24 Stunden nachdem ich meine letzte Kolumne fertiggestellt hatte, gingen in Brüssel die Bomben hoch. Der Schock sitzt vielen noch in den Knochen. Umso erstaunlicher, dass das Leben so normal weitergeht wie bisher. Trotzdem ist eine seltsame Stimmung in der Stadt zu spüren.
Das mulmige Bauchgefühl ist nichts Neues, wenn derzeit über Brüssel gesprochen oder geschrieben wird. »Brüssel« als Synonym für »die EU« steckt in einer tiefen Sinnkrise. Dabei lassen sich viele Schwachpunkte sehr gut am Beispiel des Kleinen, an der Stadt Brüssel, veranschaulichen. Ein Vergleich:
Die Stadt Brüssel ist im verwaltungsrechtlichen Sinne ein Regionenverbund aus 19 Gemeinden mit jeweils einem Bürgermeister, Gemeinderat und allem, was eine Gemeinde halt so braucht. Folge: Kompetenzenwirrwarr, Eifersüchteleien über Budgetmittel und Ineffezienzen. So kann es zum Beispiel passieren, dass die eine Seite einer Straße über eine Beleuchtung verfügt, während die andere Seite im Dunkeln verharrt. Weil: Gemeinde A gibt ihr Geld für Straßenbeleuchtung aus, während Gemeinde B, Herrin über die andere Straßenseite, dies nicht vorgesehen hat. Selbst die Bürger von Schilda würden hier staunen.
Ähnlich in »Brüssel«: Aus den Ruinen des Zweiten Weltkriegs und einem starken Fundament des Nationalismus entwickelte sich schrittweise die Europäische Union. Diese Evolution sorgte dafür, dass wir einen komplizierten Ausgleich an Interessen und Kompromissen als Politiksystem haben mit endlos vielen Akteuren und Ebenen. Sowohl in Brüssel als auch in »Brüssel« sind daher immer die anderen schuld, wenn mal was nicht so gut läuft.
Eine Kakophonie an Stimmen bestimmt die politische Debatte, aber eine klare Richtung kann niemand vorgeben. Es fehlt an guter Leadership. Brüssel bzw. Belgien an sich ist ein Paradies für Paragrafenreiter. Es gibt so viel (absurde) Bürokratie, dass die meisten Regeln von den Bewohnern gar nicht eingehalten werden. Parken in zweiter Spur, insbesondere in einspurigen Straßen, gehört etwa zum erweiterten Einparkverhalten der Brüsseler Verkehrsteilnehmer.
Auch »Brüssel« hat den Ruf, Quelle nutzloser Regulierungen zu sein. Doch mangelt es an zwei Dingen: dem tatsächlichen Einhalten des Subsidiaritätsprinzips und einer effektiven Umsetzung. Letzteres scheitert oft an den Mitgliedstaaten, oder weil »Brüssel« nicht genügend Überwachungs- und Sanktionsmöglichkeiten hat. Das ständige und übermäßige Überschreiten der »Maastricht-Kriterien« ist nur ein Beispiel.