Mittwoch, Juli 03, 2024
"Wir sprechen die Sprache der Gebäude"

Offenheit für Wohlbefinden, Hörpunkte und den Daten­ozean: Josef Stadlinger, Leiter der Siemens-Division Building Technologies, spricht über Trends und Maßnahmen in der Gebäudetechnik.

Report: Wie groß ist das Geschäft mit Building Technologies bei Siemens? Was ist hier Ihr Fokus?

Josef Stadlinger: Wir verantworten von Wien aus die CEE Länder und Russland und die Türkei mit rund eine halbe Milliarde Euro Umsatz jährlich.
Wir wollen nicht bestimmte Produkte verkaufen, sondern eine jeweils optimale Lösung für die Anwendung bei den Unternehmen bieten, ganz unserem Motto »Creating Perfect Places« entsprechend. Das bedeutet optimalen Komfort, Sicherheit und Effizienz für unsere Kunden.

Um das zu erreichen, verarbeiten wir beispielsweise in unserem »Advanced Service Center« Daten von 7.000 Gebäuden in Österreich und den umgrenzenden Ländern. Global führt Siemens das Monitoring von insgesamt rund 70.000 Gebäuden durch. Aus der Analyse dieser Daten leiten wir dann verschiedenste Effizienzmaßnahmen für unsere Kunden ab. Technologie ist dabei nur das Mittel zum Zweck.

Report: Können Sie mit Ihren Lösungen an die gängigen Bus- und Steuerungssysteme andocken?

Stadlinger: Ich traue mich zu behaupten, dass wir 99 % aller Standards weltweit erfüllen können. Wir kennen alle Schnittstellen und erfüllen die Zertifikate, welche zum Beispiel in Österreich, Europa, in den USA oder in China erforderlich sind. Das gehört für mich einfach dazu, wenn man ein global operierendes Unternehmen ist. Und wenn es eine lokal notwendige Anpassung braucht, wird sie von uns durchgeführt. Wir sprechen die Sprache der Gebäude – wenn man die Daten, die Gebäude produzieren, als Sprache bezeichnen möchte.

Report: Was spricht denn ein Gebäude?

Stadlinger: Es spricht davon, wie es ihm in Bezug auf den Energieverbrauch und seine Haustechnik geht – und wie es sich unter der Belastung seiner Nutzer fühlt. Eine neuere Entwicklung dazu ist auch die Einbindung von Feedback der Nutzer. Wichtig hier ist auch die engere Vernetzung mit dem Betreiber eines Gebäudes. Dieser kann gleichzeitig auch die Nutzerrolle innehaben, oft ist es aber getrennt.

Report: Genau dieser Unterschied ist oft die größte Herausforderung für den Betrieb?

Stadlinger: Wenn der Betreiber davon überzeugt ist, dass 20,5 Grad Celsius und 35 % Luftfeuchtigkeit optimal sind, die Benutzer aber – die sich ja in den Räumen wohlfühlen sollen – sich 21,5 Grad und 45 % wünschen, kann ein ganzes System aus dem Tritt kommen. Es gibt dazu ein Zitat von Winston Churchill, das sehr viel über die Philosophie dahinter aussagt: »We shape our buildings – thereafter they shape us.« Es nützt nichts, wenn ich zwar den Betrieb eines Gebäudes mit integrierter Gebäudetechnik optimal plane, sich ein geändertes Nutzerverhalten dann aber negativ auf die Produktivität niederschlägt. Es macht einfach einen großen Unterschied, ob es sich hier um ein Schulgebäude, einen Bürobetrieb, eine Bankfiliale, ein Krankenhauses oder einen Flughafen handelt. Siemens kann auf einen riesigen Datenschatz und jahrzehntelange Erfahrung zurückgreifen. Dieser wird durch laufende Analysen und Optimierungen des Betriebs der Gebäude täglich größer. Hier können wir jegliche Lösungen einbinden, auch Systeme anderer Hersteller.

Report: Die Integration unterschiedlicher Technologien ist im vollen Umfang mit allen Parametern möglich?

Stadlinger: Wir können die wesentlichen Parameter einbinden. Es wäre ja auch falsch, etwa auf ein Zutrittskontrollsystem uneingeschränkt zugreifen zu können, wenn dies der Betreiber aus Sicherheitsgründen nicht zulassen möchte. Die Information aber darüber, dass der Server des Zutrittssystems plötzlich langsamer wird oder von sechs Drehkreuzen drei blockiert sind – das sind Daten, die sehr wohl übermittelt werden. Dies geht bis zu Informationen zu einem Zeitpunkt noch bevor ein Servicefall eintritt – etwa weil einzelne Lager Wärme entwickeln und die Drehgeschwindigkeit reduzieren. So kann das passende Ersatzteil früh genug bestellt und ein Techniker rechtzeitig geschickt werden, noch bevor etwas ausfällt. Durch die Kenntnis des Nutzerprofils des Gebäudes kann ich dann auch die Servicearbeit für einen Zeitpunkt planen, an dem es zu keinen Störungen des Betriebs kommt.

Report: Könnten Sie ein Beispiel für verändertes Nutzungsverhalten nennen, auf das der Betrieb eines Gebäudes angepasst werden sollte?

Stadlinger: Wir hatten bei einem Kunden festgestellt, dass täglich um 20 Uhr ein Energieverbraucher im Keller des Gebäudes für zweieinhalb Stunden hochgefahren wurde. Bei einer Analyse vor Ort wurde eine Heizungspumpe ausgemacht, die regelmäßig eingeschaltet wurde. Grund dafür war eine Abendveranstaltung vor einem Jahr, für die diese Einstellung benötigt wurde – nur hatte das niemand wieder abgedreht.

Bei Filtern von Lüftungsanlagen wiederum muss mittels Sensorik der entsprechende Druck vorher und nachher sowie unter Umständen auch die Stromaufnahme des Ventilators vor dem Filter überwacht werden. Es ist vielleicht ein triviales Beispiel, aber auch die Luftqualität in einem Gebäude bestimmt natürlich das Wohlbefinden der Nutzer.

Mit moderner Technik muss kein Techniker extra hinfahren und ein Gerät überprüfen, um dann erst einmal ein Ersatzteil zu bestellen. Wenn man es richtig macht, kann eine Menge Zeit und Geld gespart werden. Es gilt, aus einem regelrechten Datenozean gewisse Regelmäßigkeiten herauszuziehen und nutzbringend zu verwerten.

Report: Neuere Geräte haben diese Möglichkeit der Vernetzung und Datenkommunikation bereits integriert. Wie aber sieht es mit dem Nachrüsten eines Anlagenbestands aus? Zahlt sich das aus?

Stadlinger: Auf jeden Fall, und das Nachrüsten kosten oft nicht viel. Die meisten dieser Hörpunkte lassen sich heute in einer Kombination eines lokalen Netzwerks – Feldtechnik wird auf eine Automatisierungsebene gehoben und etwa mit WLAN erschlossen – mit einer IoT-Lösung verbinden. Bei einem mittelgroßen Gebäude reden wir da von 5.000 bis 10.000 Euro Aufwand. Das ist wenig in der Relation zu einem effizienteren Betrieb.

Report: Warum ist nicht automatisch modernste Technik im Neubau zu finden?

Stadlinger: Das hängt leider vom Geschäftsmodell des Immobilienbetreibers ab – etwa dann, wenn ein Gebäude schnell und billig errichtet, das Thema Betriebskosten aber an die Mieter ausgelagert wird. Dabei sollten in einem Lifecycle-Modell eines Gebäudes ganzheitlich die Gesamtkosten betrachtet werden – in der Planungs-, Ausführungs-, Betriebs- und Modernisierungsphase – im Schnitt ist das ein Zeitraum von 25 Jahren.

20 % der Lifecycle-Kosten betreffen üblicherweise die Planung und Errichtung. Die restlichen 80 % sind Betriebskosten, davon machen gut 40 % den Aufwand für Energie aus. Wenn Sie von diesen 80 % nur ein Zehntel einsparen könnten – das ist ein unterer Grenzwert, der mit Effizienzmaßnahmen in der Praxis sehr leicht erreicht wird –, ist dies gleichbedeutend mit fast der Hälfte der Errichtungskosten. Umgekehrt könnte in den Betriebskosten wesentlich mehr eingespart werden, wenn für die Technik bereits bei der Errichtung mehr getan wird.

Ein Teil der von uns betreuten Gebäude wird in einem »Performance Contracting« serviciert. Hier wird mit dem Kunden ein Vertrag nach einem Bonus-Malus-Modell abgeschlossen. Übertreffen wir die angepeilten Einsparungen, bekommen wir einen Bonus. Werden die Ziele nicht erreicht, ist ein Malus fällig. In den letzten zwei Jahren haben wir keinen einzigen Malus gezahlt – und fast immer einen Bonus bekommen. Mit Gebäudetechnik und den entsprechenden Datenanalysen lassen sich unserer Erfahrung nach nicht nur 10 %,  sondern nachweislich 20 bis 25 % Einsparungen über mehrere Jahre erzielen.

Report: Welche Trends machen Sie im Bereich Gebäudetechnik aus?

Stadlinger: Wir sehen immer mehr Nutzer, die in ein grünes Gebäude einziehen wollen, weniger für Energie ausgeben und ihren CO2-Abdruck gering halten wollen. Weiters werden im Zuge von Smart Buildings und auch des Smart Grid vernetzte Systeme forciert, inklusive eigener Energiegewinnung mit beispielsweise einer PV-Anlage am Dach und künftig auch lokalen Energiespeichern. Automatisierte Gebäudetechnik könnte in Zukunft dann selbstständig auf Basis von Wettervorhersagen und Temperaturprognosen Heizung und Klimasysteme vorausblickend regeln – zum jeweils bestmöglichen Ergebnis für die Nutzer und Energierechnung.

Dazu wächst der Bereich der Daten­analyse sehr stark. Wir suchen derzeit mehr Fachkräfte, als der Arbeitsmarkt hergibt – Data Engineers, Data Analysts, aber auch Programmierer für Gebäudetechnik.

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