Das Konzept der intelligenten Stadt hat eine nachhaltige Entwicklung zum Ziel, die sich nach den Bedürfnissen von Menschen, Unternehmen und Umwelt richtet. Das Vorzeigeprojekt EUREF-Campus in Berlin zeigt, wie es funktionieren könnte.
Ein Industrie- und Energiestandort mit einer langen Geschichte, der Berliner Gasometer im Ortsteil Schöneberg, wird in den kommenden Jahren schrittweise zu einem modernen Büro- und Wissenschaftscampus entwickelt. Auf dem Campus »Europäisches Energie-Forum (EUREF)« werden bis zu 25 Gebäude mit rund 165.000 m² Geschoßfläche für Büros, Ausstellungs-, Veranstaltungs- und Wohnraum zu einem Stadtquartier geformt, das nachhaltiges Wirtschaften auch inmitten einer Großstadt ermöglicht. Rund 30.000 m² Geschoßfläche sind bereits entwickelt. Auf dem Campus werden denkmalgeschützte Gebäude und architektonisch ansprechende Neubauten in besonderer Weise verknüpft werden.
Den Anfang des Baus des neuen Stadtteils machte das Bürogebäude »EUREF-Campus 12-13« mit einer Größe von rund 12.900 m².
Es ist das erstes LEED-Platin-zertifizierte Objekt in Berlin und bereits vollständig vermietet. »Leadership in Energy and Environmental Design«, kurz LEED, ist ein Green-Building-Ratingsystem zur freiwilligen Zertifizierung, das nachhaltige Bauprojekte stärken und fördern soll. Das Gebäude spielt, bis zum Dach mit modernster Gebäudetechnik ausgestattet, eine zentrale Rolle in dem Streben nach einem lokalen, eigenständigen Energienetz. Der Campus gilt als Impulsgeber für die Energiewende. Aktuell entstehen rund 20.000 m² Geschoßfläche in zwei weiteren Neubauten.
Igor Glaser, Schneider Electric: » Wenn wir das Energiedilemma lösen wollen, dann müssen wir bei den Gebäuden ansetzen.« |
Igor Glaser, Geschäftsführer von Schneider Electric in Österreich, spricht bei einem Lokalaugenschein am Campus von den enormen Herausforderungen für Stadtentwicklungen weltweit. Für Glaser sind Urbanisierung und Digitalisierung jene Faktoren, die den Energiehunger und die demografische Entwicklungen in den kommenden Jahren prägen werden. Bis 2050 werden die Stadtbevölkerungen um weitere 2,5 Mrd. Menschen wachsen, bis 2020 wird es 50 Mrd. vernetzte Geräte geben und der Energieverbrauch wird in den nächsten 35 Jahren ebenfalls um die Hälfte zunehmen. Um trotzdem der Klimaauswirkungen Herr zu werden, sei unterm Strich »eine viermal größere Energieeffizienz nötig«, meint er.
Das Engagement des Herstellers am Campus umfasst das Managen der Energielasten im Micro-Smart-Grid, intelligente Mobilitätsstationen für das Laden von Elektrofahrzeugen und etliche andere Forschungsbereiche. Zentral für Schneider Electric ist ebenfalls das Gebäude 12-13. Es wurde mit den eigenen Gebäude- und Energiemanagementsystemen ausgestattet. Die Lösungen sind darauf ausgelegt, auf Echtzeitbedingungen zu reagieren, Probleme zu isolieren, Trends zu studieren und Lasten und Generatoren zu steuern. Das Gebäude verfügt außerdem über energiesparende Dämmstoffe, dreifach verglaste Fenster mit integriertem Sonnenschutz und intelligente Fassaden. Die Bürobeleuchtung wird automatisch geregelt. »Bereits heute werden mehr als 40 % des gesamten Energieverbrauchs in Europa in den Gebäuden verbraucht. Wenn wir das Energiedilemma wirklich lösen wollen, dann müssen wir dort ansetzen«, ist Glaser überzeugt. Schneider Electric liefert dazu die gesamte Technik- und Lösungspalette »vom Kraftwerk bis zur Steckdose«.
Der Campus wird auch als Standort für nachhaltig agierende Unternehmen positioniert. |
Vorreiterrolle für moderne Stadt
100 Firmen mit aktuell rund 2.000 Mitarbeitern haben sich auf dem Schöneberger Gelände bereits angesiedelt: Schneider Electric, Cisco, die Deutsche Bahn sowie die General-Electric-Tochter BLS Energieplan, die Gasag und das Kompetenzzentrum Kritische Infrastrukturen (KKI). Die Carsharing-Station und Elektrotankstellen werden in unterschiedlichen Ladeausstattungen geboten und sind für Bedarfsspitzen auch an lokale Batteriespeicher angebunden. Mehrere Lehrgänge der Technischen Universität Berlin haben ebenfalls bereits eine Heimat am Campus gefunden: Thematisch passend wird das Masterstudium »Energie Management« angeboten. Bekannt ist der Gasometer in Schöneberg vor allem für die Polit-Talkshow von Günther Jauch. Die ARD hatte in den vergangenen Jahren den Gasometer als prominenten Spielort gewählt.
Der Gasometer soll bald mit einer neuen Gebäudehülle versehen werden. |
Gespräch mit dem Erfinder
Begonnen hat die Idee für einen energieautonomen Stadtteil bereits 2007. Der Architekt und Projektentwickler Reinhard Müller, der in Berlin für Altbausanierungen und eine Reihe an großen Gewerbeprojekten bekannt ist, hatte 2009 das Gelände des ehemaligen Gaswerks des Gasversorgers Gasag gekauft und aufwendig saniert. Müller spricht von einem Gesamtinvestment von 600 Mio. Euro. Partner wie Schneider Electric steuern die Technologielösungen bei. Der Vorstandsvorsitzende der EUREF AG sieht sein Megaprojekt pragmatisch. »Das alles hier ist eigentlich eine hausbackene Sache. Wenn jemand zu mir sagt, ich sei Visionär, kann ich das nur verneinen. Ich bin Ingenieur«, relativiert Müller. »Ich nutze Dinge und baue sie hier ein, die es auf der Hannover Messe zu kaufen gibt.« Dem Projektentwickler zufolge würde das Projekt »nicht funktionieren, wenn Sie es an eine Heuschrecke oder einen anonymen Rentenfonds verkaufen«. Er sieht sich auch als die »gute Seele« am Campus und will seine Mieter auf dem herausfordernden Weg in einen nachhaltigen, smarten Stadtteil nicht alleine lassen.
Die Komponenten der Energiewende sind längst erfunden, die Wende »kein Teufelswerk«, betont der Architekt weiter. Jetzt gelte es aber »anzupacken und nicht nur zu schwafeln«. Eine der wesentlichen Herausforderungen in Deutschland sei die Nutzung und Speicherung überschüssigen Stroms aus Photovoltaik und Windkraft. Mittels Power-to-heat- und Power-to-cool-Lösungen sei dies künftig auch in Großstädten möglich – der Campus dient dazu als Testlabor in der Praxis. Solarflächen, Windräder und Biogas liefern bereits ihren Beitrag, bald sollen Geothermie und Warmwasserspeicher die Idee der lokalen Eigenständigkeit komplettieren. »Wir haben das Rezept – die Zutaten müssen wir nur am Markt einkaufen und ein wenig damit experimentieren.«
Plan für Autarkiebetrieb Ein zentrales Ziel des Projekts EUREF in Berlin ist die Gestaltung eines autarken Betriebs des Energienetzes. In einzelnen Versuchen wird nun getestet, ob ein Inselbetrieb inmitten einer Großstadt, abgekoppelt vom vorgelagerten Netz, möglich ist. Dabei sollen die Verbraucher – die im lokalen Smart Grid integrierten Gebäude sowie die Ladeinfrastruktur für die Elektroautos – rein durch die lokale Erzeugung betrieben werden. Durch die Vernetzung von Gebäuden, Fahrzeugen, Speichern und anderen Verbrauchern wird die Vielfalt der aufkommenden Lastprofile erheblich erhöht. Damit wird die Grundlage für neue Anwendungen wie Vehicle-to-Grid und Demand-Response-Management geschaffen. Mittels Echtzeitmonitoring der Komponenten und intelligente Steuerung vor Ort können die untersuchten Fragestellungen aufbereitet, visualisiert und gemanagt werden. Zentrale Technikpartner des EUREF-Campus sind Schneider Electric und Cisco. |