbar wäre und genau das wird in vielen Fällen erwartet. Der Ansatz ist verlockend, denn er entbindet die Hauptakteure von ihrer Verantwortung und lässt sich von Beratern leicht verkaufen.
Einen Wandel kann man nur entwickeln, aber sicher niemals managen oder gar implementieren. Keine Frage, das ist mühsam. Die Auseinandersetzung mit unserer Zukunft ist alleine schon anstrengend. Im Team mit verschiedenen Ansichten und Interessen wird sie zum Kraftakt, der sich aber lohnt.
Wie ist Wandel gestaltbar?
Um zukunftsfähig zu sein, muss man letztlich in der Lage sein, kreativ und außerhalb der eigenen Komfortzone und des aktuellen Lösungsraums zu denken. Folgende Fragen können uns dabei helfen:
♦ Was sind die Kundenwerte von heute und morgen? Dabei darf man Kundenwerte nie mit Lösungen und Kundennutzen verwechseln, denn Kundenwerte sind stets etwas Emotionales und Langanhaltendes, während Lösungen sich mitunter schnell ändern und etwas Sachliches darstellen.
♦ Was wird sich in der Gesellschaft verändern und was wird sich nicht verändern?
♦ Wo steht man heute und was sind die Stärken und Schwächen?
Die Kernaspekte
Man kann bei der zukünftigen Ausrichtung falsch liegen, schließlich weiß niemand genau, wie die Zukunft aussehen wird. Aber das ist es, was man als unternehmerisches Risiko bezeichnet. Indem man sich auf Neuerung einlässt, gestaltet man die Zukunft mit.
Abgeleitet von den oben genannten zentralen Fragestellungen und einer echten Vision kann ein Zielzustand für einen entfernten, aber dennoch greifbaren Zeitraum von zirka fünf bis zehn Jahren entwickelt werden (»BlueSky«). Diesem Zielzustand nähert man sich in kleinen Schritten. Wichtig ist, dass man über einen Zustand spricht, beispielsweise über vorhandene Kompetenzen, Abteilungen, Standorte, Regionen sowie deren Rollen und Interaktionen, und nicht über Ergebniserwartungen und Kennzahlen. Kennzahlen sind immer das Ergebnis einer Handlungsweise und dienen zur Überprüfung der Wirksamkeit der Maßnahmen.
Wichtig ist, dass alle Menschen in der Organisation mitgenommen werden. Dazu zählt vor allem die Information durch die Führungskräfte über Vorgehensweise und die Ideen. Meiner Erfahrung nach, sind die Unternehmen am erfolgreichsten, die die Erfahrung und Kreativität ihrer Mitarbeiter in diesen Veränderungsprozess einfließen, anstatt alles durch die Vorgesetzten entscheiden zu lassen.
Sollte es in Ihrer Organisation keine Vision oder keinen BlueSky geben, können Sie diese dennoch mit Ihrem Team für Ihren Bereich entwickeln und nach oben kommunizieren.
Das alles ist nicht neu und erscheint trivial. Doch warum scheitern Veränderungen, besonders wenn sie dauerhaft und nachhaltig sein sollen? Oft spielen die Anreizsysteme eine große Rolle.
Mögliche Anreize
Incentivierungen sind häufig kurzfristiger Natur und der Beurteilungszeitraum reicht nicht über ein bis drei Jahre hinaus. Führungskräfte werden in den meisten Fällen keine langfristigen oder weitreichenden Veränderungen in ihrem Bereich vornehmen, da der dazu nötige Aufwand das Abteilungsergebnis und damit den persönlichen Bonus schmälert. Deshalb ist es notwendig, bei der Erfolgsbeurteilung von langfristigen Veränderungen auf einen Horizont von zehn Jahren und mehr zu blicken.
Außerdem führt der Fokus auf lokale Ergebnisse zur sogenannten Silo-Optimierung. Man versucht die eigene Abteilung oder den eigenen Bereich so gut wie möglich dastehen zu lassen, egal, ob das Gesamtsystem davon profitiert oder nicht.
Wie kann eine Alternative aussehen? Es braucht langfristige und auf das Gesamtsystem ausgerichtete Anreize, wie zum Beispiel Kundenzufriedenheit, langfristige Stabilität im operativen Gewinn des Gesamtsystems oder auch die allumfassende Liefertermintreue. Man spricht dabei von einem holistischen Ansatz.
Führung 1.0
Die Überzeugung für notwendige Veränderungen zu entwickeln bedeutet, Menschen zu entwickeln. Dafür gibt es keine Blaupause und schon gar nicht eine Checkliste. Man kann das Vorgehen mit einer Band vergleichen, die gemeinsam neue Songs erarbeitet. Einer bringt eine Idee mit in den Probenraum, aber letztlich entsteht ein genialer Song nur, wenn man ihn gemeinsam ausprobiert und miteinander spielt. Der Musiker spricht hier von »jammen«. Man weiß vorher nicht genau, was rauskommt. Das Resultat ist stets die Summe der Kreativität aller Beteiligten.
Wie oft sprechen Sie mit Ihren Mitarbeitern und Kollegen abseits vom täglichen Geschäft? Haben Sie Zeit, sich mit neuen Dingen zu beschäftigen oder ist alles auf maximale Effizienz ausgelegt? Wie sieht es mit der Fehlerkultur in Ihrem Unternehmen aus? Wird über die Fehlerursachen oder über den Schuldigen gesprochen?
All diese Punkte werden auch in Zukunft genauso wichtig bleiben, wie sie es heute schon sind. Und vielleicht werden sie sogar noch wichtiger.
Selbstverständlich soll man auf dem Weg der Veränderung auch Methoden und Technologien nutzen. Dazu zählen auch Lösungen rund um IoT und Digitalisierung oder bereits bekannte Ansätze, wie etwa Scrum. Man muss aber dafür sorgen, dass diese nicht zum Selbstzweck werden, sondern dem großen Ganzen dienen.
Das große Ganze ist an den Bedürfnissen von Kunden, Mitarbeitern und Eigentümern ausgerichtet. Gute Führungskräfte zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht nur fachlich etwas verstehen, sondern sie müssen vielmehr sehr gut ausgeprägte soziale Fähigkeiten haben sowie zu ihrer Verantwortung stehen. Nur Unternehmen, die von Führungskräften gelenkt werden, die unternehmerisch denken und handeln, sind zukunftsfähig.
Zur Person
Mario Buchinger ist promovierter Physiker, Querdenker und Visionär. Er wurde unter anderem durch ehemalige Toyota-Manager in Deutschland und Japan zum Kaizen-Trainer und Lean-Experten ausgebildet. Zehn Jahre lang war Mario Buchinger bei Daimler und Bosch tätig. Als Trainer und Coach begleitet er die Organisationen hin zu einer kontinuierlichen Verbesserungskultur in allen Bereichen und auf allen Führungsebenen. Das Unternehmen Buchinger|Kuduz hat Kunden unter anderem in der produzierenden Industrie, Finanz- und Bauwirtschaft, Medien und Lebensmittelindustrie.