Die Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern trägt entscheidend zur Energiewende bei – in Finanz- wie auch in Gestaltungs- und Planungsfragen.
Gerade im Energiebereich sieht Martina Handler, Beteiligungsexpertin der ÖGUT, großen Nutzen durch die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Planung. »Durch die aktive Beschäftigung mit einem Projekt kann tieferes Verständnis und Identifikation entstehen und so auch Akzeptanz. Wesentlich ist aber, dass Gestaltungsspielraum für die Beteiligten besteht und die erarbeiteten Ergebnisse am Ende auch in die Entscheidung einfließen.« Fehlt die Möglichkeit zur Mitsprache, entsteht häufig Widerstand. Auf dem Weg zur Energiewende braucht es neue Wege der Kommunikation und eine neue Qualität der Prozesse: frühzeitige Einbindung der Betroffenen, Transparenz und methodisch neue Wege. Österreich könnte sich in diesem Bereich an Deutschland orientieren, schlägt die ÖGUT-Expertin vor und verweist auf das deutsche Umweltprogramm, an dessen Erstellung landesweit Bürger mit der Methode Bürgerrat beteiligt wurden. Mitgestalten ist eine Methode der Bürgerbeteiligung – geballten Widerstand gegen ein Projekt leisten eine weitere. Ein gutes Beispiel dafür: der Kampf gegen Atommüll-Endlager. Wesentlich ist auch der finanzielle Part, den Bürgerbeteiligung leisten kann.
Bürger-Energie
Bild oben: Wien Energie treibt unter Beteiligung der Bevölkerung den Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur für Elektroautos massiv voran.
Laut Oesterreichs Energie steigt der Strombedarf in Österreich von derzeit rund 72 TWh in den nächsten zwölf Jahren auf rund 88 TWh. Um diesen zu decken, ist der Zubau von Windenergie mit einer installierten Leistung von 5.700 MW, 13.500 MWpeak PV sowie 1.500 MW Wasserkraft erforderlich. Eine große Herausforderung, aber laut Oesterreichs Energie zu schaffen. »Über Bürgerbeteiligungsmodelle wurde bereits ein deutlicher Teil der Energie finanziert«, so Gerhard Bayer, ÖGUT-Finanzexperte. Dazu passt das afrikanische Sprichwort: Wenn viele kleine Leute an vielen kleinen Orten viele kleine Dinge tun, können sie das Gesicht der Welt verändern. Für Energie heißt das: kleine dezentrale Anlagen, viele Eigentümer.
Im Aufschwung
Bild oben: In der Reichenauer Straße in Innsbruck wurde tirolweit die erste gemeinschaftliche PV-Anlage umgesetzt. 133 Solarmodule mit einer Fläche von 223 m² erzeugen rund 38.000 kWh Sonnenstrom. Damit kann etwa ein Fünftel des Durchschnittsverbrauchs der teilnehmenden Haushalte gedeckt werden. 38 von 49 Parteien konnten für die Teilnahme überzeugt werden.
Bürgerprojekte sind zukunftsgerichtet und deshalb im Trend. Laut einer Studie der TU Wien zeigen rund 30 Prozent der Befragten Interesse oder planen eine Beteiligung. Diese finden sich in den Sparten Wind und PV. Besonders aktiv sind Kärnten Solar, Unser Kraftwerk und Wien Energie, Anteile sind in wenigen Stunden vergeben. Clean Capital setzt mit der Initiative »100 Dächer« gemeinsam mit Gemeinden wichtige Schritte in eine unabhängige und lokale Energieerzeugung. Wien Energie hat bereits vor über sechs Jahren in der Stromerzeugung das erste Bürgerkraftwerk in Betrieb genommen. Mittlerweile sind es 32 Anlagen, rund 10.000 Beteiligte haben mehr als 35 Mio investiert, 60.000 MWh Ökostrom wurden erzeugt.
Bild oben: Kleinwasserkraft am Wr. Neustädter Kanal wurde von Unser Kraftwerk als Bürgerbeteiligungsmodell auf der Crowdinvesting-Plattform Crowd4Energy angeboten.
In den kommenden Jahren wird Wien Energie weitere 460 Mio. Euro in erneuerbare Energielösungen investieren. Weniger ausgeprägt sind bundesweit Beteiligungsmodelle bei Wasserkraftwerken. Hier punktet aber Unser Kraftwerk mit Kleinwasserkraft. Im Biomasse-Sektor dominieren Genossenschaften. Für Biogas gibt es in Österreich keine Projekte, allerdings berichtet die ÖGUT von einem in Deutschland, für das noch Investoren gesucht werden: Bioenergiepark München Ost.
Bürger zusammenbringen
Bürgerbeteiligung ist kein klassisches Sparbuch, bietet dafür aber höhere Erträge. Bei einem Projekt der ÖGUT rund um Solarcontainer für Niamé in Afrika locken 7 %. Bei der Umstellung der Straßenbeleuchtung auf LED-Technologie in Dalaas, Vorarlberg, werden die Investoren mit 3,25 % Zinsen belohnt. Ähnlich hoch ist die durchschnittliche Vergütung bei der Beteiligung an PV-Anlagen. In Deutschland befindet sich bereits die Hälfte der erneuerbaren Energieprojekte in Bürgerhand.
Tschechien und die Slowakei sieht Lukas Stühlinger, Vorstand der oekostrom AG, noch mit großem Aufholbedarf. In Österreich ist Bürgerbeteiligung zwar fortgeschritten, es droht aber eine Verschärfung der Rahmenbedingungen. Ab 2019 soll bei der PV nur mehr eine Investitionsförderung ausgeschüttet werden. Der Betreiber ist damit dem Strompreis unterworfen, ein höheres Risiko entsteht.
Gerhard Bayer: »Strompreisschwankungen und die Volatilität bei der Kosteneinsparung zum Beispiel durch Änderungen beim Eigenverbrauchsanteil sind vom Projektanten nicht beeinflussbar.« Je professioneller, umso eher kann dieses Risiko gemanagt werden, etwa durch Diversifizierung und Risikoaufteilung des Portfolios. Kleinere Unternehmen oder Bürgerprojekte können dann Projekte vielleicht nicht mehr umsetzen. Erschwerend ist auch das Fehlen einer Plattform, die alle Bürgermodelle listet: Interessenten müssen intensiv recherchieren und sind oft auf Tipps von Bekannten angewiesen. Bei PV-Gemeinschaftsanlagen gibt es eine Best-Practice-Projektliste: www.pv-gemeinschaft.atn
Finanzierung - die Modelle
Finanzielle Bürgerbeteiligung ist mittlerweile ein normaler Business Case – allerdings besteht noch ein Informationsdefizit über die Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung. Hier eine Übersicht:
♦ Sale-and-Lease-Back: Der künftige Kraftwerksbetreiber verkauft PV-Module. Mit dem eingenommenen Geld wird das Kraftwerk errichtet. Die danach benötigten Module mietet er von den Bürgern zurück und zahlt Miete bzw Zinsen.
♦ Sparbuch
♦ Crowd Funding/Crowd Investing: Durch einzelne Geldgeber werden Geldbeträge gesammelt mit dem Ziel, ein bestimmtes Projekt zu realisieren, z.B. Bestandssanierung von Immobilien.
♦ Kommanditgesellschaft: BürgerInnen zahlen eine Kommanditisteneinlage und sind damit am Gesellschaftsgewinn beteiligt. Es gibt keine fixe Verzinsung.
♦ Gutschein: Gebäude werden z.B. mit PV-Anlagen ausgestattet. KundInnen unterstützen die Maßnahme und erhalten dafür jährlich Einkaufsgutscheine.
♦ Genossenschaft: BürgerInnen, auch Gemeinden, zeichnen Genossenschaftsanteile und verzinste Genossenschaftsanleihen.
♦ Aktien: Namensaktien oder Handel an der Wiener Börse
Hausgemachter Strom
Bild oben: Gemeinschafts-PV-Anlage in der Lavaterstraße.
Wien Energie plant, errichtet und wartet bei Gemeinschafts-PV-Modellen die Photovoltaikanlage, übernimmt die Aufteilung des Stroms auf die einzelnen Parteien und die Abrechnung. Möglich wird das durch die Ökostromnovelle aus dem vergangenen Jahr. Bisher durfte der Sonnenstrom in Wohnhäusern mit mehreren Parteien nur für Gemeinschaftsflächen wie Stiegenhaus oder Liftbetrieb verwendet werden, nicht aber in den Wohnungen selbst. Wien-Energie-Chef Michael Strebl: »Hier orten wir großes Potenzial. In Wien gibt es 70.000 Mehrparteienhäuser, 10 Prozent eignen sich für uns, d.h. das Dach ist ausreichend groß und passend ausgerichtet.« Vera Immitzer von PV Austria ergänzt: »Wohnparteien zu überzeugen ist oft eine Herausforderung. Es entstehen aber bereits die ersten Projekte.« (siehe Lavaterstraße, Wien oder Reichenauer Straße, Innsbruck.)