Im Rahmen von Open House Vienna hat sich der Bau & Immobilien Report bekannte und weniger bekannte Beispiele revitalisierter Industriearchitektur genauer angesehen.
Das Loft Zwei, Brick-5 und der Gewerbehof Mollardgasse sind Industriebauten, die über die Jahre verschiedenste Nutzungen erfahren haben und heute als gelungene Beispiele für revitalisierte Immobilien gesehen werden. Eines haben jedoch alle Bauten gemeinsam: Jedes der ausgewählten Gebäude zeigt Charakter. Jedes hat eine Seele, die die Umgebung belebt und in einen anderen historischen Kontext setzt. Alle sind rund 100 Jahre alt und stehen in ganz unterschiedlichen Umgebungen.
Die ungewöhnlich vielen verschiedenen Nutzungen sind ein Lehrstück für jeden Bauträger, der seine geplanten Gebäude für alle denkbaren Nutzungen offen halten will.
Loft Zwei
Das Ziegelbauwerk Loft Zwei ist eine Industriehalle neben der Trabrennbahn Krieau, die hauptsächlich als Lagerhalle genutzt wurde. Heute ist das Loft Zwei ein Büro im sogenannten Viertel Zwei direkt am Wiener Prater im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Von außen schaut es so aus, als würde das Loft im See liegen. Dabei grenzt der 3.000 m2 große künstlich angelegte See nur direkt an das alte Backsteingebäude. Seen sind in und um Wien Raritäten.
Übrigens ist es leider nicht erlaubt, im See zu schwimmen, weil man wegen der Größe drei Bademeister brauchen würde und die Trinkwasserqualität zu sehr darunter leiden würde.
Eine für Wien neue Atmosphäre einer Seenlandschaft umgibt den Besucher, der das Viertel von der U-Bahnstation Krieau aus über die Fußgängerbrücke durchwandert. Zuerst der ultramoderne Glastower der OMV, dann der See und auf der anderen Seite wieder Hochhäuser, der campus WU und die Messe Wien. Gegenüber der Eingangsseite des Loft Zwei liegt hinter Bäumen verborgen die Trabrennbahn Krieau.
Es ist wie immer an Wochenenden in Bürovierteln gespenstisch still. Ein einziges Wohnhaus am Ende des Sees durchbricht die Büroarchitektur. Aber auch dieses Gebäude passt sich seiner Umgebung an. Auf den ersten Blick ist kein Wohnhaus erkennbar. Das Loft Zwei steht nicht unter Denkmalschutz, so wurden die bereits vorhandenen Fenster auf das Doppelte vergrößert und ein Zwischengeschoß eingezogen. Der Blick auf die historische Stahlbetonrippendecke blieb großteils frei, sodass die Weite und Größe des Raumes spürbar geblieben sind. Das gesamte Ensemble ist ein spannendes Beispiel für revitalisierte Architektur, die den Charakter des gesamten modernen Baubestandes authentisch macht.
Brick-5
Der heutige Kulturverein Brick-5 wurde als Veranstaltungshalle erhalten. Von der Straße führt eine längere Durchfahrt unter Wohngebäuden durch zum Hof vor die ehemalige Erbsenschälfabrik. Die großen Fenster, die Backsteinfassade und sogar das Pflaster der Industriearchitektur wirken sauber, aber nicht neu.
Die ursprüngliche Maccabi-Turnhalle und Volksschule stellten den Mittelpunkt eines pulsierenden kulturellen Zentrums, des von 1869 bis 1940 überwiegend jüdisch besiedelten Viertels Fünfhausgasse 5 und Herklotzgasse 21, dar. Der Mäzen und Patentanwalt Thomas Haffner hat das Gebäude gekauft, renoviert und 2002 als Kulturzentrum hergerichtet. Er wurde dafür mit dem Goldenen Verdienstzeichen des Landes Wien ausgezeichnet. Auf Befragen, warum er das getan hat, antwortete er: »Mein ältester Sohn hat sich das oberste Geschoß für sein Loft zum Wohnen ausgesucht und ich habe mich dann entschieden, das gesamte Areal zu erwerben. So wurde aus dem ursprünglich geplanten Museum der heutige Kulturverein.«
Die Gebäude sind ineinander verschachtelt, wie so oft in natürlich gewachsenen Vierteln und städtebaulichen Strukturen. Man gelangt durch die Turnhalle über eine Treppe in die Fabrikshalle und wiederum durch die gleiche Turnhalle über Seitenausgänge in einen kleinen Garten und von dort in das Nachbarhaus Herklotzgasse. Die ehemalige Volksschule ist jetzt ein Wohnhaus. Vom Garten aus ist sogar der Schriftzug der »TURN HALLE« in Großbuchstaben erhalten und liebevoll restauriert worden.
Die Nutzungsmöglichkeiten waren vielfältig, ausgehend von einer Volksschule, einem Hort für Kinder, einem Verein zur Ausspeisung armer jüdischer Kinder, einem Turnverein, einer Heimstätte jüdischer Kinder, einem Waisenhaus, einem Kindergarten und einer Unterkunft für Obdachlose. Alle Gebäude sind neu renoviert, der Garten frisch begrünt und die Gebäude in ihrer Individualität erhalten. Ein gelungenes Beispiel an Nachnutzung historischer Industriearchitektur.
Gewerbehof Mollardgasse
Im Gewerbehof Mollardgasse im 6. Wiener Gemeindebezirk, einem riesigen Industriebau mit Stukkaturfassade, sind Wohnungen und Gewerbeflächen nur mit Gewerbeschein erhältlich. Ursprünglich waren 150 Arbeitsstätten à 150 m2 geplant. Seit fast 100 Jahren ist das Gebäude wirklich gut ausgelastet.Die Mieter kennen sich, es gibt viel Platz für alles – sogar die Treppen sind für Wiener Verhältnisse fast zu groß geraten. Der ganze Bau erinnert in seiner Anlage und Größe eher an Berliner als an Wiener Wohnbauten.
Die Farben Weiß und Grün dominieren das Betongrau. »Jeder kennt hier jeden. Es ist fast eine familiäre Atmosphäre. Ich würde mein Architekturstudio hier im Gewerbehof Mollardgasse mit keinem modernen Büro tauschen wollen«, erklärt Ulrike Seher, Architektin.