Der Jahreskongress von Eurelectric, der Interessensvertretung der europäischen E-Wirtschaft, hat den politischen Willen zur Energiewende im Fokus – und damit die Elektrifizierung aller Sektoren. UPDATE: Kristian Ruby, Generalsekretär Eurelectric, über das Clean-Energy-Package und die Folgen des Brexits im Interview.
Anfang Juni standen in Ljubljana jene Themen auf dem Tapet, welche die Energiewirtschaft nicht nur national, sondern in ganz Europa treiben. »All Electric« ist das Schlagwort, das den Weg symbolisiert, auf dem sich die Industrie in Richtung Dekarbonisierung befindet. »Die politischen Zielsetzungen sind nur machbar, wenn wir Mobilität und Raumwärme einbeziehen. Die Elektrifizierung all dieser Sektoren ist zum Kernthema geworden«, erklärt Leonhard Schitter, Präsident der Interessenvertretung Oesterreichs Energie, anlässlich des Jahreskongresses ihrer Dachorganisation Eurelectric in der slowenischen Hauptstadt.
Für den Vorstandssprecher der Salzburg AG und seine Branchenkollegen bricht ein neues Zeitalter an: Energie rückt in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion und wird zu einem gewichtigen politischen Thema. Das gab es in dieser Intensität schon lange nicht mehr, jetzt steht ein Umbau und Ausbau auf europäischer Ebene an. Die EU-Staaten müssen ihre integrierten Klima- und Energiestrategien bis 2019 vorlegen. Der Sektor wird ebenso wie andere Wirtschaftsbereiche von der Digitalisierung und neuem Kundenverhalten durchdrungen.
Bild oben: Francesco Starace, Eurelectric: »Strom aus erneuerbaren Quellen wird in Europa zunehmend in alle Anwendungen gebracht.«
Wasserkraft ist bei dem Eurelectric-Kongress erstmals mit einem eigenen Event vertreten und bekommt damit einen erkennbaren Stellenwert auf europäischer Ebene – was in der Programmgestaltung bei Eurelectric alles andere als selbstverständlich ist. »Für Österreich war die Wasserkraft ja immer schon wesentlich. Wir vergessen manchmal nur, dass dies in Gesamteuropa bislang nicht so gesehen worden ist«, heißt es in der Österreich-Delegation der Branche. Man ist überzeugt, dass die Erzeugung und die Speicherung mit Wasserkraft eine wesentliche Rolle einnehmen wird. »Mit der Klima- und Energiestrategie kann Österreichs E-Wirtschaft ein Role-Model für Europas Energiewende werden«, formuliert dies Schitter.
Energiepolitische Ziele könnten nicht von einzelnen Nationen allein abgedeckt werden. Es braucht eine Zusammenarbeit auf europäischer Ebene.
Grenzüberschreitung in Europa
Für Eurelectric-Präsident Francesco Starace, er ist CEO bei Italiens größtem Stromversorger Enel, hat die Industrie nun die Chance, »Werte auch außerhalb ihrer traditionellen Unternehmensgrenzen« zu schaffen. »Elektrischer Strom wird bei vielen Anwendungen eingesetzt werden, wo Elektrizität in dieser Form heute noch nicht zu finden ist«, spricht Starace den bevorstehenden Wandel auch auf den Straßen an.
Bis 2050, so das Ziel der EU, soll die Wirtschaft CO2-neutral sein, die europäische Energiewirtschaft bekenne sich dazu. Nötig dazu sei aber ein Umdenken in der Förderpolitik in Europa, hin zu längerfristigen Investitionsanreizen und funktionierenden Marktmodellen. Der Enel-Chef weiß, dass in vielen Ländern Europas die Kraftwerksparks, die immer noch mehrheitlich auf Kohle und Kernenergie setzen, zunehmend mit dem Erneuerbaren-Sektor in Konkurrenz stehen. »Die Marktveränderung wird Jahrzehnte dauern – aber sie ist möglich.«
Der Branchenverband untermauert das Dekarbonisierungsziel mit einer Studie, die je nach regulatorischen Rahmenbedingungen unterschiedlich schnelle Routen im Umbau der Energiesysteme, aufzeigt. Im gesamten Energieverbrauch Europas nimmt Strom heute lediglich einen Anteil von 22 % ein. »Das bietet viel Raum für uns«, sagt Starace. Man vertraut der technologischen Entwicklung bei Wirkungsgraden, Effizienzen und auch im Speicherbereich – um auch die Erzeugungsspitzen bei Windkraft und Solar nachhaltig in die Systeme integrieren zu können.
Bild oben: Magnus Hall, Vattenfall: »Benötigen verschiedene Ansätze für die Energiezukunft, wenn wir das Klimaproblem lösen wollen.«
Vor allem der Verkehrssektor steht im Fokus der Dekarbonisierung: Strom macht im Mix der Antriebstechnologien derzeit nur 1 % aus, bis 2050 kann der Anteil auf bis zu 63 % steigen (siehe Grafiken unten). Auch hier geht man von der technologischen Weiterentwicklung bei Batterien, Fahrzeugmodellen und Ladeinfrastruktur aus, ebenso wie von Infrastrukturen, die Leistungsspitzen abfedern und Netzüberschüsse speichern. Das Speicherthema ist so etwas wie das Missing Link in der Evolution einer sauberen Energiezukunft. Solange nicht Zwischenspeicher und auch langfristige Storage-Lösungen zu fixen Komponenten der Energiesysteme werden, so lange fehlt ein Stück des Puzzles. Und wieder kann für die Zukunft eine bessere Wirtschaftlichkeit von Fahrzeug- und Speicherlösungen projiziert werden. Kostet 1 kWh Batteriekapazität heute 209 Dollar, soll dies 2019 auf 150 Dollar sinken, bis 2030 sogar auf 70 Dollar.
Für eine langfristige Speicherung von Energie wiederum forscht und entwickelt etwa Siemens Gamesa an einem Wärmespeicher auf Basalt-Basis. Der Feststoffspeicher enthält gut isoliertes Vulkangestein, das auf bis zu 1.000 Grad erhitzt werden kann und kommerziell auch in GWh-Größen verfügbar werden soll.
Alle Sektoren im Fokus
Der Studie zufolge kann der elektrische Anteil im Gebäudesektor von 34 % auf ebenfalls 63 % steigen, in der Industrie könnte die direkte elektrische Nutzung von 33 % auf zumindest 50 % anwachsen. Die CO2-freie Stahlherstellung ist eines der Anwendungsbeispiele dazu. Ebenso wie der Verbund, voest und Siemens arbeitet auch der Energieversorger Vattenfall an der grünen Sauerstoffreduktion auf Wasserstoffbasis – eine 200-Millionen-Euro schwere Pilotanlage in Schweden.
Eine andere Richtung verfolgt man mit elektrifizierten Anlagen zur Biosprit-Herstellung. Nachwachsenden Rohstoff gibt es in den Ländern Skandinaviens genug. »Für den Schwerverkehr auf den Straßen wird es Brückentechnologien geben müssen, bis auch dieser vollelektrisch fahren kann«, ist Magnus Hall, Präsident und CEO von Vattenfall, der auch im Eurelectric-Vorstand sitzt, überzeugt. Auch die chemische Industrie kann künftig auf Verfahren etwa zur Methanolerzeugung oder für die Kunststoffproduktion setzen, die mit Erneuerbaren gespeist werden. »Beim Thema Elektrifizierung tun sich viele Dinge auf, die nicht nur mit Klimaschutz zu tun haben«, weiß Hall.
Wärmepumpen wiederum im Gebäudebereich werden Gas als primäre Wärmequelle ablösen. Hier sind auch noch die größten Unterschiede in den EU-Ländern zu finden: In den nordischen Ländern oder auch teilweise in Frankreich wird Erdwärme bereits breit genutzt. Andere wie UK, Deutschland oder Niederlande, die stark auf Erdgas setzen, können ihren Fußabdruck noch gehörig verkleinern.
Ausbau in Österreich
Die integrierte Klima- und Energiestrategie der Bundesregierung sieht vor, dass Österreich seinen Strombedarf 2030 im Jahresschnitt bilanziell (Import und Export werden ausgeglichen) zu 100 % mit Strom aus erneuerbaren Energien decken kann. »Unser Strombedarf wird von derzeit rund 72 Milliarden Kilowattstunden in den nächsten zwölf Jahren auf rund 88 TWh steigen. Das bedeutet eine Steigerung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien bis 2030 um 35 TWh«, sagt Leonhard Schitter. Um das zu erreichen ist der Zubau von Windenergie mit einer installierten Leistung von 5700 MW und von Photovoltaik mit einer installierten Leistung von 13.500 MWpeak sowie 1500 MW Wasserkraft erforderlich.
Bild oben: Leonard Schitter, Oesterreichs Energie: »Wenn wir die Ziele wollen, dann muss man uns schon die Möglichkeit geben, zu bauen.«
»Eigentlich hat Österreich eine Supervoraussetzung: Wir haben die Infrastruktur und die Leitungen, die wir zusätzlich für den Speicherbedarf heranziehen können. Auch mit Green Gas schaffe ich eine optimale Nutzung der Speicher in Richtung Klimaneutralität«, meint der Branchensprecher. Die heimische Energiewirtschaft könnte damit zu einem »Frontrunner« eines klimaneutralen Sektors werden.
Was müsste sich dazu hinsichtlich Rahmenbedingungen tun? Die heimische Energiewirtschaft fordert leistbaren Ausbau der Infrastruktur, Ausbau der Speicherkapazitäten und die Verfahrensvereinfachung. »Wenn wir die Ziele wollen, dann muss man uns schon die Möglichkeit geben, zu bauen«, verweist Schitter auf Zeiträume von 66 Monaten Verfahrensdauer in lediglich der ersten Instanz (Kaunertal) oder 23 Monaten bei der ersten Instanz 380-kV-Salzburg-Leitung. Man fordert eine Verfahrensbeschleunigung im UVP sowie im allgemeinen Verwaltungsgesetz. Diese bedeute nicht, Interessen Dritter einschränken zu wollen, sondern wichtige Projekte effizienter abzuschließen. Ein Vorschlag ist, die UVP als »einfaches« Verfahren zu führen. Dazu wäre auch die Schaffung eines österreichweiten Gutachter-Pools hilfreich, um die Verfügbarkeit dieser Experten zu erhöhen. Die Branche würde auch zur Finanzierung einer solchen Plattform betragen wollen, verrät Schitter.
Stichwort Energieeffizienz-Gesetz: Die Energiewirtschaft ist naturgemäß nicht glücklich mit der Verpflichtung der jährlichen Einsparungen von 0,6 %. Energieeffizienz sei vielmehr ein Verbrauchsthema, heißt es, »man muss dem Kunden verdeutlichen, warum wir 100 % Erneuerbare brauchen«. Es müssten Anreize auch für die Endverbraucher geschaffen werden, um sparsam mit Energie umzugehen. Ob das deutsche Modell der Freiwilligenverpflichtung oder andere Formate – prinzipiell wünscht man sich: Weg mit der Lieferantenverpflichtung. Sie sei ein bürokratischer Aufwand, der nicht den gewünschten Nutzen bringt.