Freitag, November 22, 2024

20 Jahre - und kein Grund zum Jubeln?

20 Jahre - und kein Grund zum Jubeln?

Der Report-Verlag feiert seinen 20. Geburtstag, die Mitgliedschaft Österreichs bei der EU hatte dieses Jubiläum bereits letztes Jahr. Feierstimmung kommt aber nur in einem Fall auf. Denn die EU leidet in Österreich wie in vielen anderen Staaten zusehends unter Fanschwund.

»Ist Europa noch zu retten?«, »Europa quo vadis?« und so weiter: Zeitungsartikel und Diskussionsveranstaltungen tragen oft diese oder ähnliche Überschriften, die dementsprechend schon abgelutscht erscheinen. Und doch sind es wie noch nie legitime Fragen. Denn es scheint es, als ob in Europa die Vision und Orientierung abhanden gekommen ist, nämlich nicht nur, wie es weitergehen sollen, sondern ob. Dem gegenüber steht ein aufkommender Nationalismus, den man in dieser Form eigentlich seit 1945 überwunden glaubte. Das »Brexit«-Referendum ist der vorläufige Tiefpunkt bei der Talfahrt in Sachen Zustimmung durch die Bevölkerung.

Woher kommt diese zunehmende fundamentale Ablehnung gegen die EU und wie soll man damit umgehen?

Erstens scheint es eine gewisse Entfremdung zwischen den (politischen) Eliten und der breiteren Bevölkerung zu geben. Während gut ausgebildete Bevölkerungsteile von Globalisierung und Europäisierung profitieren können, trifft das auf viele andere nicht zu. Die zunehmende Digitalisierung von Fertigungsprozessen führt dazu, dass klassische Arbeiterjobs nicht nur in der Form verschwinden, sondern auch immer mehr neue Qualifikationen gefragt sind, die jedoch (noch) nicht in die Ausbildungsprogramme Eingang finden. Dieser Umstand wurde entweder lange Zeit nicht erkannt oder auch bewusst ignoriert. Jedenfalls treibt der Umbruch, in dem sich die europäische Wirtschaft und Industriebetriebe derzeit befinden, und die daraus resultierenden Verwerfungen im System Unzufriedene und »Verlierer« leicht in die Arme von Populisten. Der Ruf nach mehr »National« ist nicht mehr als ein Versprechen der guten alten Zeiten, das jedoch nicht zu halten sein wird. Diese Zeiten kommen nicht wieder.

Zweitens ist mit dem Beitritt Öster­reichs zur EU und die zunehmende Vertiefung der Beziehung eine weitere Zeit vorbei: nämlich jene der starken Macher, die in der Rolle als Minister oder Bundeskanzler quasi im Alleingang Probleme lösen können. Die Problemlösungskompetenz eines Ministers ist aber nicht verschwunden, sondern hat sich verlagert, nämlich zum Verbund der mittlerweile 28 Ministerkollegen, die sich regelmäßig zum jeweiligen Fachministerrat in Brüssel treffen. Wenn Politiker zuhause auf »die da in Brüssel« schimpfen, die irgendwelche Gesetze beschlossen haben, fällt es meistens nobel unter den Tisch, dass zumindest ein österreichischer Minister an ebenjenem gesessen ist. Es ist zwar angenehm und oft musste die Bande über »Brüssel« gespielt werden, um heimische Widerstände zu überwinden. Aber wer stetig über »Brüssel« schimpft, das über die Köpfe hinweg entscheidet, darf sich nicht wundern, dass die Leute einem irgendwann glauben, und der Grant auf »Brüssel« wächst.

Drittens gibt es eine Krise der politischen Leadership. Leidenschaftliche Visionen, wie sich Europa in den nächsten Jahrzehnten entwickeln soll, gibt es nur von jenen, die eben die Europäische Union zurückstutzen oder gar zu Grabe tragen wollen. Alle anderen reduzierten ihren Horizont auf technisch-abstrakte Worthülsen wie »den Binnenmarkt vollenden«. Damit erntet man nur ein Gähnen, aber erobert keine Herzen. Das Abwürgen einer Emotionalisierung der Union durch eine gemeinsame Verfassung und andere Symbole im Jahr 2005 durch die Referenden in Frank­reich und den Niederlanden war an sich falsch und wurde auch falsch verstanden: Ja keine Gefühle, null Emotionen, wenn es um Europa geht!

Dabei kann Leidenschaft nur und allein durch Emotion ausgelöst werden und nicht durch nüchterne EU-Bürokratie. Doch genau das braucht Europa jetzt: Emotionen und Leidenschaft. Es ist offensichtlich wieder notwendig, Europas Bürger für ihren Kontinent und dem gemeinschaftlichen Geist zu gewinnen. Und dies gelingt nur, wenn Leidenschaft und auch Widerspruch in der Debatte zugelassen werden. Zu lange wurde der Fehler gemacht, Kritik an den europäischen Institutionen als Kritik am europäischen Geist zu diskreditieren und damit abzuwürgen. Damit hat man jedoch diese gefährliche Verkürzung den Populisten auf dem Silbertablett serviert.

Österreich hat in den letzten 20 Jahren mehr von der Mitgliedschaft in der Union profitiert als Negatives erfahren. Dass dies auch in den nächsten 20 Jahren so bleibt – daran muss aktiv gearbeitet werden. Denn Selbstläufer gibt es nur bei einer Talfahrt. 

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