Montag, Dezember 30, 2024

Voraussichtlich muss die Europäische Union in den kommenden Jahrzehnten erheblich mehr Erdgas importieren als bisher. Und die Zahl der verlässlichen Lieferanten ist überschaubar, hieß es bei der European Gas Conference in Wien. Von Klaus Fischer

Sie war auch heuer wieder ein Stelldichein der internationalen Erdgasbranche: die European Gas Conference, die Ende Jänner im Imperial Riding School Renaissance Vienna Hotel stattfand. Und wieder ging es um große Pläne und Visionen, aber auch um Befürchtungen und enttäuschte Hoffnungen im Zusammenhang mit jenen Themen, die die Branche seit jeher bewegen: die Sicherheit der Versorgung, aber auch die Sicherheit der Nachfrage.

Das dominierende Thema hinsichtlich neuer Infrastrukturprojekte war, wenig überraschend, die Nord Stream 2, jenes Vorhaben, mit dem der russländische Gaskonzern Gazprom die Kapazität der seit 2012 bestehenden Nord Stream 1 bis Ende 2019 auf 110 Milliarden Kubikmeter pro Jahr (bcm/a) verdoppeln will. Unverzichtbar sei die Pipeline angesichts der sinkenden Eigenproduktion von Erdgas in der EU und des damit steigenden Importbedarfs, betonten der Vorsitzende des Board of Directors von Gazprom, Viktor Zubkov, und der stellvertretende Vorsitzende des Management Comittee, Alexander Medvedev, unisiono.

„Manche sehen Erdgas als Waffe. Für uns dagegen ist Europa der wichtigste Absatzmarkt“, betonte Zubkov, und verwies auf die Versorgungsverträge, die langfristige Geltung haben und gleichzeitig flexibel genug sind, um die Lieferungen jederzeit dem Bedarf anzupassen. Schon die Nord Stream 1 habe die europäischen Steuerzahler keinen einzigen Rubel, pardon, natürlich Euro, gekostet, und bei der Nord Stream 2 werde das nicht anders sein. Gazprom könne die Belieferung Europas mit Erdgas auf lange Sicht zuverlässig bewerkstelligen, und dabei spiele die geplante Pipeline eine maßgebliche Rolle: „Es wäre schade, wenn wir Gas über weniger verlässliche Routen transportieren müssten.“ Was wohl als Wink mit dem Obelisken hinsichtlich der ständigen Querelen mit der Ukraine, und, was die jüngste Zeit betrifft, wieder einmal mit dem weißrussischen Autokraten Alexander Lukashenko zu verstehen ist. Und Zubkov fügte hinzu: Keinem der Anwesenden seien die volatilen Öl- sowie Gaspreise der vergangenen Jahre entgangen. Folglich liege es nahe, einen „partnerschaftlichen Zugang“ zu wählen. Das langfristige gemeinsame Interesse sowohl der Versorger als auch ihrer Kunden bestehe in stabilen Preisen, mit denen alle verlässlich kalkulieren könnten.

Logistik und Ökonomie
Medvedev verwies auf die Rekordmenge von rund 180 bcm, die Gazprom 2016 an Westeuropa lieferte: „Unsere Partner in der Europäischen Union können Gas von einer Vielzahl von Versorgern kaufen. Aber sie nehmen unseres, offenbar, weil es am wettbewerbsfähigsten ist.“ Bis 2030 werde der Gas-Importbedarf der EU um etwa 90 bcm ansteigen. Und die Hoffnung, diesen durch die Einfuhr verflüssigten Erdgases (Liquefied Natural Gas, LNG) zu decken, habe sich bisher noch nicht so wirklich erfüllt. Zurzeit seien die Terminals nur zu etwa 20 bis 30 Prozent ausgelastet, eine Änderung zeichne sich nicht ab. Denn so wirklich billig seien auch die bisher erfolgten wenigen Lieferungen aus den USA nicht gewesen. Gazprom dagegen könne „liefern, was immer die EU will. Wir haben ein dichtes Pipeline-Netzwerk und flexible Verträge mit attraktiven Preisen“. Dringend notwendig sind laut Medvedev nun allerdings politische Festlegungen, um den geplanten Infrastrukturausbau durchführen zu können. Gazprom jedenfalls sei mit der Nord Stream 2 ebenso im Zeitplan wie mit der Turkish Stream zur noch besseren Versorgung der Türkei. Mit der Nord Stream 2 wolle Gazprom die Ukraine im Übrigen keinesfalls aus dem Transitgeschäft dängen. Aber die Kunden hätten nun einmal den Wunsch nach einer direkten Verbindung mit den westsibirischen Gasfeldern. Kurz und gut: Russländisches Gas biete seine logistischen und wirtschaftlichen Vorteile und komme als klimafreundlichster fossiler Energieträger überdies auch dem Wunsch der EU nach Stromproduktion mit möglichst geringen CO2-Emissionen entgegen. Schon seit 50 Jahren fließe russländisches Gas nach Europa, die zuständigen Stellen seien „immer zufrieden mit dem europäischen Markt gewesen“.
 
Und Medvedev fügte hinzu: Auch die projektierten Pipelines Nord Stream 2 und Turkish Stream würden nicht ausreichen, um den gesamten künftigen Importbedarf Europas zu decken: „Daher ist es durchaus ein Thema für uns, Gas über die Trans-Adriatische Pipeline TAP und eventuell auch über die IGI Poseidon zu liefern“, mit anderen Worten, über den berühmten „Südkorridor“ der EU.

Strategie mit Fragezeichen
Ja, der Südkorridor, die wichtigste Pipeline-Route zur Erschließung neuer Gasquellen, vorerst im Kaspikum, mittelfristig vielleicht im zentralasiatischen Raum, und längerfristig, wer weiß, im Irak und im Iran: Vor fast zehn Jahren offiziell angekündigt, soll er nun endlich Wirklichkeit werden. Tagtäglich baue ihr Unternehmen an der TAP, verlege Kilometer um Kilometer, und ab 2020 werde Gas aus dem aserbaidschanischen Offshore-Feld Shah Deniz nach Europa fließen, versicherte Ulrike Andres, Commercial and External Affairs Director der Betreibergesellschaft. Und sie fügte hinzu: „Die TAP ist ein strategisches Projekt für die Versorgung Europas. Wir bringen Erdgas aus Aserbaidschan nach Italien und können von dort aus den gesamten europäischen Markt bedienen.“ Eine Ankündigung, die vielleicht etwas kühn klingt, angesichts der Tatsache, dass die TAP im geplanten Endausbau nicht mehr als 20 bcm Jahreskapazität aufweist, nicht einmal die Hälfte der 55 bcm, die die Nord Stream 2 brächte. Außerdem ist da noch eine Kleinigkeit: Die TAP beginnt im Osten an der türkisch-griechischen Grenze, die Verbindung mit Aserbaidschan erfolgt über die Trans Anatolian Pipeline (TANAP) durch das Reich Recep Tayyip Erdoğans. Und von den aus dem Projekt Shah Deniz 2 insgesamt zur Verfügung stehenden etwa 16 bcm/a hat die Türkei immerhin sechs für sich reserviert. Daran ändert auch nichts, dass die TANAP zu Jahresende 2016 zur Hälfte fertiggestellt wurde.

Auch auf US-amerikanisches LNG sollte die EU nicht allzu sehr bauen, konstatierte Christos Papadopoulos, Europa-Direktor des Beratungsunternehmens Energy Exemplar, das Software zur Modellierung von Energiemärkten entwickelt. Im Jahr 2016 seien gerade einmal drei von 18 LNG-Ausfuhren aus den USA nach Europa gegangen, davon eine in die Türkei und zwei nach Spanien, das als weitgehend isolierter Gasmarkt vergleichsweise hohe Preise aufweist. Und wegen der attraktiveren Gaspreise in Asien verkauften US-Unternehmen ihr LNG lieber dorthin als in die EU.

Nicht selbstverständlich
Der fürs Gasgeschäft zuständige OMV-Vorstand Manfred Leitner warnte deshalb: Versorgungssicherheit werde vielfach als selbstverständlich betrachtet. Aber die europäische Gasförderung gehe zurück. Deshalb werde die EU in den kommenden Jahren erheblich mehr Gas importieren müssen. Und wenn das schon der Fall sei, biete sich an, mit verlässlichen Lieferanten und bewährten Partnern zusammenzuarbeiten - mit der Russländischen Föderation zum Beispiel.

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