Ökologische, ökonomische und soziale Aspekte bilden die drei Säulen der Nachhaltigkeit. Oft wird nur die energetische Performance als Indikator für die Nachhaltigkeit eines Gebäudes herangezogen. Diese ist zwar ein entscheidender Faktor, Nachhaltigkeit bedeutet aber viel mehr: Sie ist nicht Green, sondern Blue.
Von Karin Legat
Grundsätzlich soll ein Gebäude einen geringen Ressourcenverbrauch aufweisen, kostengünstig sein und möglichst gute Lebens- und Arbeitsbedingungen bieten«, betont Susanne Geissler, Geschäftsführerin der Österreichischen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen, ÖGNB. Energieeffizienz ist in den Köpfen der ÖsterreicherInnen bereits angekommen. Ressourcenschonende Baukonzepte wie 3-Liter-Haus, Energiesparhaus, klima:aktiv-Haus und Lifecycle Tower gibt es bereits so zahlreich, dass fast die Übersicht verloren geht. »Viele Wege führen in der Energiefrage jedoch nach Rom«, schmunzelt Hubert Mattersdorfer, Geschäftsführer der w&p Baustoffe. Energieeffizienz ist definitiv ein Thema in der Bau- und Immobilienwirtschaft. Was fehlt, ist die gesamtheitliche Betrachtung aller baurelevanten Produkte und Prozesse. Immobilien sind in Summe nicht nur für 50 Prozent des Ressourcenverbrauchs verantwortlich, für 30 Prozent der Emissionen und für 40 Prozent des Energieverbrauches. Auch 20 Prozent aller Krankheiten gehen laut der ImmoNachhaltigkeits-Studie der wiko auf Immobilien zurück. Gebäude stellen zudem rund 40 Prozent des volkswirtschaftlichen Vermögens dar und erfordern für den laufenden Betrieb erhebliche Aufwendungen. Private Haushalte müssen gar rund ein Viertel des Budgets für den Bereich Wohnen & Energie aufwenden. Lösungsansatz für das gesamtheitliche Denken ist das von der ÖGNI entwickelte Blue Building. »Der Begriff Blue Building ist dabei als Metaebene – als Gesamtkonzept des Zugangs – zu sehen und steht für die Weiterentwicklung vom Green Building«, erklärt Philipp Kaufmann, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für nachhaltige Immobilien.
Green wird Blue
In den USA und England umfasst Green Building alle drei Säulen der Nachhaltigkeit – Ökonomie, Ökologie sowie Soziokulturelles – und bildet ein Gesamtkonzept. Bei uns wird Nachhaltigkeit dagegen oftmals nur mit Energieeffizienz gleichgesetzt. Dazu hat auch das Programm der EU unter dem Titel Green Building beigetragen, das rein auf Energieeffizienz beschränkt ist. »Eine andere Denkweise im Immobilienwesen ist dringend erforderlich. Es braucht Bewusstseinsbildung bei Immobilienbesitzern und -nutzern wie auch bei allen aktiv am Lebenszyklus von Immobilien Beteiligten, wie den Vertretern der Planung, der Errichtung, der Finanzierung und des Betriebs«, fordert Wolfgang Kradischnig, Vorstand der IG Lebenszyklus Hochbau. »Ein neues Miteinander der Branche ist gefragt«, ergänzt seine Kollegin Nina Krecht und verweist auf die Kooperation von öffentlichen und privaten Bauherren, Architekten, Fachplanern, Finanzierung, Recht, Bau- und Haustechnik sowie Facility Management in der IG. Auch Kaufmann und Geissler sehen die Lösung in der Änderung der Prozesslandschaft hin zum Zusammenspiel einzelner Akteure. Bei der ÖGNI arbeiten alle 300 aktiven Partner als Akteure der Nachhaltigkeit gemeinsam an dieser Revolution. »Gebäude müssen gesamtheitliche Ziele erfüllen und dafür brauche ich eine andere Denkweise«, so Kaufmann. Ist die Bevölkerung bereit für diese Revolution? Die ImmoNachhaltigkeits-Studie der wiko gibt dazu Aufschluss. Für die überwiegende Mehrheit der Konsumenten und Wohnungssuchenden in Österreich ist Nachhaltigkeit ein wichtiges Zukunftsthema. Zunehmend werden zum Thema Ökologie auch Aspekte des Wohlfühlens, der Gesundheit und der Kosten angeführt.
Nachhaltige Gebäude
Den einen idealen Gebäudetyp gibt es nicht. »Ein Passivhaus muss kein Blue Building sein – aber jedes Passivhaus hat beste Voraussetzungen, ein Blue Building zu werden«, erklärt Kaufmann. Es gilt, Faktoren wie Bewirtschaftungskosten, reinigungsfreundliche Architektur, wartungsarme Pflanzenintegration, Barrierefreiheit und Gemeinschaftsräume mitzuberücksichtigen. Hubert Mattersdorfer erzählt aus seinem Alltag: »Ich bin selbst gerade dabei, mein Haus aus dem Jahr 1956 zu sanieren und habe die Vision vom Aktiv-Energie-Haus. Die Hauptmotivation aller meiner Bemühungen liegt darin, energetisch unabhängig zu sein und damit die Betriebskosten, vor allem später in der Pension, unter Kontrolle zu haben.« Zu den Kosten ergänzt Georg Bursik, Geschäftsführer der Wopfinger Baustoffindustrie: »Grünes und Blaues Bauen ist leistbar. Die teilweise Unfinanzierbarkeit erfolgt heute nur durch die Rahmenbedingungen wie rasant steigende Grundstückspreise, Kosten für Professionisten oder überbordende Haustechnik.«
Nachhaltige Zeugnisse
Traditionelle und nachhaltige Gebäudekonzepte stehen am Markt im Wettbewerb. Zertifizierungssysteme helfen dabei, nachhaltige Gebäude gegenüber durchschnittlichen auszuweisen und die Qualität von Bauprojekten zu optimieren sowie transparent darzustellen. Die Nachhaltigkeitszertifikate sind dabei teils international anerkannt und werden laut ÖGNB für immer mehr Investoren und Gebäudenutzer relevant. In Österreich werden mehrere Gebäudebewertungssysteme angeboten: IBO Ökopass, klima:aktiv, TQB, Passivhauszertifizierung, DGNB (aus Deutschland), BREEAM (aus Großbritannien) und LEED (aus den USA). Als erstes System wurde BREEAM mit der Zielsetzung entwickelt, umweltfreundliche Bürogebäude am Immobilienmarkt besonders hervorzuheben. Später kamen vermehrt soziale Aspekte hinzu und auch die Lebenszykluskosten wurden in die Bewertung miteinbezogen. »Die ÖGNB vergibt seit 2003 das Zertifikat Total Quality Building. Wir haben uns damals gefragt: Was interessiert die Bewohnerinnen und Bewohner wirklich? Dadurch sind Punkte wie Sicherheit, verbesserter Brandschutz, gesundes Wohnen und Barrierefreiheit in das TQB eingeflossen. Wir bieten das TQB-Bewertungstool kostenfrei an. Bauträger und Architekten sollen es als Planungsguideline nutzen«, richtet sich Geissler an alle Bauunternehmer. Die ÖGNI setzt auf das internationale Zertifikat DGNB.
Zur Zukunft der gesamtheitlichen Nachhaltigkeit gibt es abschließend noch eine Prognose von Wolfgang Kradischnig von der IG Lebenszyklus Hochbau: »Wir erwarten uns einen deutlichen Richtungsschwenk zu lebenszyklusorientierter Projektabwicklung in den nächsten Jahren. Die Ressourcenverknappung und Weltklimathematik spielen uns dabei genauso in die Hände wie die ganz nüchterne ökonomische Rechnung.«
>> Nachhaltigkeitsreferenz:
Hochtief Construction Austria: Mühlviertler Schnellstraße S10
Nicht nur im Hochbau, auch im Tiefbau hat das Prinzip der Nachhaltigkeit längst Fuß gefasst. Bei Hochtief Construction Austria ist ein wesentlicher Bestandteil der Unternehmensstrategie, den gesamten Lebenszyklus eines Projekts zu begleiten. So wurde etwa beim Bau der Nordautobahn A5 auch ein landschaftsökologisches Ausgleichskonzept entwickelt. Dafür wurden über 600.000 Pflanzen, Sträucher und sogar Obstbäume gepflanzt und das gesamte abgetragene Erdreich vollständig wiederverwendet, unter anderem für Lärmschutzwälle. Auch auf den beiden Hochtief-Baustellen der Mühlviertler Schnellstraße S10 wird Nachhaltigkeit groß geschrieben. Ein eigenes Logistikkonzept sorgt für eine Reduktion der LKW-Fahrten. Dazu werden vor Ort Betonmischanlagen betrieben, um Transporte und in weiterer Folge Emissionen zu reduzieren. Sogar das Herstellungsverfahren einer Brücke wird nach Nachhaltigkeitskriterien ausgewählt. Die beiden parallelen Bogentragwerke werden mittels Cruciani-Bauweise errichtet. Dabei sind für das freitragende Lehrgerüst keine zusätzliche Fundierung bzw. Rüsttürme notwendig, Landschaft und Umwelt werden geschont. Und schließlich werden 400.000 Kubikmeter Felsabbruch aufbereitet und wiederverwertet, womit die Menge an Deponiematerial sowie Kauf und Lieferung von neuem Material reduziert werden. Wie beim Projekt Nordautobahn ist auch im Mühlviertel eine umfangreiche Neubepflanzung im Auftrag inbegriffen.
>> TIPP: Grüne Bauherrenfibel
Erstes Nachschlagewerk für nachhaltige Bauprojekte und Immobilien. Mit der »Grünen Bauherrenfibel« präsentiert die Firma Delta ein umfassendes Nachschlagewerk über die Aufgaben eines Bauherren bei der Errichtung eines nachhaltigen Gebäudes. Konzipiert ist die Fibel als Checkliste, die vor Beginn des Projektes und vor Beginn einer neuen Projektphase Schritt für Schritt durchgearbeitet werden kann. »Bauherren haben die schwierige Aufgabe, die Anforderungen an Gebäude unter Berücksichtigung möglicher Entwicklungen in der Zukunft festzulegen. Ziel ist es, eine Immobilie zu realisieren, die gewinnbringend für sämtliche Beteiligte und schonend für die Umwelt ist. Wir möchten unsere Bauherren dabei bestmöglich unterstützen und ihre Arbeit erleichtern«, sagt Wolfgang Kradischnig, Geschäftsführer bei Delta.
Die »Grüne Bauherrenfibel« basiert auf dem Ansatz der lebenszyklusorientierten Abwicklung von Bauprojekten. In diesem Werk sind die Aufgaben eines Bauherren in allen Phasen eines Projektes anhand der Schlüsselkriterien Information und Organisation, Qualität, Zeit/Termine und Kosten in chronologischer Reihenfolge beschrieben. Zu jeder Projektphase findet der Leser nützliche Tipps und Tricks, um mögliche Gefahrenquellen vermeiden zu können. Die Fibel enthält zudem ein Glossar in dem Fachbegriffe ausführlich und verständlich erklärt werden.
Infos zu Delta unter www.delta.at