Michael Strebl ist neuer Vorsitzender der Geschäftsführung bei Wien Energie. Der Salzburger setzt voll auf Digitalisierung und einen Ausbau des Produktportfolios des Energieversorgers.
Report: Herr Strebl, Sie treten als neuer Vorsitzender bei Wien Energie an. Was haben Sie sich für Ihre Aufgabe in Wien vorgenommen?
Michael Strebl: Wien ist der spannendste Markt in Österreich, das taugt mir. Es gibt ein enormes Wachstum – in den letzten Jahren ist eine Bevölkerungszahl so groß wie Graz hinzugekommen, in den nächsten Jahren wird die Stadt um die Größe von Linz wachsen. Wir haben hier einen sehr dynamischen Markt mit einer starken Wirtschaftsentwicklung. Dass es in Wien auch mehr Wettbewerb gibt, das sagt mir auch zu. Wenn ich in dieser Phase nun den größten Energiedienstleister Österreichs führen darf und diesen auf eine veränderte Welt der Energiewirtschaft vorbereiten kann, ist das eine großartige Herausforderung. Dazu wollen wir aber noch innovativer werden.
Report: Bei den niedrigen Strompreisen und all den Marktverwerfungen derzeit steckt in Wien noch viel Veränderungspotenzial – gerade hinsichtlich erneuerbarer Stromerzeugung.
Strebl: Potenzial in Richtung Erneuerbarer ist da, da geht es ja allen Unternehmen gleich. Die Ziele in Wien sind unverändert, in den kommenden fünf Jahren 460 Millionen Euro in die Erneuerbaren zu investieren. Ein Megatrend, mit dem wir uns beschäftigen müssen, ist allerdings auch die Digitalisierung. Mein Ziel ist, diesen Trend für unsere Kunden und natürlich auch für das Unternehmen zu nutzen. Hier gibt es vielfältigste Möglichkeiten.
Report: Was bedeutet die Digitalisierung für die Energiebranche?
Strebl: Zum einen bedeutet es enorm viele Chancen in den Bereichen Erzeugung und Netze. Hier ist schon in der Vergangenheit bereits viel digitalisiert und automatisiert worden. Wichtig wäre nun auch eine weitere Digitalisierung zu den Kunden hin. Gerade die technischen Entwicklungen bieten viele Möglichkeiten für Unternehmen, mit ihren Services näher an die Kunden zu rücken. Mit mehr Kundeninformationen können wir noch bessere Angebote entwickeln.
Report: Sie haben in Salzburg Pilotprojekte im Bereich Smart Grid und Gebäudevernetzung geleitet. Was waren die Erkenntnisse daraus auf Kundenseite? Wie werden Services der Energieversorger künftig aussehen können?
Strebl: Zuerst müssen wir uns von dem traditionellen Kundenbild trennen. Es gibt auch in Wien zwei Millionen Individuen mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Erwartungen an ihren Energieversorger. Für uns geht es darum, das Leben unserer Kunden in ganz unterschiedlichen Situationen leichter zu machen. Es wird natürlich weiterhin jene Kundengruppen geben, die sich nicht um Energiefragen kümmern und einfach einen fairen Preis wollen. Es wird aber auch neue Gruppen geben: Ihnen ist wichtig, woher der Strom kommt und wie eine CO2-Bilanz dazu aussieht. Und es wird Kunden geben, die als Prosumer auch Strom selbst erzeugen wollen. Es werden sicherlich nicht jene drei Viertel unseres Kundenstamms in Wien, die sich dafür interessieren, hier geschlossen in Aktivitäten involviert sein. Wir müssen aber den Glauben aufgeben, mit einem einzigen maßgeschneiderten Angebot den größten Teil unserer Kunden zufriedenstellen zu können. Ich möchte die Kunden mit neuen Angeboten positiv überraschen.
Report: Was kann man sich darunter vorstellen – wird es in Richtung variabler Strompreise gehen?
Strebl: Es wird den Begriff des Kunden – pauschal Haushaltskunde, Gewerbekunde oder Industriekunde – nicht mehr geben. Wir werden unterschiedliche Kundengruppen und Kundenbilder adressieren. Darunter wird es sicherlich Gruppen geben, die sich zeitbasierte variable Strompreise wünschen. Sie werden einen fixen Baustein unseres Angebots bilden. Es geht aber auch in völlig andere Richtungen.
Vor einigen Jahren habe ich eine Zeitlang im Silicon Valley gearbeitet und bin damals mit dem Digitalisierungsthema in der Energiewirtschaft in Berührung gekommen. Ein Netzbetreiber in der Gegend von San José hatte einen Ausfall einer Trafostation. Das Unternehmen stellte sofort Informationen dazu ins Internet – dass nun ein Leistungsschalter getauscht werden müsse und diese Arbeit voraussichtlich zwei Stunden dauern wird. Ein Energieversorger könnte nun mit einem Service gegenüber seinen Kunden hier weitergehen, in dem etwa SMS an alle Betroffenen in einer Region geschickt werden. Noch besser wird es, wenn mit Zustimmung der Restaurants, die ebenfalls von dem Stromausfall betroffen sind, Kunden, die über Onlinereservierungen Tische bestellt haben, ebenfalls automatisch verständigt werden – vielleicht sogar mit dem Hinweis auf freie Tische in anderen Lokalen desselben Betreibers. Das sind für mich die Chancen der Digitalisierung, so etwas bietet einen Mehrwert.
Report: Sie sprechen von einer größeren Transparenz in den Geschäftsprozessen und Vorgängen in den Netzen.
Strebl: Es geht um mehr Informationen zu den Kunden hin – es müssen aber schon sinnvolle, brauchbare Informationen sein. Wenn mir mein Kühlschrank mitteilt, dass er heute 3,8 kW/h verbraucht hat, habe ich davon wenig. Wir wollen die Kunden mit Produkten überraschen, die sie von einem Energieversorger wie Wien Energie niemals erwartet hätten. Dies kann auch in den Bereich von Smart-Home-Lösungen gehen.
Report: In welchem Zeitraum soll es diese neuen Services geben?
Strebl: Wir sind dazu in einem Prozess. Vernetzte Systeme wie jenes im Silicon Valley sind die Zukunft. Sie sind eine Vision, die wir realisieren wollen. Dazu müssen aber auch die Voraussetzungen geschaffen werden. Es gibt dieses schöne chinesische Sprichwort: Auch der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt. Für mich heißt das: Die Digitalisierung ist ein langer Prozess, also sollten wir sofort damit anfangen. Im Smart-Home-Bereich wollen wir jedenfalls noch im Herbst eine Lösung vorstellen, welche Speicheranlagen im Keller und Photovoltaik am Dach in einem systemischen Ansatz intelligent verknüpft und nach Bedarf steuert. Viel mehr will ich dazu aber noch nicht verraten.
Report: Bei einem gleichzeitige verordneten Personalabbau bei Wien Energie ist dies eine große Herausforderung.
Strebl: Jeder Veränderungsprozess ist eine Herausforderung. Wenn sich der Markt rund um uns verändert, müssen auch wir als Unternehmen uns verändern. Das ist ein ganz normaler Verlauf in der Wirtschaft. Die Digitalisierung hat schon viele Bereiche massiv verändert – da stehen wir im Energiebereich erst am Anfang.
Zur Person Michael Strebl, 51, übernimmt mit 1. Oktober die Nachfolge des langjährigen Geschäftsführers von Wien Energie, Thomas Irschik, und damit die Geschäftsbereiche Vertrieb, Energiedienstleistungen, Kommunikation und Marketing, Public Affairs, Telekommunikation sowie den Vorsitz in der Geschäftsführung. Der Energieexperte Strebl war über 20 Jahre in verschiedenen Funktionen bei der Salzburg AG tätig, zuletzt als Geschäftsführer der Salzburg Netz GmbH. Der gebürtige Salzburger ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. |